Previous Page  8 / 60 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8 / 60 Next Page
Page Background

8

ÆRZTE

Steiermark

 || 01|2017

hen haben laut Kringos Eng-

land, Spanien, Dänemark, die

Niederlande und Slowenien.

Die Studie nimmt vor allem

den Organisationsgrad und

die finanzielle Ausstattung

der Primärversorgung in den

Fokus.

In der politischen Debatte in

Österreich quasi vorwegge-

nommen wird die Annahme,

dass Primärversorgung mit

hohem Organisationsgrad

positive Auswirkungen auf

den Gesundheitszustand in

einem Land hat. Ein (inhalt-

liches) Argument für den

Reformbedarf des österrei-

chischen Gesundheitssystems

sind ja die im europäischen

Vergleich geringen Werte an

gesunden (beeinträchtigungs-

freien) Lebensjahren (HLE).

Ob es zwischen gesunden

Lebensjahren und einer Pri-

märversorgung mit hohem

Organisationsgrad tatsäch-

lich einen ursächlichen Zu-

sammenhang gibt, darf man

allerdings in Frage stellen.

Die fünf „besten“ Länder Eu-

ropas sind bei Frauen Malta,

Schweden, Schweiz, Irland

und Island; bei Männern än-

dert sich die Reihenfolge we-

MARTIN NOVAK

Die politischen Entscheider

suggerierten, dass die Pri-

märversorgung für Öster­

reich gleichsam neu erfunden

werden müsse, und dies sei

nur mit Primärversorgungs-

zentren möglich.

Insbesondere niedergelassene

Ärztinnen und Ärzte für All-

gemeinmedizin betrachten

das vielfach als Schlag in

ihr Gesicht: Sie betreiben in

der eigenen Wahrnehmung

Primärversorgung in großem

Umfang und verweisen darauf,

dass sie auch mit anderen the-

rapeutischen Berufen in der

Betreuung ihrer Patientinnen

und Patienten zusammenar-

beiten. Und sie weisen darauf

hin, dass sie zwei Vorteile auf

ihrer Seite haben, die im Kon-

zept von Primärversorgungs-

zentren unterrepräsentiert

sind: lange persönliche Bezie-

hungen zu ihren PatientInnen

samt familiärem Umfeld und

eine Wohnortnähe, die Zen-

tren nicht bieten können.

Niemand kann verlässlich

ausschließen, nicht auch

subjektive und ideologische

Perspektiven in seine Be-

urteilung einzubringen. Im

Wissen, dass absolute Objek-

tivität praktisch nicht denk-

bar ist, haben wir abseits der

politischen Debatte Stefan

Korsatko, Allgemeinmedizi-

ner und Medical Director

des Clinical Research Cen-

nig: Hier liegt Schweden vor

Malta, dann folgen Norwegen,

Island, Irland und Zypern.

Vier der Top 6 haben also

laut Kringos eine schwach

organisierte Primärversor-

gung, zwei eine mittelmä-

ßig organisierte. Zu einem

ähnlichen Ergebnis kommt

der Vergleich zwischen dem

Prozentsatz derer, die sich

(sehr) gesund fühlen und der

Primärversorgungsstruktur.

Die ersten fünf Länder in

diesem Ranking sind Schwe-

den, Schweiz, Norwegen, Ir-

land und die Niederlande.

Drei mittel organisiert, eines

schwach, eines stark. Ein ähn-

lich durchmischtes Bild zeigt

sich am Ende der Tabelle. Am

schlechtesten schneidet das

stark organisierte Portugal

ab. Fazit: Stark organisierte

Primärversorgung ist keine

Garantie, dass sich Menschen

gesund fühlen.

Eine Randfrage – wenn auch

eine interessante – ist in die-

sem Zusammenhang, warum

in einigen Ländern Männer

eine höhere Zahl gesunder

Lebensjahre aufweisen. Sehr

deutlich ist dieser Effekt in

den Niederlanden, Island und

der Schweiz, während in an-

deren Frauen bei den Healthy

Life Years weit besser liegen

– das gilt vor allem für Malta,

Slowenien und Tschechien.

Keine Abweichung zwischen

den Geschlechtern gibt es in

Schweden und Spanien, eine

sehr geringfügige in Deutsch-

ters an der Medizinischen

Universität Graz sowie 1.

Bundessprecher des 2016 ge-

gründeten Österreichischen

Forums Primärversorgung

(ÖFOP), gebeten, einen Blick

auf die Lage der Primärver-

sorgung in Österreich zu wer-

fen. Er – und dafür danken

wir ihm sehr herzlich – tut

das im Rahmen einer Serie,

die eine Reihe verfügbarer

Indikatoren heranzieht und

eine Reihe europäischer Län-

der vergleichend beschreibt:

den skandinavischen Block

mit Dänemark, Norwegen

und Schweden, Österreichs

Nachbarländer Deutschland,

Schweiz und Slowenien sowie

abschließend England, die

Niederlande und Portugal.

Eine Grundlage für seine Ar-

beit ist die Studie von Di-

onne Sofia Kringos, die 2012

„The strength of primary care

in Europe“ ausführlich be-

forscht hat (siehe Literatur

zum Artikel von Stefan Kor-

satko). Kringos bescheinigt

Österreich gemeinsam mit

Island, Irland, Luxemburg,

der Slowakei, Ungarn, Bulga-

rien, Malta und Griechenland

einen niedrigen Level in der

Primärversorgung. Einen ho-

Primärversorgung: Einfache

Antworten gibt es nicht

In der Gesundheitspolitik gibt es viele Wahrheiten

und in gesund-

heitspolitischen Auseinandersetzungen drohen sie alle auf der Strecke

zu bleiben. Im jüngsten Konflikt um die Artikel-15a-Vereinbarung gab es

vor allem ein Opfer: die Primärversorgung.

COVER

„Der Organisationsgrad der Primärversorgung

steht offenbar weder in Zusammenhang mit

den Kosten noch mit den Grundwerten der

Performance.“