Ærzte
Steiermark
 || 04|2013
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Sonderthema Epilepsie
Arbeiten mit Epilepsie
Was hat der behandelnde Arzt mit der Berufstätigkeit seines Patienten zu tun?!
Die Therapie, aber auch der Befund, haben Auswirkung auf den Alltag der/des PatientIn und damit Auswirkung
auf das Berufsleben. Welche? An der Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten von Menschen mit Epilepsie ist
die Neurologin/der Neurologe wesentlich beteiligt. Wie? Welche Auswirkungen hat der Behindertenausweis?
Was versteht man unter einem geschützten Arbeitsplatz? Mit diesen und anderen Fragen rund um Erwerbstä-
tigkeit sind ÄrztInnen häufig konfrontiert.
Autorin: Mag. Elisabeth Pless
zertifizierte Epilepsiefachberaterin
Fakten statt Vorurteile
Die Häufigkeit aktiver Epilep-
sien in Europa wird 2005 von
der WHO mit 0,83% der Ein-
wohner angegeben. Obwohl
Epilepsien so weit verbrei-
tet sind, sind Anfallskranke
mit Angst und Ablehnung
konfrontiert und werden
besonders am Arbeitsmarkt
häufig diskriminiert. Unter-
schiedliche Vorurteile (z.B.
häufige Unfälle) verhindern
oft die Integration Betrof-
fener in den Arbeitsmarkt.
Die Arbeitslosenquote von
Menschen mit Epilepsie ist
rund zweieinhalb Mal so
hoch wie die der Gesamt-
bevölkerung. Dabei sind die
krankheitsbedingten Ausfälle
bei Menschen mit Epilepsie
nicht höher als bei anderen
ArbeitnehmerInnen, wie eine
Studie der BASF zeigt.
Wechselwirkung statt
Therapie – Arbeitsplatz
Natürlich ist das Ziel der The-
rapie die Anfallsfreiheit, aber
nicht um jeden Preis. Eine
Anfallsfreiheit bringt zwar
prinzipiell bessere Chancen
am Arbeitsmarkt, aber wenn
die/der PatientIn (objektive
oder subjektive) Nebenwir-
kungen hat, sind diese meist
auch ein Hindernis in der
Arbeitswelt. So ist die The-
rapie ein Kompromiss zwi-
schen Anfällen und Neben-
wirkungen (z.B. Müdigkeit
oder Hautausschläge). Von
PatientInnen festgestellte
Nebenwirkungen und Äng-
ste sollten in jedem Fall ernst
genommen und besprochen
werden. Gerade bei Konzen-
trationsstörungen ist es oft
schwierig festzustellen, ob
es sich um Nebenwirkungen
der Medikamente handelt
oder ob diese in ursäch-
lichem Zusammenhang mit
der Epilepsie stehen. Man-
che PatientInnen sind, was
ihre kognitiven Eigenschaften
anlangt, sehr sensibel. Es ist
dann zu prüfen, inwieweit
das Vergessen „normal“ ist
oder die/der PatientIn über-
sensibel. Eventuell könnten
kognitive Einschränkungen
mit dem Vorliegen einer De-
pression in Zusammenhang
stehen. Gerade die häufigen
Begleit­erkrankungen wie Pa-
nikattacken oder Depressi-
onen wirken sich zusätzlich
negativ am Arbeitsplatz aus.
Bei manchen PatientInnen
muss ein Notfallmedikament
verschrieben werden, hier
sind aus sozialen Gründen
orale bzw. buccale Medi-
kamente zu bevorzugen.
Sie sind für den Laien auch
leichter zu verabreichen als
Rektaldiolen. Die Umstände,
unter denen diese Notfall-
medikamente verabreicht
werden sollten, sollten mit
den PatientInnen und den
Angehörigen genau bespro-
chen werden und idealerwei-
se im Befund beschrieben
werden. Auch wäre es gün-
stig, mit den PatientInnen zu
besprechen, dass nicht jeder
Anfall ein Notfall ist und wie
im Alltag Anfälle gemeinsam
bewältigt werden können.
Gefährdungsrisiko
Einschränkungen im Arbeits-
leben ergeben sich lediglich
durch Symptome während
eines Anfalls und gege-
benenfalls zusätzliche Er-
krankungen. Ein pauschales
Verbot für alle Menschen mit
Epilepsie, bestimmte Tätig-
keiten auszuüben, ist nicht
sinnvoll, da sich der Anfalls-
ablauf von Person zu Person
unterscheidet. Bei längerem
Vorliegen der Erkrankung
geht man davon aus, dass
die Anfälle bei der gleichen
Person immer gleichartig
ablaufen und deshalb nicht
schematisch, sondern indivi-
duell beurteilt werden sollten.
Die Beurteilung erfolgt idea-
ler Weise immer in Zu-
sammenarbeit verschie-
dener ExpertInnen in deren
Mittelpunkt der Betroffene
selbst steht: Daneben sind
die Hauptakteure der/die
behandelnde Neurologe/
in und der/die Arbeitsme-
dizinerIn, ergänzt um den/
die Sicherheitsbeauftragte/n,
eventuell Betriebsrat/rätin,
Behindertenvertrauensper-
son und zur Koordination
wenn möglich ein/e Epi-
lepsiefachberaterIn. Wobei
entscheidend ist, dass der/
die behandelnde Neurologe/
in die Anfallsbeschreibung
bestätigt, z. B. Vorliegen
eines gesicherten Vorgefühls
oder schlafgebundene Anfäl-
le länger als drei Jahre und
die Gefährdungskategorie
festlegt. Die Aufgabe des/
der Arbeitsmediziners/in ist
es, die Risiken der jeweiligen
Tätigkeiten zu analysieren.
Das Ergebnis ist eine ge-
meinsame Stellungnahme.
Im Auftrag des Bundesso-
zialamtes erarbeitet derzeit
eine Arbeitsgruppe beste-
hend aus VertreterInnen der
Österreichischen Gesell-
schaft für Epileptologie, Bun-
dessozialamt, Ärztekammer,
AUVA, Arbeitsinspektorat,
WK, AK, ÖGB, AMS, Epilep-
sie & Arbeit gemeinnützige
Beratungs und Entwicklungs
GmbH sowie der Epilepsie
Interessensgemeinschaft
Österreich, eine Leitlinie zu
Epilepsie und Arbeit für Ös-
terreich. Der Abschluss ist für
2013 geplant.
Bis dahin kann als Hilfe für
die Gefährdungsbeurteilung
die deutsche „Empfehlung
zur Beurteilung der beruf-
lichen Möglichkeiten von
Personen mit Epilepsie“ der
HVBG (BGI 585) herange-
zogen werden.
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