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ÆRZTE

Steiermark

 || 11|2016

BUCHBESPRECHUNG

Foto: Creative Commons/ John D. and Catherine T. MacArthur Foundation, S. Fischer

Was am Ende wirklich zählt

PETER MRAK

Mit dem Bestseller „The

Checklist Manifesto“ und sie-

ben Millionen verkauften Ex-

emplaren untermauerte Atul

Gwande 2009 eindrucksvoll

die Notwendigkeit der Ver-

wendung von Checklisten in

der Medizin und das auf sehr

lesbare und unterhaltsame

Art.

Atul Gawande bleibt ein un-

verbesserlicher Wiederho-

lungstäter. Auch sein neuestes

Buch legt wieder den Finger

in eine Wunde, die aktueller

nicht sein könnte.

In seinen zahlreichen mensch-

lich bewegenden und litera-

risch anspruchsvollen short

stories, die regelmäßig im

„New Yorker“ veröffentlicht

werden, berührt er als kun-

diger Insider und erfolgreicher

Chirurg die Grenzzonen der

ärztlichen Profession und de-

ren ethische Dimensionen.

Jedenfalls ist er ein exzellenter

Schriftsteller, zudem ein bril-

lanter Redner. Wovon man

sich auch auf Youtube über-

zeugen kann.

Er unterbrach sein Medizin-

studium für ein Jahr , um Bill

Clinton zum Präsidenten der

Vereinigten Staaten zu ver-

helfen, nach Studien an Stan-

ford, Oxford schloss er sein

Studium 1995 erfolgreich an

der Harvard Medical School

ab. Aktuell ist er Professor

of Surgery, Harvard Medical

School, General and Endo-

crine Surgeon, Brigham and

Women’s Hospital sowie Exe-

cutive Direktor

von Ariadne

Labs, wo er

unter anderem

mit der WHO

an Program-

men arbeitet,

um die globale

Ve r s o r g u n g s -

landschaft in

der Chirurgie

aber auch in der

Geburtshilfe zu

verbessern.

Und dieser Atul

Gawande hat es, wie gesagt,

wieder getan: diesmal mit

einem neuerlichen Bestseller

über … ja diesmal die Ge-

riatrie! Damals Checkliste,

diesmal Geriatrie! – tickt

der noch richtig, oder ist er

einfach seiner Zeit voraus? Es

heißt schlicht „Being mortal:

Illness, Medicine and what

matters in the End“.

Aus der Tatsache heraus, dass

wir alle sterblich sind („de-

cline remains our fate“), stellt

Gawande grundlegende Über-

legungen zur medizinischen

Betreuung alter

Menschen an,

zitiert Studien,

die eindeutige

Ergebnisse lie-

fern: Es macht

einen großen

Unterschied, ob

man als älterer,

multimorbider

Mensch einem

geriatrisch ge-

bildeten

team

approach

be-

gegnet (Inter-

vention) oder

nur einer sogenannten „usual

care“. In ersterem Fall entgeht

man 25 Prozent häufiger dem

Schicksal, als Pflegefall zu en-

den. (Boult et al. JAGS 2001).

Atul Gawande schwärmt in

dem Buch von einer wunder-

baren Erfindung, dem „auto-

matic defrailer“, einem in-

telligenten electronic device,

welches, minimal invasiv

unter das Schlüsselbein im-

plantiert und elegant zum

Herzen geleitet, vielerorts ein-

gesetzt werden könnte … es

verhindert hocheffektiv Stür-

ze, Pflegebedürftigkeit, Frail-

ty, Depression … aber nur ist

dieser hocheffektive „defrai-

ler“ gar kein faszinierendes

technisches Gerät, sondern

„nur“ das Geriatrische Basis

Assessement“

… instead it was

just geriatrics ...

2001 interessierte das auch in

den USA niemanden. Studi-

enautor Chad Boult musste

nach seiner spektakulären

Publikation zusehen, wie

seine Division of Geriatrics

an der Minnesota University

mangels Finanzierungsmög-

lichkeit geschlossen wurde.

Das empfehlenswerte neue

Buch Atul Gawandes endet

mit der berührenden Schil-

derung der Totenfeier von

Gawandes Vaters, ebenfalls

Arzt, nach hinduistischem Ri-

tus. Dabei durfte er als ältester

Sohn, nachdem er zuvor drei

Löffel Ganges-Wasser zu sich

genommen hatte, die Asche

über die rechte Schulter in

den Ganges streuen … ohne

sich umzublicken.

Prim. Dr. Peter Mrak ist Ärzt-

lichen Direktor und Leiter der

Abteilung für Innere Medizin

und Akutgeriatrie/Remobili-

sation des LKH Voitsberg.

Atul Gawande: Being Mortal:

Illness, Medicine and What

Matters in the End, Profile

Books 2014. Deutsche Fas-

sung: Sterblich sein: Was am

Ende wirklich zählt. Über

Würde, Autonomie und eine

angemessene medizinische

Versorgung, Fischer Verlag,

2015. Sowohl die englische als

auch die deutsche Fassung

sind als E-Book erhältlich.

Der amerikanische Chirurg Atul Gawande

rüttelt mit seinen Büchern die

medizinische Welt auf. Jetzt hat er es wieder getan.

„… schließlich ist

unser Ziel nicht der

gute Tod, sondern

das gute Leben am

Ende.“

Atul Gawande