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30

ÆRZTE

Steiermark

 || 10|2017

FORSCHUNG

die ihre Eigenreparatur per-

fektionieren“, erzählt Lep-

perdinger. Die Turritopsis

dohrnii beispielsweise, be-

kannt als unsterbliche Qualle,

verwendet Zellen ihres Au-

ßenschirms wieder zu Kei-

men eines neuen Polypen

und erneuert sich so aus dem

eigenen Gewebe.

Eine weitere Möglichkeit

heißt Wachstum: So lebt das

größte Lebewesen der Welt,

ein Riesenhallimasch, seit

mehr als 2.000 Jahren im

US-amerikanischen Oregon.

Sein Myzel erstreckt sich über

neun Quadratkilometer und

U. JUNGMEIER-SCHOLZ

„Wie alt kann der Mensch

werden?“, lautet die Kernfrage

des Salzburger Stammzellen-

forschers Günter Lepperdin-

ger bei den Grazer Fortbil-

dungstagen. „So um die 120

Jahre“, so seine Antwort. Seit

1997 hält Jeanne Calment mit

122 Jahren und 164 Tagen

Lebenszeit den Rekord. Trotz

aller Fortschritte der Medizin

konnte in den vergangenen

20 Jahren kein Mensch ih-

ren Rekord brechen. Dass

mit höherer Wahrscheinlich-

keit mehr Frauen als Männer

weit über hundert werden,

erläutert Lepperdinger folgen-

dermaßen: „Aufgrund ihrer

biologischen Aufgabe bei der

Reproduktion favorisiert die

Evolution Frauen und stattet

ihren Organismus mit mehr

Pufferkapazität aus. Frauen

stecken mehr weg, sind aber

dafür unter Umständen län-

ger krank.“

Überlebensstrategie

der Art

Auch wenn es dem Einzelnen

so vorkommen mag: Altern

ist keine Kränkung der Natur,

sondern eine Überlebensstra-

tegie unserer Art. „Im Sinne

der Evolution muss nicht das

Individuum überleben, son-

dern die Population“, so Lep-

perdinger. „Das kann sie aber

nur, wenn sie sich wechseln-

den Umgebungsbedingungen

optimal anpasst.“ Daher wird

im Zuge der Reproduktion

wie in der Lotterie das Erb-

gut vermischt und nach dem

Zufallsprinzip neu zusam-

mengesetzt. Ein paar ziehen

ein „Gewinnerlos“, sind also

besonders anpassungsfähig.

Der Nachteil dieser popu-

lationsorientierten Erneue-

rungsstrategie liegt im Ener-

gieverlust: „Der Organismus

stellt nicht nur für das eigene

Überleben Ressourcen zur

Verfügung, sondern auch für

die Reproduktion. Genau jene

Energie, die in die Fortpflan-

zung fließt, fehlt ihm dann für

die Optimierung seiner Re-

paraturmechanismen“, erläu-

tert der Stammzellenforscher.

Wer sich die Reproduktion

spart, hat mehr Energie für

sich selbst: Tierversuche zei-

gen, dass sich das Altern nach

einer Kastration verlangsamt.

Ebenso bedeutsam für das

Altern sind Fehler durch häu-

figes Kopieren der DNA oder

Schäden am Erbgut durch

Schadstoffe des Stoffwechsels

oder ionisierende Strahlung.

Im Laufe der Zeit erlahmt zu-

dem das Immunsystem und

eliminiert weniger veränderte

Zellen.

Best practice:

Qualle und Pilz

„Von anderen Arten kennen

wir verschiedene Strategien

gegen das Altern. Es gibt

welche, die nur während ei-

ner ausgewählten Zeitspan-

ne Reproduktionsenergie zur

Verfügung stellen, und solche,

Stammzellenforscher Günter Lepperdinger,

Referent bei den Grazer

Fortbildungstagen, erklärt die Ursachen des Alterns, die Taktik der

Turritopsis dohrnii und das Prinzip der Autophagie.

Lernen von der

unsterblichen Qualle

wiegt soviel wie drei Blau-

wale. Ob ihm jemand ein

paar Fruchtkörper entnimmt

oder nicht, tangiert ihn nur

oberflächlich. „Unendliches

Leben ist daher keine Utopie“,

erklärt Lepperdinger. Wenn

auch für den Menschen noch

unvorstellbar. Von Natur aus

benachteiligt müsse sich der

Mensch aber nicht fühlen. Er

zähle im Tierreich in punc-

to Lebenserwartung ohnehin

zu den Bevorzugten. Grön-

landwal und Islandmuschel

können allerdings mehrere

hundert Jahre alt werden ...

Im Hunger(n)

liegt die Kraft

Neben einer gesunden Le-

bensweise, Einbettung in ein

schützendes soziales Netz so-

wie präventiver Gesundheits-

vorsorge kann jeder Mensch

sein Leben auch durch Fasten

verlängern. „Wird keine En-

ergie von außen zugeführt,

bleibt das Bedürfnis des Kör-

pers nach Wachstum trotz-

dem aufrecht. Dann holt er

sich Energie von innen, ver-

wertet alte Körperzellen und

baut Neues daraus.“ Für die

Entdeckung dieses Prinzips

der Autophagie erhielt der

japanische Arzt Yoshinori

Ohsumi 2016 den Nobelpreis.

Die Autophagie lässt sich zu-

dem pharmakologisch sti-

mulieren, wie kürzlich Gra-

zer ForscherInnen um Frank

Madeo mit ihrer Arbeit zu

Spermidin gezeigt haben.

Sogar Medikamente können

Fotos: Wikimedia/Creative Commons, Paris Lodron Iniversität Sazburg

„Altersexperten“ Grönlandwal,

Islandmuschel, Hallimasch …