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ÆRZTE
Steiermark
|| 01|2017
hen haben laut Kringos Eng-
land, Spanien, Dänemark, die
Niederlande und Slowenien.
Die Studie nimmt vor allem
den Organisationsgrad und
die finanzielle Ausstattung
der Primärversorgung in den
Fokus.
In der politischen Debatte in
Österreich quasi vorwegge-
nommen wird die Annahme,
dass Primärversorgung mit
hohem Organisationsgrad
positive Auswirkungen auf
den Gesundheitszustand in
einem Land hat. Ein (inhalt-
liches) Argument für den
Reformbedarf des österrei-
chischen Gesundheitssystems
sind ja die im europäischen
Vergleich geringen Werte an
gesunden (beeinträchtigungs-
freien) Lebensjahren (HLE).
Ob es zwischen gesunden
Lebensjahren und einer Pri-
märversorgung mit hohem
Organisationsgrad tatsäch-
lich einen ursächlichen Zu-
sammenhang gibt, darf man
allerdings in Frage stellen.
Die fünf „besten“ Länder Eu-
ropas sind bei Frauen Malta,
Schweden, Schweiz, Irland
und Island; bei Männern än-
dert sich die Reihenfolge we-
MARTIN NOVAK
Die politischen Entscheider
suggerierten, dass die Pri-
märversorgung für Öster
reich gleichsam neu erfunden
werden müsse, und dies sei
nur mit Primärversorgungs-
zentren möglich.
Insbesondere niedergelassene
Ärztinnen und Ärzte für All-
gemeinmedizin betrachten
das vielfach als Schlag in
ihr Gesicht: Sie betreiben in
der eigenen Wahrnehmung
Primärversorgung in großem
Umfang und verweisen darauf,
dass sie auch mit anderen the-
rapeutischen Berufen in der
Betreuung ihrer Patientinnen
und Patienten zusammenar-
beiten. Und sie weisen darauf
hin, dass sie zwei Vorteile auf
ihrer Seite haben, die im Kon-
zept von Primärversorgungs-
zentren unterrepräsentiert
sind: lange persönliche Bezie-
hungen zu ihren PatientInnen
samt familiärem Umfeld und
eine Wohnortnähe, die Zen-
tren nicht bieten können.
Niemand kann verlässlich
ausschließen, nicht auch
subjektive und ideologische
Perspektiven in seine Be-
urteilung einzubringen. Im
Wissen, dass absolute Objek-
tivität praktisch nicht denk-
bar ist, haben wir abseits der
politischen Debatte Stefan
Korsatko, Allgemeinmedizi-
ner und Medical Director
des Clinical Research Cen-
nig: Hier liegt Schweden vor
Malta, dann folgen Norwegen,
Island, Irland und Zypern.
Vier der Top 6 haben also
laut Kringos eine schwach
organisierte Primärversor-
gung, zwei eine mittelmä-
ßig organisierte. Zu einem
ähnlichen Ergebnis kommt
der Vergleich zwischen dem
Prozentsatz derer, die sich
(sehr) gesund fühlen und der
Primärversorgungsstruktur.
Die ersten fünf Länder in
diesem Ranking sind Schwe-
den, Schweiz, Norwegen, Ir-
land und die Niederlande.
Drei mittel organisiert, eines
schwach, eines stark. Ein ähn-
lich durchmischtes Bild zeigt
sich am Ende der Tabelle. Am
schlechtesten schneidet das
stark organisierte Portugal
ab. Fazit: Stark organisierte
Primärversorgung ist keine
Garantie, dass sich Menschen
gesund fühlen.
Eine Randfrage – wenn auch
eine interessante – ist in die-
sem Zusammenhang, warum
in einigen Ländern Männer
eine höhere Zahl gesunder
Lebensjahre aufweisen. Sehr
deutlich ist dieser Effekt in
den Niederlanden, Island und
der Schweiz, während in an-
deren Frauen bei den Healthy
Life Years weit besser liegen
– das gilt vor allem für Malta,
Slowenien und Tschechien.
Keine Abweichung zwischen
den Geschlechtern gibt es in
Schweden und Spanien, eine
sehr geringfügige in Deutsch-
ters an der Medizinischen
Universität Graz sowie 1.
Bundessprecher des 2016 ge-
gründeten Österreichischen
Forums Primärversorgung
(ÖFOP), gebeten, einen Blick
auf die Lage der Primärver-
sorgung in Österreich zu wer-
fen. Er – und dafür danken
wir ihm sehr herzlich – tut
das im Rahmen einer Serie,
die eine Reihe verfügbarer
Indikatoren heranzieht und
eine Reihe europäischer Län-
der vergleichend beschreibt:
den skandinavischen Block
mit Dänemark, Norwegen
und Schweden, Österreichs
Nachbarländer Deutschland,
Schweiz und Slowenien sowie
abschließend England, die
Niederlande und Portugal.
Eine Grundlage für seine Ar-
beit ist die Studie von Di-
onne Sofia Kringos, die 2012
„The strength of primary care
in Europe“ ausführlich be-
forscht hat (siehe Literatur
zum Artikel von Stefan Kor-
satko). Kringos bescheinigt
Österreich gemeinsam mit
Island, Irland, Luxemburg,
der Slowakei, Ungarn, Bulga-
rien, Malta und Griechenland
einen niedrigen Level in der
Primärversorgung. Einen ho-
Primärversorgung: Einfache
Antworten gibt es nicht
In der Gesundheitspolitik gibt es viele Wahrheiten
und in gesund-
heitspolitischen Auseinandersetzungen drohen sie alle auf der Strecke
zu bleiben. Im jüngsten Konflikt um die Artikel-15a-Vereinbarung gab es
vor allem ein Opfer: die Primärversorgung.
COVER
„Der Organisationsgrad der Primärversorgung
steht offenbar weder in Zusammenhang mit
den Kosten noch mit den Grundwerten der
Performance.“