Ærzte
Steiermark
 || 04|2014
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So gerne würde die Politik eine Gesundheitsversor-
gung ohne Ärztinnen und Ärzte machen. Auf dem
Papier geht das ja schon. Man spricht von Gesund-
heitsdiensteanbietern und schreibt sogar „Primary-
Care“-Konzepte, in denen die Worte Ärztin oder
Arzt nicht vorkommen. Und dann passiert es: Das
tolle Konzept für die Früherkennungsmammogra­
fie kommt nicht aus den Startlöchern. Der anony­
me Erinnerungsbrief aus der Sozialversicherung,
erkennbar maschinenverarbeitet und ohne Mensch
dahinter, zeigt nicht die erwünschte Wirkung.
Und ganz plötzlich werden die Ärztinnen und
Ärzte wieder wichtig. Diese Erkenntnis wird
natürlich gleich einmal in einen Vorwurf geklei-
det. Die Ärztinnen und Ärzte würden sich nicht
ausreichend einbringen, vielleicht sogar einen
„Machtverlust“ fürchten. Das Gegenteil ist der
Fall: Weil der Grundgedanke, nämlich Frauen,
die bisher der Früherkennung ferngeblieben sind,
zu motivieren, völlig richtig ist, hat die Ärzte-
schaft an diesem Projekt konstruktiv mitgewirkt.
Um aber die tatsächlichen Probleme zu erkennen,
genügt ein Blick in die Statistik: Gesundheits-
informationen wollen die Österreicherinnen
lieber persönlich in der Arztpraxis bekommen
als von irgendeiner anonymen Stelle, online oder
per Brief. Zentralisierung und Anonymisierung
funktionieren im Gesundheitsbereich nicht. Die
richtige Schlussfolgerung ist also, den Stellenwert
der persönlichen Betreuung in der Arztpraxis zu
erhöhen, und nicht ihn zu unterminieren.
Neue Angebote sind notwendig, keine Frage.
Aber unter Umgehung der ärztlichen Zuwendung
funktionieren sie nicht. Daher ist jeder Cent, der
in den „Ärzte-Bypass“ gesteckt wird verschwen-
detes Geld. Und jeder Cent, der in persönliche
ärztliche Beratung investiert wird, kommt viel-
fach zurück.
Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli
ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.
Aus heiterem Himmel kam der Brief aus Brüssel über Österreich.
Das Krankenanstaltenarbeitszeitgesetz entspricht nicht der eu-
ropäischen Arbeitszeitrichtlinie. Eine Klage droht. Nun, diese
Arbeitszeitrichtlinie ist ein Jahrzehnt alt. 2010 gab es einen Be-
richt der Europäischen Kommission dazu, 2011 einen (opposi-
tionellen) Antrag im Nationalrat. Österreich hat also ein gutes
Jahrzehnt nichts getan. Die Wochenarbeitszeit von 60 bzw. 72
Stunden auf 48 zu reduzieren, ist natürlich ein massives Problem.
Aber auch massive Probleme sind leichter zu lösen, wenn man
rechtzeitig damit beginnt.
Ein erster Schritt muss es
sein, die Durcharbeitszeit
auf die immer noch groß-
zügigen 25 Stunden zu
reduzieren, die Ärztinnen
und Ärzten immer noch
sehr viel abverlangen, aber
immerhin eine Verbesse-
rung darstellen. Leider ist es auch um dieses Thema jetzt wieder
verdächtig ruhig geworden. Ignorieren, Abstreiten, Wegschauen,
den Kopf in den Sand stecken, das ist ein Grundproblem der
Gesundheitspolitik. Es soll ja immer noch „Experten“ geben, die
bestreiten, dass es einen Ärztemangel gibt. Klar, es gibt ihn welt-
weit, es gibt ihn überall in Europa. Aber in Österreich … sicher
nicht. Die Ärztekammer hat auf diese Herausforderungen immer
frühzeitig hingewiesen. Aus Verantwortung für die Qualität der
Gesundheitsversorgung, die wir empfinden, obwohl selbstherr-
liche PlanerInnen und ÖkonomInnen lieber Theorien entwickeln,
anstatt aus der Praxis zu lernen.
Langsam sollten die politischen VerantwortungsträgerInnen aus
ihren schlechten Erfahrungen mit diesen ExpertInnen lernen
und begreifen, dass spät immer teuer und schlecht bedeutet. Was
für die Medizin gilt, dass Prävention und Früherkennung zu
besseren Ergebnissen führt, gilt für die Gesundheitspolitik noch
viel mehr.
So schwierig ist das nicht: Es würde völlig genügen, statt Ar-
beitskreise und Konferenzen abzuhalten, gelegentlich einfach
in ein Krankenhaus oder in eine Artpraxis zu gehen und sich
dort authentisch zu informieren. Ihre so genannten ExpertInnen
könnten die PolitikerInnen gleich mitnehmen – oder sie über-
haupt zu Hause lassen.
Dr. Herwig Lindner ist Präsident der
Ärztekammer Steiermark.
extra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 44.
Jörg Garzarolli
Ohne Ärztinnen und
Ärzte geht es nicht
debatte
Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, beigestellt, Grafik: Mirko Maric´
Standortbestimmung
Herwig Lindner
Politische Ignoranz und
Wunschdenken der Planer
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