AERZTE Steiermark | Dezember - page 22

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Ærzte
Steiermark
 || 12|2014
REZENSION
Jeder Mythos hat zwei Seiten
Die 100 gängigsten Mythen in der Medizin zu entlar-
ven
– das ist der Anspruch eines neuen Buches des Ver-
eins für Konsumenteninformation, mit Unterstützung des
Departments für evidenzbasierte Medizin und klinische
Epidemiologie an der Donau-Universität Krems, sowie die
Österreichische Cochrane Zweigstelle. Gelungen scheint es
nur teilweise.
Eiko Meister
Die Themen reichen von
Abnehmen, Bluthochdruck,
Krebs, Gesundheit, Überge-
wicht bis hin zu Parkinson,
Alzheimer und Anti-Aging.
Durschnittlich zwei Seiten
widmet das Buch jedem der
einzelnen Stichworte.
Bei der Auswahl der Kapitel
war man sich offensichtlich
nicht ganz sicher wer das
Zielpublikum sein sollte, zu-
mal das Buch eine bunte Mi-
schung aus eigenständigen
Erkrankungen und Sym-
ptomen auflistet. Dennoch ist
der Versuch, wie im Vorwort
geschrieben, den Wahrheits-
gehalt verschiedener Aussa-
gen für Konsumenten ein-
schätzbar zu machen, begrü-
ßenswert.
Die Themenvielfalt zielt wohl
eher darauf ab, medizinischen
Laien einen Überblick über
Wundermittel und „sensa-
tionelle Heilmethoden“ zu
geben.
Die Herkunft der Autoren
impliziert, dass jedes Kapi-
tel mit entsprechenden Li-
teraturangaben unterlegt
wird. Schwerpunktmäßig
dient die Cochrane Library
als Datenquelle, jedoch wer-
den auch weitere Studien als
Referenz hinterlegt. Teilwei-
se sind die Evidenzbeurtei-
lungen zu streng – wenn die
primäre Fragestellung, wie
beispielsweise bei Blutdruck
und Salzkonsum, mit harten
Endpunkten wie Herzinfarkt
oder Schlaganfall erweitert
wird. Die hier angegebene
Einschätzung einer niedrigen
Evidenzlage, dass ein Zu-
sammenhang zwischen Salz-
konsum und Bluthochdruck
besteht, ist bei der primären
Fragestellung nicht nachvoll-
ziehbar.
Insgesamt bleiben einige
wenige „Mythen“ übrig, für
die die Beweislage hoch ist:
Darmkrebs und Sinnhaftig-
keit der Colonoskopie, In-
effektivität von Vitamin C
bei Erkältungen, Aufgabe des
Rauchens zur Lebensverlän-
gerung, die Effektivität der
Grippeimpfung, die Ineffek-
tivität von Beta-Karotin zur
Vermeidung von Krebs, oder
die Ineffektivität von Vita-
minpräparaten zur Lebens-
verlängerung.
Die übrigen dargestellten My-
then werden bestenfalls mit
einer mittleren Beweislage
ausgewiesen.
Das Buch vernichtet Mythen,
wie den Zusammenhang zwi-
schen Aluminium und der
Entstehung von Alzheimer,
die Effektivität von Coenzym
Q 10 bei der Verjüngung der
Haut, Knoblauch zur Blut-
drucksenkung, das Vorhan-
densein von wirksamen Mit-
teln gegen Cellulite, Brokkoli
gegen eine Heliobacter pylori-
induzierte Gastritis, die Ver-
wendung von Kinesio-Tapes
bei Gelenks- und Muskelver-
letzungen, den Mythos, dass
Bio-Gemüse gesünder sei als
konventionell angebautes, die
Effektivität der Schüßlersalze,
die Wirksamkeit von Thymi-
an bei Husten, Grüner Tee
als Vorbeugungsmittel gegen
Krebs, die Misteltherapie bei
Krebs, Fischöl zur Heilung
der rheumatoiden Arthritis,
oder auch die Wirkung von
Vitamin D und Schröpfen bei
Schmerzzuständen.
Kritisch ins Gericht geht das
Buch mit modernen Medi-
kamenten, wie Tamiflu, wo-
bei sich hier beim Lesen der
Primärfrage eine Einschrän-
kung auf die Schweinegrippe
ergibt. In den weiteren Aus-
führungen werden dann alle
weiteren artverwandten Me-
dikamente zur Grippethera-
pie extrem kritisch beurteilt.
Ähnlich hart gehen auch die
Autoren der HPV-Impfung
zur Vermeidung von Gebär-
mutterhalskrebs ins Gericht.
Insgesamt mag das Buch für
den Laien eine durchaus in-
teressante Lektüre sein, auch
der Fachmann hat das eine
oder andere Aha-Erlebnis. Als
tiefschürfende Fachlitewra-
tur in Sachen evidenzbasierte
Medizin kann das Werk nicht
gesehen werden.
100 Medizin-Mythen
Hrsg.: Verein für Konsu-
menteninformation (VKI),
Wien 2014
ISBN 978 3 99013 039 1
EUR 14,90
Dr. Eiko Meister, Facharzt für
Innere Medizin in der EBA des
LKH-Univ.-Klinikums Graz
und Ärztekammer-Präsidial­
referent für Ausbildung und-
Qualitätssicherung
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