AERZTE Steiermark 4_2015 - page 6-7

Ærzte
Steiermark
 || 04|2015
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Österreichweit setzt ein Umdenken ein. Angesichts
übervoller Spitalsambulanzen, angesichts vieler
Patientinnen und Patienten, die (laut Aussagen
von Spitalsärzten) dort gar nicht sein sollten, steht
das Kassensystem unter dem Druck, echte Re-
formschritte zu setzen.
Warum müssen Leistungen, die niedergelassene
Fachärztinnen und Fachärzte, aber auch Allge-
meinmedizinerinnen und -mediziner fachlich sehr
gut erbringen können, in Spitälern stattfinden? Ist
die medizinische Indikation nicht ein weit intelli-
genterer und nachvollziehbarer Regelungsmecha-
nismus als es starre Limite und Degressionen sind?
Muss man nicht in einzelnen Fächern bei der Zahl
der Kassenstellen nachbessern, um dem Bedarf
(nicht den subjektiven Bedürfnissen) gerecht zu
werden?
Ist ein Hausapothekensystem, das Kolleginnen
und Kollegen zwingt, eine Praxis um ein paar
hundert Meter (notfalls sogar in einen eigens
errichteten Container) zu verlegen, während voll
funktionsfähige Praxen wertlos werden und leer-
stehen, nicht völlig absurd? So wird, am Rande
bemerkt, auch sehr viel Geld vernichtet.
Muss man, statt der ärztliche Zusammenarbeit,
die von der überwiegenden Zahl der Ärztinnen
und Ärzte dringend gewünscht wird, ein neues
Etikett („Primary Health Care“) verpassen und sie
unter staatliche Kuratel stellen?
Wenn man doch weiß, dass es längst schon voll-
ständig ausgearbeitete, ganz einfach zu realisieren-
de Lösungen gibt, die nur nicht länger ignoriert
werden dürfen?
Das Umdenken hat begonnen. Das Diskutieren
darf nur nicht zu lange dauern. Handeln ist jetzt
dringend nötig.
Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli
ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.
Die sinnvolle Reduktion der Ärztearbeitszeit in den Kranken-
häusern führt zu einer Reduktion der Manpower. Über konkrete
Auswirkungen überall in Österreich berichten die Medien immer
wieder. Wir haben heute aufgrund der stagnierenden Zahlen bei
kassenärztlichen Stellen und gleichzeitig steigenden Bevölke-
rungszahlen geringere Ressourcen im extramuralen Bereich als
vor zehn Jahren. Die Krankenkassen bezahlen Sofosbuvir (28
Stück Filmtabletten um 14.224,35 Euro) für Hepatitis C-Pati-
enten nur, nachdem bereits schwere Leberschäden manifest sind,
nicht um das zu verhindern.
Das sind Tatsachen, die man aus öko-
nomischen Gründen akzeptieren kann,
darüber hinwegsehen kann man aber
nicht. Genau das haben drei Bundes-
minister, vier Landespolitiker und zwei
Vertreter der sozialen Krankenversiche-
rungen in einem offenen Brief kürzlich
verlangt.
Neun Landesärztekammerpräsidenten einschließlich ÖÄK-
Präsident Artur Wechselberger haben darauf die einzig richtige
Antwort gegeben: „Es ist nicht nur das Recht, sondern die Pflicht
einer ärztlichen Standesvertretung, auf drohende Leistungsein-
schränkungen und auf eine potentielle Verschlechterung in der
Gesundheitsversorgung der Bevölkerung rechtzeitig hinzuwei-
sen.“
Der Realität ins Auge zu sehen, kritikfähig zu sein und offen lie-
gende Probleme nicht schönzureden, ist auch die Verpflichtung
der Politik. Alles andere ist fahrlässig: Ärzte und Patienten sehen
den Herausforderungen täglich ins Auge und alle anderen brau-
chen keine Mathematik-Genies zu sein, um sich auszurechnen,
dass sinkende Kapazitäten zu Verknappungen führen müssen.
Das nicht zuzugeben, bewirkt bloß die allgemeine Politikver-
drossenheit, die täglich beklagt wird und die uns allen Sorgen
machen muss.
Man darf aber nicht verallgemeinern: Keine steirische Politi-
kerin, kein steirischer Politiker haben den oben zitierten Brief
unterschrieben. Diese Haltung sollte bei den kommenden Land-
tagswahlen durch eine entsprechend hohe Wahlbeteiligung be-
lohnt werden.
.
Dr. Herwig Lindner ist Präsident der
Ärztekammer Steiermark.
extra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 40.
Jörg Garzarolli
Vom Umdenken 
zum Handeln
debatte
Endlich liegt auch das neue Gehalt- und Dienst-
rechtsmodell für die Medizinische Universität
auf dem Tisch. Der zeitliche Rahmen wurde zwar
vollständig ausgereizt, aber immerhin – Ende
März war es fertig. Dazu ist dem Rektorat und
dem Betriebsrat letztendlich zu gratulieren.
