AERZTE Steiermark | November - page 39

ÆRZTE
Steiermark
 || 11|2014
39
WIRTSCHAFT
&
ERFOLG
Die Markteinführung der Apple-Watch
hat auch zusätz­
liche Impulse für die Gesundheits-Apps gebracht. Können
kleine Programme für Smart Phones und kleine Computer
zum Anziehen (Wearables) professionelle medizinische An­
wendungen ersetzen oder sind sie nur Spielzeug?
APPsolut verwirrend
Sie sind ein Faktum und ver-
breiten sich rasch: Allein Ama-
zon bietet mehr als 100 Pul-
suhren und ähnliche Geräte
an, mit denen vor allem Läu-
ferInnen ihr Training überwa-
chen können sollen. Wem eine
solche Pulsuhr (die es schon
um 7, aber auch um 700 Euro
gibt) zu teuer ist, kann sich
auch eine Gratis-App auf sein
Smartphone laden und seinen
Puls mithilfe der Kamera und
des LED-Blitzes messen.
„Die Autorität des Arztes wird
also angekratzt“, befand kürz-
lich die Wochenzeitung „Die
Zeit“ und fand für den Artikel
einen kritischen Arzt (Franz-
Joseph Bartmann, Referent
für Telemedizin in der deut-
schen Bundesärztekammer),
aber mit Markus Müschenich,
dem Vorsitzenden des Bun-
desverbandes für Internetme-
dizin, auch einen enthusias-
tischen Befürworter, der mit
seinem Unternehmen solche
Apps produziert.
Wer hat recht? Heiko Renner,
EDV-Referent in der Ärzte-
kammer Steiermark, sieht es
differenziert: Professionelle
Endgeräte aus dem Medizin-
technikbereich, die an das
Telefon angehängt werden,
das als Computer und zur
Darstellung dient, können
dem Arzt durchaus helfen.
Programme, die den Benutzer
dran erinnern, dass er zum
Beispiel genug Wasser trinken
oder sich bewegen sollte, aber
keine medizinischen Daten
erheben, könnten, so Renner,
durchaus nützlich sein. Al-
lerdings würden sie den ein-
zelnen auch seiner Eigenver-
antwortung berauben. Und
die Aussagekraft sei dadurch
begrenzt, dass sich die Wer-
te immer auf den „Durch-
schnittsmenschen“ beziehen.
„Herzrasen“
Problematisch werden Apps
allerdings, wenn sie präzise
Werte nur vorgaukeln. Ein
Praxistest, den wir in der Or-
dination von Heiko Renner
gemeinsam mit einer Gesund-
heitsjournalistin vornahmen,
zeigte, dass das mehr ist, als
eine abstrakte Vermutung:
Innerhalb weniger Minuten
wurden bei ein- und derselben
sitzenden Person mit Hilfe
einer gängigen App und des
gleichen Smartphones Puls-
werte von etwas über 70 bis
mehr als 150 gemessen – die
Ergebnisse lagen also zwischen
„normal“ und „Herzrasen“. Da
ist es kaum möglich, die App
ernst zu nehmen, es ist aber
durchaus anzunehmen, dass es
ein Laie dennoch tut.
Der freundliche Warnhinweis
„Achtung! Auch wenn dieses
Instrument präzise ist, han-
delt es sich hierbei um kein
medizinisches Gerät. Frag
Deinen Arzt“ reicht da wohl
nicht aus.
Datensammlungen
Die meisten messenden Medi-
zin-Apps,, bieten an, die Ergeb-
nisse auf einem Server zu spei-
chern. Auch wenn man nicht
jedem Anbieter unterstellen
will, dass er den Datenschutz
verletzt, stellen sich viele Fra-
gen. Denn die medizinisch
wenig aussagekräftigen Werte,
haben doch einen beträcht-
lichen Marketing-Wert, wie
Renner erklärt: „Aus dem Ge-
sundheitsverhalten oder den
Trainigsdaten kann man Rück-
schlüsse auf das Kaufverhalten
ziehen und die Nutzer gezielt
ansprechen.“ Bespiel: Eine
Trainings-App, weiß wieviele
Kilometer gelaufen wurden.
Für Laufschuh-Verkäufer ist
das eine wertvolle Information.
Illusion
Dass sich die Apps wieder
aus der Welt schaffen lassen,
scheint trotzdem unmöglich,
NutzerInnen und Markt wol-
len sie. Ebenso dürfte die For-
derung nach Qualitätssiche-
rung kaum erfüllbar sein. Vor
zwei, drei Jahren habe es noch
die Illusion gegeben, dass man
die Spreu vom Weizen tren-
nen könne, sagt Bartmann im
„Zeit“-Artikel, „als die Zahl der
Apps dann fünfstellig wurde,
mussten wir das aufgeben“.
Was können Ärztinnen und
Ärzte also tun? Sich mit dem
Phänomen befassen und ihre
eigenen PatientInnen über die
Risiken aufklären. Gesund-
heits-App-Beratung wird
damit genauso wichtig, wie
es etwa Ernährungsberatung
bereits ist.
Wenn Gesundheits-Apps den Puls (virtuell) beschleunigen …
App mit Warnhinweis.
Fotos: Fotolia, Conclusio
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