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ÆRZTE
Steiermark
|| 01|2017
SERIE
PRIMÄRVERSORGUNG 1
Grafik: Conclusio
ein essentieller und zentraler
Bestandteil jedes Gesund-
heitssystems. Es ist die erste
Versorgungsebene, mit der
Einzelpersonen, Familien und
die Gemeinschaft in Kontakt
mit dem Gesundheitssystem
treten und stellt somit das
erste Element eines konti-
nuierlichen Versorgungs-
prozesses dar. Sie umfasst
gesundheitsfördernde, prä-
ventive, kurative, pflegerische,
rehabilitative und palliative
Maßnahmen und bringt eine
multiprofessionelle und inte-
grative Versorgung so nahe
wie möglich an den Wohnort
und Arbeitsplatz der Men-
schen. Sie fördert die Parti-
zipation, Selbstbestimmung
und Entwicklung von perso-
nellen und sozialen Fähigkei-
ten und ist ein gesundheitso-
rientiertes und intersektorales
Versorgungskonzept.
48 Jahre nach der Definition
von Alma Ata, in der Pri-
märversorgung als zentrales
Element jedes Gesundheits-
systems deklariert wurde,
haben sich bekanntermaßen
STEFAN KORSATKO
Wachgeküsst wurde die Pri-
märversorgung durch die Ge-
sundheitsreform 2013. Prima-
ry Health Care
soll flächen-
deckend umgesetzt werden
und die richtige Leistung soll
am
„Best Point of Service“
er-
bracht werden. Dies bedeutet
zum richtigen Zeitpunkt, am
richtigen Ort, mit der opti-
malen medizinischen und
pflegerischen Qualität sowie
gesamtwirtschaftlich mög-
lichst kostengünstig.
Viele Allgemeinmedizine-
rinnen und Allgemeinme-
diziner in Österreich sehen
sich schon immer in dieser
Rolle und können die „Neu-
wertigkeit“ dieses Prozesses
nicht nachvollziehen. Nichts-
destotrotz wurde Österreich
im Jahr 2011 in einer europä-
ischen Studie gemeinsam mit
Ungarn, Griechenland, Irland,
Island und der Türkei zu den
Ländern mit einem „schwa-
chen“ Primärversorgungssy-
stem gereiht
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(siehe Grafik 1).
Nun könnte man verleitet
sein, diesem Befund die po-
sitiven Seiten des österreichi-
schen Systems entgegenzuhal-
ten, von welchem hierzulande
von vielen Seiten gerne und
oft behaupten wird, es wäre
das „beste Gesundheitssystem
der Welt“. Blickt man jedoch
auf die verfügbaren Publika-
tionen, zeigt sich, dass starke
Primärversorgungssysteme
unter anderem mit einem
besseren Gesundheitszustand
nun auch erstmalig in der
Geschichte Österreichs Bund,
Land und Sozialversicherung
vertraglich gebunden, den
Worten auch Taten folgen
zu lassen und
„Multiprofes-
sionelle und interdisziplinäre
Primärversorgung zu konzi-
pieren und in der Folge Pri-
märversorgungsmodelle um-
zusetzen“.
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Wir wollen mit dieser Ar-
tikelserie einen Blick zur
Umsetzung von „Primary
Health Care“ in ausgewählte
europäische Länder werfen.
Ziel ist eine möglichst gute
Beschreibung der Systeme
mittels Gegenüberstellung
von öffentlich zugänglichen
Zahlen, Daten und Fakten.
Es geht nicht darum, ob die
Primärversorgung in einem
Land besser oder schlechter
ist als in Österreich, son-
dern darum mit diesen Bei-
spielen zu einem besseren
Verständnis von „Primary
Health Care“ beizutragen
und die vielfältigen Mög-
lichkeiten aufzuzeigen, wie
dieses Versorgungskonzept
in unterschiedlichen Ländern
gelebt wird. Der Fokus wird
auf der medizinischen Ver-
sorgung und den Ärztinnen
und Ärzten liegen und wo es
möglich ist, werden wir auch
andere Gesundheitsberufe
integrieren.
Drei Ländergruppen
Den Auftakt in der nächsten
Ausgabe machen die skandi-
navischen Länder Dänemark,
Norwegen und Schweden, da-
der Bevölkerung, einer ge-
ringeren Rate unnötiger Hos-
pitalisierungen und höheren
Gesundheitschancen der Be-
völkerung assoziiert sind.
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Österreichs Schwächen
Als Schwächen wurden in
Österreich unter anderem die
Wahrnehmung der Primär-
versorgung durch die Politik
und Handlungsverantwort-
liche, die fehlende zentrale
Koordinierungsfunktion für
Patientinnen und Patienten,
die Ausbildung auf allen
Ebenen, die Anzahl der All-
gemeinmedizinerinnen und
Allgemeinmediziner im Ver-
gleich zu den Fachärztinnen
und Fachärzten und nicht zu-
letzt die relativ unattraktive
Honorierung aufgezeigt.
Was verbirgt sich nun ei-
gentlich hinter dem Begriff
„Primary Health Care“? Dazu
gibt es inzwischen unzählige
Publikationen. Für diese Ar-
tikelserie verwenden wir die
in Alma Ata 1978 entwickelte
Definition.
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Gemäß dieser
ist „Primary Health Care“
Wir und die Anderen
„Primärversorgung“ ist nach „Primärversorgungszentrum“
das „Wort des Jahres
2016“ im österreichischen Gesundheitssystem. Reagieren die einen allergisch auf dieses
Wort, können andere ihr Entzücken darüber kaum verbergen, dass sich nach einem jahr-
zehntelangen Dornröschenschlaf „Primary Health Care“ (wie Primärversorgung internatio-
nal bezeichnet wird) nun auch in Österreich in der Aufwachphase befindet.
FAKTENCHECK