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Achtung: Arzt

Ich kann mich noch gut an das Erscheinen des Buches „Bittere
Pillen“ von Kurt Langbein, Hans-Peter Martin und Hans Weiss
im Jahr 1983 erinnern. Das Buch hat rund 10.000 verschrei-
bungspflichtige und rezeptfreie Medikamente auf Sinnhaftigkeit
und Nebenwirkungen untersucht und dabei sehr viele negative
Urteile ausgesprochen. Die Pharmaindustrie war begreiflicher-
weise nicht glücklich über den Erfolg des Buches, wurde doch
erstmals angezweifelt, dass das Schlucken von Pillen Krankheiten
und Sorgen einfach wegblasen könne.
Noch giftigere Stellungnahmen kamen aber von Ärzten und
ihren Funktionären. „Eine Zumutung von der ersten bis zur letz-
ten Seite“, schrieb etwa das „Deutsche Ärzteblatt“ in einer ers-
ten Stellungnahme. Und das war doch verwunderlich. Denn
damit sagten die Ärztefunktionäre, dass sie es eine Zumutung
finden, mit ihren Patienten zu kommunizieren. Natürlich haben
diese plötzlich mehr Fragen gestellt, waren skeptischer und woll-
ten sich nicht mehr durch Arzneimittel ruhigstellen lassen. Theo-
retisch hätten sich die Ärzte darüber freuen können, dass ihre
Patienten sich genauer mit ihrer Gesundheit und der Wirkung
von Medikamenten beschäftigen. Aber wer mehr weiß, stellt
auch mehr Fragen. Ein Gesundheitssystem, das Ärzte dazu ver-
führt, sich mit vielen Patienten nur kurz zu unterhalten, macht
aus Menschen Krankheitsfälle, die abgearbeitet werden müssen,
egal ob sie dabei gesund werden oder nicht. Aber die Ärzte müs-
sen plötzlich so viel auf einmal lernen: zuhören, erklären, Ängste
ernst nehmen, Nähe zulassen. Für all das gibt es weder Pulverl
noch Krankenschein oder E-Card und bis jetzt auch keine Aus-
bildung.

Im Überlebenskampf an den Universitätskliniken lernen man-
che Ärzte besser, manche schlechter, wie wichtig Kommunikation
für die Karriere ist. Aber das hilft den Patienten noch nicht. Ärzte
haben ja den großen Vorteil, dass ihr Image noch immer sehr gut ist
und man ihnen auch hohe Einkommen nicht neidet. Das wäre
also eine gute Ausgangsbasis für Kommunikation.
Dazu noch eine wahre Geschichte. Das kleine Mädchen von
Bekannten musste wegen einer Infektion ins Krankenhaus. Nach
ein paar Tagen, als sich Mutter und Kind schon wieder auf den
Weg nach Hause vorbereiteten, kam plötzlich der Oberarzt ins
Zimmer und ordnete nach kurzer Begrüßung beider anwesender
Eltern an: „Der Bub kriegt noch ein, zwei Tage intravenös sein
Antibiotikum.“ Die Eltern des Mädchens waren zunächst ratlos
und verunsichert, wie ein Arzt ein kleines Kind, das eindeutig
wie ein Mädchen aussieht, als Buben bezeichnen und genau das
Gegenteil von dem, was es brauchte, verordnen konnte. Sie wuss-
ten, dass ihr Kind gar kein Antibiotikum bekam, das Mädchen
litt nämlich unter einer Virusinfektion. Die Antwort war relativ
einfach zu finden: Der Oberarzt hatte das Kind offensichtlich mit
dem kleinen Patienten aus dem Nebenzimmer verwechselt. Aber
wie man ein ärztliches Statement abgeben kann, ohne den Pa-
tienten anzuschauen, und sei er noch so klein, ist mir bis heute
nicht klar. Für uns Patienten heißt das: Zuhören, was uns der
Arzt sagt, dann aber auch selbstbewusst auftreten. Und, liebe
Ärzte, sprecht bitte in einer Sprache, die auch Nichtmediziner
verstehen.
Was wir alle aus unseren Erfahrungen wissen, wies Ende 2007
eine Studie an der Duke University in Durham, North Carolina,
nach. Die Studienautoren beobachteten 51 Onkologen in ihrem
kommunikativen Verhalten mit Krebspatienten. In rund 400 Ge-
sprächen kam es zu weniger als 300 „empathic opportunities“,
also Augenblicken, wo ein persönliches Gespräch über die Ängste
der zum Großteil Schwerkranken möglich war. Zwei Drittel der
Ärzte sagten anschließend, ihnen seien die technischen und wis-
senschaftlichen Aspekte ihres Berufs wichtiger als der persönliche
Zugang zum Patienten.
Ärzte werden noch einen weiten Weg gehen müssen, bis wir
eine zufriedenstellende Kommunikation in unseren Spitälern und
Ordinationen vorfinden. Jeder von uns kann heute auf Tausenden
Internetseiten alle Krankheiten, mögliche Auslöser und Heilungs-
methoden finden. Ärzte müssen begreifen, dass ein Gutteil ihres
Jobs in Kommunikation besteht. Schön, wenn die medizinischen
Universitäten das begreifen und den Lehrplan darauf einstellen
würden.

Aus:
Helmut Brandstätter
Hör. Mir. Zu.
Drei Schritte ins Jahrtausend der Kommunikation
Salzburg: Ecowin Verlag GmbH, 2008
ISBN: 978-3-902404-52-7

http://www.ecowin.at/Hoer_Mir_Zu.182.0.html?&tx_jppageteaser_pi1[backId]=26
 




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