AERZTE Steiermark 06 2014 - page 7

Ærzte
Steiermark
 || 06|2014
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Die wohnortnahe ärztliche Versorgung ist in aller
Munde. Bürgermeister kämpfen darum, Medien be-
richten und tragen die Sorgen der Menschen weiter.
Was aber besorgt macht: Wohnortnahe Versorgung
wird ausschließlich gleichgesetzt mit haus- und
landärztlicher Versorgung. Das greift zu kurz.
Wohnortnahe Versorgung, die gleichzeitig die
Spitäler entlastet, muss auch immer wohnortnahe,
fachärztliche Versorgung heißen. Natürlich kann
das fachärztliche Versorgungsnetzwerk nicht so
dicht sein wie das allgemeinmedizinische. Es darf
aber keinesfalls verdünnt werden.
Fachärztinnen und Fachärzte, man denke nur
beispielhaft an die Gynäkologie, die Pädiatrie, die
Dermatologie, die Augenmedizin oder die Radiolo-
gie, natürlich die Innere Medizin, Pulmologie und
Urologie (im Grunde gilt es für praktisch alle Fach-
gruppen) sind tragende Säulen der Prävention und
Früherkennung. Keine chirurgischen Planstellen
mehr besetzen zu wollen, ist höchst gefährlich – En-
doskopie ist nun einmal eine im Kern chirurgische
Aufgabe. Eine niedrigschwellige psychiatrische
Versorgung kann nicht (nur) in Krankenhäusern
stattfinden. Fehlende kinderpsychiatrische Stellen
sind eine massive Versorgungslücke.
In anderen Ländern geht es mit weniger niederge-
lassenen Fachärzten, höre ich die Gesundheitsplaner
schon einwenden. Das stimmt. Aber dort haben
Pflegepersonal, Hebammen und andere Berufe die-
se Aufgaben übernommen. Dass dadurch nichts bil-
liger wird, aber sehr wohl die Qualität leidet, zeigt
ein Blick ins vielgepriesene Dänemark.
Es wird Zeit, dass Bundes-, Landes- und Kommu-
nalpolitiker aufstehen und auch für die menschen-
nahe fachärztliche Versorgung zu kämpfen begin-
nen. Sie ist ebenso gefährdet wie die allgemeinme-
dizinische Versorgung. Und ebenso notwendig.
Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli
ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.
Zumindest ein Jahrzehnt ist verstrichen, in dem Österreich es
verabsäumt hat, die Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie in
die Wege zu leiten. Österreich steht vor der Wahl, die Arbeitszeit-
beschränkung von 48 Wochenstunden, 25 Durcharbeitsstunden
und der Bewertung des Bereitschaftsdienstes umzusetzen oder
regelmäßig Millionenstrafen zu bezahlen. Dennoch gibt es immer
noch Fachleute, die das nicht wahrhaben wollen. Aber es gibt auch
pragmatische Politiker, wie den steirischen Gesundheitslandesrat
Drexler und Sozialminister Hundstorfer, die diese Fakten anerken-
nen. Vorsichtshalber wird aber eine
begleitende Drohkulisse aufgebaut:
Ärztinnen und Ärzte hätten mit
erheblichen Einkommensverlusten
zu rechnen, außerdem gäbe es die
benötigte Zahl gar nicht.
Diese Vorgangsweise ist sehr leicht
als Einschüchterungstaktik zu ent-
larven. Es werden mit ein bisschen
gutem Willen bei weitem nicht so
viele Ärzte benötigt, wie kolportiert wird. Und wer angesichts der
im Vergleich mit Deutschland, der Schweiz und sogar anderen
Bundesländern nicht marktkonform und auch nicht fair bezahl-
ten Spitalsärztinnen von Gehaltseinbußen spricht, negiert, dass
es schon jetzt immer mehr Ärztinnen und Ärzte gibt, die ihr Heil
im Ausland suchen. Dass Österreich Deutschland mit Ärztinnen
und Ärzten beliefert ist eine Schande und ein Armutszeugnis.
Unterm Strich wird man das Grundgehalt der Spitalsärztinnen
und -ärzte signifikant anheben müssen, wenn man die ärztliche
Versorgung sicherstellen will. In Summe wird das ein moderater
Preis sein, für den es eine mehr als angemessene Gegenleistung
gibt: mehr Qualität und Sicherheit für die Patientinnen und Pa-
tienten, mehr Arbeitszufriedenheit und weniger Ausfälle – und
Rechtskonformität.
Wir werden das schaffen, genauso wie es andere Träger geschafft
haben, andere Bundesländer und die große Mehrheit der euro-
päischen Länder. Die Arbeitszeitrichtlinie ist keine Schikane aus
dem fernen Brüssel, sie entspricht den Bedürfnissen der Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter, sie ist auch ein Stück Gerechtigkeit.
Denn niemand wird erklären können, warum Ärzte noch länger
so viel länger arbeiten müssen als alle anderen Berufsgruppen.
Dr. Herwig Lindner ist Präsident der
Ärztekammer Steiermark.
extra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 48.
Jörg Garzarolli
Wohnortnahe
Fachärzte-Versorgung
debatte
Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, beigestellt, Grafik: Mirko Maric´
Standortbestimmung
Herwig Lindner
Angemessene Arbeitszeit –
angemessene Bezahlung
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