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ÆRZTE

Steiermark

 || 11|2015

7

Nach den Vorstellungen der Bundesgesund-

heitsplanung soll bis Ende 2016 ein (!) Prozent

der steirischen Bevölkerung mit PHCs versorgt

werden. Ein Prozent der steirischen Bevölkerung,

das sind weniger Menschen, als der Grazer Bezirk

Liebenau Einwohner hat. Dieser Vergleich kommt

nicht von ungefähr, denn es gibt konsensuelle

Bemühungen, dem Wunsch des SMZ Liebenau

gerecht zu werden und ihm die Möglichkeit zu

verschaffen, als Primary Health Care Center

(eben PHC) agieren zu können. Das ist nicht ganz

einfach, aber es scheint möglich, auch ohne um-

strittenes Gesetz.

Gleichzeitig geht die Entwicklung „virtueller“

PHCs im Bereich der

Styriamed.net

-Regionen

stetig voran, vor allem in Hartberg-Fürstenfeld

und Leibnitz bemüht man sich sehr um die Ein-

beziehung weiterer Gesundheitsberufe in das

„Team rund um den Hausarzt“. Und in der Steier-

mark vergessen wir auch die Fachärzte nicht.

Wenn diese Projekte gelingen, sind in der Stei-

ermark bald mehr als 15 (und nicht ein) Prozent

der Bevölkerung kooperativ versorgt. Unter

Berücksichtigung aller

Styriamed.net

-Regionen

liegen wir bereits bei mehr als 60 Prozent.

Was lernen wir daraus? Wenn man mehr Team-

work und mehr Zusammenarbeit will – und das

wollen wir alle – dann muss das Teamwork be-

reits in der Planung stattfinden.

Sinnlose Propaganda (dazu zähle ich auch eine

Umfrage des Hauptverbandes, die eine große Zu-

stimmung zu PHCs bejubelt, obwohl die meisten

nicht einmal wissen, was das ist) und politische

Patzigkeit (man denke nur an die PHC-Gesetzes-

diskussion) sind aber das Gegenteil von Team-

work. Das ist ein einsamer politischer Blindflug,

der zum Crash führen wird. Wer die Ärzte über-

tölpeln will, schadet den Patienten.

Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli

ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.

Das Muster zieht sich seit Längerem durch Österreichs Gesund-

heitspolitik: Es wird viel von mehr Qualität, mehr Selbstbestim-

mung der PatientInnen erzählt – und dann eine Lösung vorge-

schlagen, die nur eines ist: billig.

Das Ziel ist es immer, die Ärztinnen und Ärzte einzuschränken.

Weil professionelle, kompetente Behandlung nun einmal Kosten

verursacht.

Das jüngste (wenn auch schon länger köchelnde) Projekt heißt

Self Care, Selbstbehandlung. Die „selbstbestimmten“ Patien-

tinnen und Patienten

suchen keine ärztliche

Hilfe mehr, sondern

nehmen die Sache selbst

in die Hand. Bei der

Diagnose hilft kostenlos

Dr. Google, er macht

auch gleich Therapievor-

schläge – und das frei erhältliche, billige, aber selbst zu kaufende

Medikament holen sich die selbstbestimmte Patientin und der

selbstbestimmte Patient dann in der Apotheke.

Die selbstbestimmten Patientinnen und Patienten, die idealerwei-

se alle über ein abgeschlossenen Medizinstudium und dazu die

jeweils nötige Facharztausbildung verfügen (eine wird nicht genü-

gen), damit sie zwischen selbst behandelbaren Wehwehchen und

schweren Erkrankungen, die dann doch fachliche Hilfe erfordern,

unterscheiden können, sind dann wirklich billig. Wenn man die

Folgeschäden bis zu schweren chronischen Erkrankungen und frü-

her Erwerbsunfähigkeit einmal nicht in Rechnung stellt.

Unterm Strich ist das, was enthusiastisch Selbstbestimmung

und euphorisch Selbstbehandlung heißt, nichts anderes als eine

Selbstverstümmelung der Gesundheitsversorgung. Das Geld, das

dadurch gespart wird, muss dann aber in Form von Sozial- und

Pensionsleistungen aus anderen Töpfen gleich mehrfach bezahlt

werden. Es sei denn, man verstümmelt auch dort und lässt die

Menschen überhaupt im Regen stehen.

Bevor das geschieht, wäre es aber endlich Zeit dafür, eine volks-

wirtschaftliche Gesamtrechnung anzustellen. Nur so wird sicht-

bar, welche schwerwiegenden Konsequenzen eine – noch – lang-

same Zerstörung der – noch – guten Gesundheitsversorgung in

Österreich hat.

Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark.

EXTRA

Weiterer Kurienbericht ab Seite 45.

Jörg Garzarolli

Politischer Blindflug

führt zum Crash

DEBATTE

Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, Furgler, Hassler/Kleine Zeitung. Grafik: Mirko Maric´

STANDORTBESTIMMUNG

Herwig Lindner

Selbstverstümmelung der

Gesundheitsversorgung