AERZTE Steiermark 07/08 2014 - page 30

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Ærzte
Steiermark
 || 07/08|2014
sonderthema Probiotika
Wirkung und Evidenz
von Probiotika
Dr.med. Gernot Ernst Steyer
Wir LEBEN in einer feindlichen Umwelt mit vielen Bakterien, wir ÜBERLEBEN so­
lange eine Symbiose mit diesen Bakterien besteht. Allein in unserem Darm befin­
den sich etwa zehn Mal mehr Bakterien als der menschliche Körper Zellen enthält.
Dieser Biofilm aus Bakterien, den wir Microbiota nennen, übernimmt viele wichtige
Funktionen bei der Verdauung.
Unsere Microbiota ist über
lange Lebensabschnitte
sehr stabil (Stichwort: Ge-
netischer Fingerabdruck),
kann aber von außen nach-
haltig beeinflusst werden,
z.B. durch Medikamente
(Antibiotika) oder durch die
gezielte Zufuhr probiotischer
Bakterien (die laut Definition
als lebende Mikroorganis-
men einen günstigen Ef-
fekt auf die Gesundheit der
Anwender haben). Werden
in einem Präparat mehrere
Stämme von Bakterien ver-
eint (Multispezies-Konzept),
so können sie sich in ihrer
gesundheitsfördernden Wir-
kung ergänzen bzw. ver-
stärken, also synergistische
Eigenschaf ten besitzen
[Timmermann 2009]
.
Die Literatur zu diesem The-
ma nahm in den letzten Jah-
ren rasant zu, auf praktisch
jedem größeren Kongress
zu Innerer Medizin bzw.
Gastroenterologie werden
relevante Wirkungen von
Probiotika anhand klinischer
Studien dargestellt und dis-
kutiert (Antibiotika-Assozi-
ierte Diarrhoe, Chronisch-
entzündliche Darmerkran-
kungen, Reizdarmsyndrom,
Allergische Erkrankungen,
Infektabwehr). Daher wird
es immer wichtiger, die
Evi-
denz
klinisch relevanter Wir-
kungen von Probiotika zu
prüfen. Durch 16s rRNA-Se-
quenzierungen wurden wei-
tere große Untersuchungs-
felder ermöglicht. Probiotika
haben einerseits vielfältige
Wirkungen direkt im Ver-
dauungstrakt, wie z.B. die
Produktion günstiger kurz-
kettiger Fettsäuren, Wieder-
herstellung und Verbesse-
rung der Darmbarriere – z.B.
bei Antibiotika-assoziierter
Diarrhoe und Clostridium-
difficile-Infektionen
[Steyer
2013; Goldenberg 2013]
– andererseits kennen wir
auch viele extraintestinale
Wirkungen, wie z.B. die Mo-
dulation des Immunsystems
[Steyer 2012]
oder die Wir-
kung auf die Microbiota-
Darm-Hirn-Achse
[De Pal-
ma 2014]
. Die Zahl der in
doppelblind-randomisierten,
plazebokontrollierten Studi-
en eingeschlossenen Pati-
enten ist in letzter Zeit auch
beeindruckend angestiegen,
neue Meta-Analysen und
Reviews helfen bei der Ge-
wichtung der Evidenz
[Miura
2014, Gomes 2014, Hong
2014].
Wirkmechanismen
von Probiotika
Die
Wirkmechanismen
von Probiotika sind vielfältig
und gut erforscht
[Cior-
ba 2013]
. Jeweils speziell
entwickelte Multispezie-
Probiotika können z.B. po-
tentiell pathogene Bakterien
abwehren (durch Senkung
des luminalen pH-Wertes,
Produktion von antibakteri-
ell wirkenden Bacteriocinen,
Reduktion der Anheftungs-
fähigkeit), die Darmbarriere
verbessern (durch gestei-
gerte Mucinproduktion, Ver-
besserung der Überlebens-
fähigkeit von Zellen, epithe-
liale Homöostase), die Nah-
rungsaufnahme verbessern
(durch Zerlegung schwer-
bzw. unverdaulicher Nah-
rung), neuromodulatorische
Effekte wirsam werden las-
sen (durch Reduktion visce-
raler Hypersensitivität und
Stress-Antwort, Induktion
von speziellen Rezeptoren
an den Epithelzellen) und
das Immunsystem modu-
lieren (durch Reduktion
proinflammatorischer Zyto-
kine, Erhöhung von sekreto-
rischem IgA). Wichtig ist die
Kenntnis, welche Stämme
in einem Präparat enthalten
sind und welche Studiener-
gebnisse sich darauf bezie-
hen. Probiotikum ist daher
nicht gleich Probiotikum!
Antibiotika-assoziierte
Diarrhoe (AAD) und
Clostridium-difficile-
Infektion (CDI)
Antibiotika verändern die für
eine gesunde Verdauung
nötige Vielfalt (Diversität)
der Microbiota (Abb. 1) und
führen häufig zu Durchfall
(Symptom), bei vielen An-
tibiotika erstmals Wochen
nach der letzten Antibiotika-
Einnahme. Bei zehn Prozent
tritt sogar die gefürchtete
pseudomembranöse Coli-
tis auf (Abb. 2), die durch
Überwucherung von
Clo-
stridium difficile
entsteht.
Spezielle Probiotika können
dieses Überwuchern po-
tentiell gefährlicher Keime
verhindern und diese in
Schach halten. Eine Meta-
analyse von 63 klinischen
Studien zeigt, dass Probio-
tika das Risiko einer Antibi-
otika-assoziierten Diarrhoe
signifikant auf etwa ein Drit-
tel senken
[Hempel 2012]
;
sie konnten das AAD-Risiko
in einer offenen Studie prak-
tisch auf null senken (dieses
z.B. in der Chirurgie bedeut-
same Thema wird derzeit
auch in Österreich intensiv
erforscht)
[Lang 2009, Hell
2013]
.
Allergische
Erkrankungen
Über dendritische Zellen
(Nobelpreis 2011 an R. Stein-
man) in der Darmmukosa
gelangen Signale zu den
verschiedensten Organsy-
stemen, besonders auch
zu unserem Immunsystem.
Asthma und Atopie sind zu-
nehmend Probleme in der
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