

ÆRZTE
Steiermark
|| 09|2015
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„Rund-um-die-Uhr-Versorgung“, Entlastung der
Spitalsambulanzen, familienfreundliche Arbeits-
zeiten für die dort tätigen Ärztinnen und Ärzte,
Stärkung des Hausärzteprinzips … Die PHC-Pro-
ponentInnen, allen voran die Gesundheitsministe-
rin, aber auch Gesundheitspolitikerinnen wie die
Wiener Stadträtin Wehsely und Kassenverantwort-
liche, versprechen eine Gesundheitsversorgung, in
der für alle Milch und Honig fließen.
Die Realität sieht anders aus: „Richtige“ Zentren
wird es nur in Städten geben. Sie sind also nichts
anderes als eine durch einen Gesamtvertrag, der
keiner ist, ungeschützte Billigmedizin-Konkurrenz
für die niedergelassenen Allgemeinmedizine-
rinnen und -mediziner dort.
Rund-um-die-Uhr-Versorgung? Das Vorzeige-
projekt in Wien-Mariahilf hat 41,5 Stunden pro
Woche offen, ein öffentliches Krankenhaus 120
Stunden. Die 41,5-Stunden schaffen viele niederge-
lassene Arztpraxen ganz alleine, vor allem, wenn
man die Arbeitszeiten berücksichtigt und nicht
(nur) die ausgeschilderten Öffnungszeiten. Bei
PHCs sind diese Zeiten aber wohl identisch, sonst
wären sie ja nicht familienfreundlich.
Also auch keine Entlastung der Spitalsambulanzen,
dafür werden schon die engen Leistungskataloge
sorgen und Tarife, die noch unter denen niederge-
lassener Kassenärztinnen und -ärzte liegen werden.
Aber ein Gesetz muss her. Natürlich eines, das alle
Macht den Krankenkassen gibt, die nach Belie-
ben Einzelverträge machen und den kassenfreien
Raum auf Null reduzieren werden. Sicher, Koope-
rationen mit anderen Gesundheitsberufen (Phy-
siotherapie, Ergotherapie, Pflege …) sind toll. Nur
gibt es die auch schon, soweit es rechtlich möglich
ist. PHCs bringen nur Staatsmedizin und Frei-
heitsentzug. Sie sind eine Mogelpackung, gegen die
jeder sein muss, der Patientenrechte ernst nimmt.
Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli
ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.
Mehr als 130 Millionen pro Jahr soll die Eindämmung des Sozi-
albetrugs allein den Krankenkassen bringen und so zur Finan-
zierung der Steuerreform beitragen. Das klingt gut. Tatsächlich
beträgt der messbare Schaden durch einzelne e-card-Betrüger
und „Krankenstandserschleicher“ laut Beantwortungen parla-
mentarischer Anfragen und Medienberichten aber nur einige
hunderttausend Euro pro Jahr, also nur einen Bruchteil der an-
geblich einzusparenden Summe.
Da wird ein riesiger Theaterdonner veranstaltet, der offenbar
keinen nennenswerten finanziellen Nutzen bringen kann, aber
die Österreicherinnen und Österreicher unter
Generalverdacht stellt sowie die Ärztinnen
und Ärzte empört. Mehrere hochrangige
JuristInnen haben übrigens erklärt, dass ein
Spitzel, der von einem Arzt verlangt, ihm eine
nicht gerechtfertigte Krankschreibung auszu-
stellen, die Anstiftung zu einer Straftat vor-
nimmt. Das ist in Österreich verboten.
PHCs sollen Spitalsambulanzen entlasten und den PatientInnen
eine anspruchsvolle Rund-um-die-Uhr-Versorgung bieten. Das
klingt natürlich gut. Aber diejenigen, die eine Fachambulanz
aufsuchen, werden sich durch ein Zentrum mit kompletter Ab-
hängigkeit von den Krankenkassen kaum davon abhalten lassen.
Und von Rund-um-die-Versorgung kann keine Rede sein, wenn
man sich das Projekt in Wien anschaut. Es hat wochentags von
halb neun bis 19 Uhr (einmal bis 21 Uhr), am Freitag halbtags
und am Wochenende gar nicht geöffnet.
Leider werden die politischen Behauptungen, die sich bei ein we-
nig Nachdenken als unhaltbar herausstellen müssen, nahezu un-
reflektiert hinausposaunt, auch von so genannten ExpertInnen.
Und sie werden in den Medien leider oft genug nicht hinterfragt,
sondern einfach wiedergegeben.
Wäre man ebenso unverfroren wie viele ProtagonistInnen aus
Politik und vorgelagerten Institutionen, müsste man ebenso
pauschal von groß angelegtem politischen Betrug sprechen und
nach einem Politik-Betrugsgesetz rufen.
Das tun wir aber nicht. Weil es ja, leider nur vereinzelt, doch
auch politische Vernunft gibt. Und weil wir niemandem unter-
stellen wollen, dass er gegen besseres Wissen handelt. Dass aber
so viele es offenbar nicht besser wissen, ist auch unerfreulich.
Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark.
EXTRA
Weiterer Kurienbericht ab Seite 53.
Jörg Garzarolli
PHCs
unter falscher Flagge
DEBATTE
Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, Furgler, Beigestellt. Grafik: Mirko Maric´
STANDORTBESTIMMUNG
Herwig Lindner
Sozialbetrug oder
Politikbetrug?