Eines sollte man aber nicht vergessen: Ohne das
Vorliegen des KAGes-Modells wäre das zeitlich
und inhaltlich nicht gelungen. Nicht nur für die
MUG sondern auch andere Bundesländer war
dieses frühe Ergebnis die Triebfeder und Bench-
mark.
Aber einiges bleibt bei aller von den Verhand-
lern geäußerten Freude noch offen. Es gibt die
Befürchtung, dass sich die MUG und die KAGes
bei den Diensten weiter auseinander entwickelt
haben, was die unbedingt notwendige Zusam-
menarbeit am Grazer Universitätsklinikum nicht
gerade erleichtert.
Es wäre auch wünschenswert, das Gesamtvolu-
men transparenter zu machen. Wie viele Ärz-
tinnen und Ärzte in den einzelnen Gruppen sind
wirklich betroffen? Die Verhandler selbst werden
es schon wissen, aber die Kolleginnen und Kol-
legen, die betroffen sind, haben Anspruch darauf
zu erfahren wie viel letztendlich wirklich inve-
stiert wurde.
Und auf einen Punkt ist hinzuweisen: Bei den
jungen Kolleginnen und Kollegen in den un-
tersten Gehaltsstufen sind die Ergebnisse deutlich
schlechter als in der KAGes. Teils liegen nicht
einmal die Vergleichswerte vor – weil sie nicht
herzeigbar sind …?
Da stellt sich wirklich die Frage, ob sie sich damit
zufrieden geben werden. Gerade eine Universität
hat aber eine besondere Verantwortung für die
„Nachwuchsarbeit“ im ärztlichen Bereich.
Vizepräsident Dr. Martin Wehrschütz
ist Obmann der Kurie Angestellte Ärzte.
intra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 38.
Martin Wehrschütz
Meduni; Es gibt ein
Ergebnis, aber …
Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, Conclusio, beigestellt, Grafik: Mirko Maric´
Standortbestimmung
Herwig Lindner
Der Realität ins Auge sehen
kont a
Bis zum EU-Beitritt 1995 galt das österreichische AZG
für alle Krankenhäuser mit Ausnahme der Universitäts-
kliniken und Gebietskörperschaften. Der Streit über die
24-Stundendienste in AUVA-Spitälern war Anlass für ein
Krankenanstalten-AZG, um verlängerte Dienste gesetzlich
zu ermöglichen.
Die Ärzte wurden zu einem positiven EU-Votum motiviert,
indem damit geworben wurde, dass das AZG auch für
Bund und Gebietskörperschaften gelten werde. Das war mit
ein Grund für ein KA-AZG, denn sonst wären maximal 13
Stunden-Schichten möglich gewesen. Den Krankenhausträ-
gern war bewusst, dass mehr Personal nötig ist, um die zu-
lässige Arbeitszeit nicht zu überschreiten. Daher forderten
die Länder eine Änderung des Ärztegesetzes, z.B. dass im
Standardkrankenhaus nicht unbedingt sowohl ein FA für
Chirurgie als auch für Innere Medizin im Nachtdienst
anwesend sein müssen. Ich habe damals als Abgeordnete
gegen diese Gesetzesänderung gestimmt. In Wien wurde
im Landes-KAG festgeschrieben, dass nur eigenberech-
tigte Ärzte alleinverantwortlich Nachtdienste übernehmen
dürfen. Die Begrenzung der Arbeitszeit auf 48 Stunden
Wochenarbeitszeit hätte schon im vorigen Jahrzehnt umge-
setzt werden müssen. Die Bezahlung von Ärzten in den Spi-
tälern war meist niedrig die „Butter aufs Brot“ kam durch
Dienste und Privatpatienten. Die Überstunden, Sonn- und
Feiertagsdienste sowie Gefahrenzulagen waren mit bes-
serem Netto vom Brutto als der Grundbezug ausgestattet,
daher bei Dienstnehmer und Dienstgeber beliebt. Im Laufe
der Jahre wurde dieses Netto durch höhere Besteuerung
verringert. Mit demWegfall der (Selbst-)Ausbeutung und
steuerbegünstigter Zulagen ist das Gehalt empfindlich ge-
schmälert worden, so dass endlich der Grundbezug adäquat
anzuheben war, auf eine Höhe, die der Ausbildung, der
Verantwortung dem Arbeitsaufwand und der Gefährdung
gerecht wird.
PS: Die Universtäten fürchten, dass zu viel Geld an die me-
dizinischen Universitäten geht. Sie vergessen, dass die Uni-
versitätsärzte weder drei Monate Sommer-, noch ein Monat
Semesterferien haben, sondern die Universitätskliniken
ganzjährig geöffnet sind.
Prim. i. R. Dr. Elisabeth Pittermann war NR-Abgeordnete
und Gesundheitsstadträtin in Wien. Sie leitete die 3. Med.
Abteilung am Hanusch-Krankenhaus und übte zahlreiche
Funktionen in der Wiener Ärztekammer aus.
Elisabeth Pitttermann
Ärztearbeitszeit –
wie es wirklich war
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