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ÆRZTE

Steiermark

 || 11|2016

31

NACHRUF

WOLFGANG ROUTIL

Helmut Hammer ist

nicht mehr. Fast un-

wirklich klang diese

Mitteilung, in nahezu

ungläubigem Staunen

vernahmen wir die

traurige Nachricht. Im-

mer war er da.

Fast ein Jahrhundert lang

hat er Patienten und Ärzte

begleitet. ‚Einer von uns‘ zu

schreiben, wäre wohl zu kurz

gegriffen. Er war einer meh-

rerer Generationen von uns

und hat in seinem unermüd-

lichen Dasein Wegbegleiter,

Widersacher, Schützlinge und

jüngere Kollegen überlebt,

die ihn während der Zeit

ihres Einsatzes in der Ärzte-

kammer kannten, schätzten,

fürchteten oder um ihn ein-

fach nicht herum konnten.

Bei unserem ersten Kennen-

lernen in den siebziger Jahren

(ich war damals Studenten-

vertreter), Helmut Hammer

war damals Vizepräsident der

Ärztekammer, hatten wir ihn

ebenso wie den damaligen

Präsidenten Richard Piaty zur

Diskussion über die Zukunft

des ärztlichen Berufes zum

Referat in den Hörsaal gela-

den. Während sich Piaty mit

kritischen Worten über uns

„Studenten von heute“ nicht

zurückhielt, war Hammer

immer verbindlich – auch

in der Kritik – suchte das

Nahgespräch und saß mit

uns bis nach Mitternacht im

legendären Schuberthof, um

über Hippokrates, Gott und

die Welt zu diskutieren.

Differenzierte Haltungen zu

Kirche und Sozialstaat wa-

ren bei ihm wiederholt zu

bemerken. Und auch zum

Nationalsozialismus: Seine

Wahrnehmungen dieser Zeit,

die er im Kriegsdienst erlebt

hatte, brachte er mutig und

offen zum Ausdruck. Er hat

sich damit nicht nur Freunde

gemacht.

Suspekt war ihm bei solchen

Diskussionen das unreflek-

tierte Ab- und Verurteilen

durch Vertreter späterer Ge-

nerationen und das reflexartig

vorgetragene „Ersatzhelden-

tum“ durch die Standardfor-

meln der „political correct-

ness“. Kritisch konnte er in

beide Richtungen sein. Kam

ihm jemand mit platten Flos-

keln oder dünnen Ausreden,

konnte man ihn durchaus

auch zornig erleben. Seine

Markenzeichen waren den-

noch Güte, Verständnis – und

Humor.

Helmut Hammer war immer

aktiv. Bei unseren Versamm-

lungen und Diskussions-

abenden war er oft der Erste,

der kam – und immer der

Letzte, der ging. Mit wachem

Geist, wissbegierig, neugierig,

umtriebig, nach Problemlö-

sungen suchend, hat er uns als

Arzt und politischer Mensch

die Kunst des aktiven Zuhö-

rens vorgelebt.

Analysiere, bevor du planst,

verstehe auch die Motivation

des anderen, wäge ab, doch

nütze deine Chance und ver-

folge beharrlich deine Sache,

wenn du überzeugt bist.

Das haben wir – die wir als

tatendurstige Turnusärzte die

Kammer auf den Kopf stellen

wollten – von ihm gelernt

und oft nach wiederholten

geduldigen Hilfestellungen

lernen müssen: Behalte stets

das Ganze im Auge. Es ist

deine Verantwortung. Das

war sein persönliches Credo.

Das Credo eines bekennenden

Agnostikers.

Die Güte einer politischen In-

itiative bewertete er stets nach

demMaßstab des

nihil nocere.

Alles was wir tun oder unter-

lassen, darf weder unseren

Patienten noch den Ärzten in

ihrer Gesamtheit schaden.

Um den Arzt und Dichter

Gottfried Benn zu Wort kom-

men zu lassen: „Erkenne die

Lage und handle danach.“ –

Aber auch – gemäß Cicero:

„Respice finem“.

Das waren

Einstellungen, die uns Hel-

mut Hammer nahebrachte.

Und so forderte und förderte

er uns Junge der „Vereini-

gung“ – damals noch „Ärzte-

bund“ – in den achtziger Jah-

ren als aktiver Vizepräsident

der Ärztekammer Steiermark

und brachte uns auch die

bundesweite Sicht der ärzt-

lichen Berufsvertretung nahe.

Helmut Hammer bezog

immer Position und brach-

te seine Überzeugung zum

Ausdruck – auch wenn er

oft wusste, dass eine grund-

sätzliche Meinung oder ein

Antrag nicht „mehrheitsfä-

hig“ war.

So stand er oft im Schatten

seines Rivalen, des „Volkstri-

bunen“ Piaty – konnte sich

nicht durchsetzen und sollte

dennoch dann und wann in

der Sache durch spätere Ent-

wicklungen recht behalten,

was er mit einem milden

Lächeln quittierte, ohne auf-

zutrumpfen.

Viele Höhen und Tiefen hat

er in seinem langen ärztlichen

Leben durchschritten.

Der angestrebte Wunsch, ein-

mal selbst das Präsidentenamt

in der steirischen Ärztekam-

mer zu gestalten, blieb ihm

versagt. Die Genugtuung,

dass seinen Nachfolgern in

der „Vereinigung“, darunter

meiner Person, der politische

Erfolg schließlich gelang,

konnte er mit Stolz und Zu-

friedenheit verbuchen. Für

mich persönlich war er ins-

besondere in meinen ersten

Jahren als Präsident ein un-

schätzbar wertvoller Ratgeber

und väterlicher Freund.

Als er nun schon vor einigen

Jahren nach einer schweren,

aber erfolgreichen Operation

sehr niedergeschlagen war und

bei meinem Besuch den Ein-

druck vermittelte, dass er nicht

mehr recht wolle, konnte ich

ihn noch einmal aufrütteln,

wie er mir später dankbar

erzählte. Er war wieder da,

besuchte die Seniorenabende

der Ärzte und nahm auf seine

Weise Anteil am gesundheits-

politischen Geschehen.

Nun ist der Unermüdliche

seinen letzten Weg aus dieser

Welt gegangen. Der sanfte

Kämpfer ist im Reich der Stil-

le. Mit ihm schließt sich ein

beinahe hundertjähriges Kapi-

tel der steirischen Ärzteschaft.

Dr. Wolfgang Routil, Arzt für

Allgemeinmedizin in Graz,

war Nachfolger Helmut

Hammers als Vorsitzender

der „Vereinigung Steirischer

Ärzte“ von 1988–2012.Von

1989–2003 und wieder von

2007–2012 war er Präsident

der Ärztekammer Steiermark

und von 1994–1999 Vizeprä-

sident der Österreichischen

Ärztekammer.

Gedenken an einen Unermüdlichen

Behalte stets das Ganze im Auge. Es

ist deine Verantwortung.

Das war sein

persönliches Credo.