AERZTE Steiermark 09 | 2014 - page 7

Ærzte
Steiermark
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Vor mehr als zehn Jahren wurde das Distrikts­
ärztesystem abgeschafft. Das hatte keine unmittel-
baren Auswirkungen, aber langfristige Folgen. Nach
wiederholten Anläufen ist es nun gelungen, mit
dem Gemeindebund unter aktiver Mitwirkung des
Landes Steiermark ein Nachfolgemodell zu finden,
das langfristig funktionieren sollte.
Was beweist: Auch in Zeiten, in denen nicht nur –
aber auch – die Gesundheitspolitik immens schwie-
rig geworden ist, gibt es Erfolge. Wenn Menschen
aufeinander treffen, die so hartnäckig und lösungs-
orientiert sind, dass sie das Ziel immer im Auge
behalten.
Die Frage zeigt aber auch etwas anderes: Die Aus-
wirkungen, gerade von gesundheitspolitischen
Maßnahmen, reichen über sehr, sehr lange Zeiträu-
me. Entscheiden, Verordnungen herausgeben, sogar
Gesetze beschließen, geht sehr viel schneller.
Bevor man Regelungen mit langfristigen Folgen
festsetzt, sollte man diese also sehr genau abschät-
zen und Veränderungen sehr behutsam vornehmen.
Das kann man als zögerlich, strukturkonservativ,
ja reaktionär brandmarken. Darin liegt vermutlich
auch die Erklärung, warum man uns Ärzten so ger-
ne vorwirft, reformfeindlich zu agieren.
Das sind wir nicht. Wir wissen nur aus der Er-
fahrung der ärztlichen Arbeit, dass Krankheiten
manchmal plötzlich ausbrechen und sich manch-
mal schleichend entwickeln. Heilung ist aber prak-
tisch immer ein langwieriger Prozess, der oft mit
Mühen verbunden ist. Und letztendlich bleiben
doch immer, in vielen Fällen kaum sichtbare, Spu-
ren zurück.
Was für den menschlichen Organismus gilt, trifft
auch auf den (gesellschafts)politischen zu.
Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli
ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.
Zu Jahresbeginn stand das Notarztsystem vor dem Kollaps. Die
Politik hat gehandelt und einen letalen Ausgang verhindert. Jetzt
gab es wieder Probleme. An mehreren Standorten können immer
wieder Dienste nicht besetzt werden. Irgendwie bekommt man es
in den Griff. Alles nur Einzelfälle.
Dahinter steckt aber ein System: Die Gesundheitsversorgung ist
überall am Limit. Selbst kleine Anomalien bringen es bereits aus
der Balance. Es gibt keine Reserven mehr. Die Rechner an den
grünen Tischen beein-
druckt das nicht sehr. Im
Durchschnitt passt es ja
(gerade noch), die Kenn-
zahlen stimmen.
Vielerorts stimmt es aber
ganz und gar nicht mehr.
Ärztinnen und Ärzte
sind verzweifelt. Nicht
nur, weil es so ist, wie es
ist, sondern, weil sie auch
wenig daran ändern können. Das einzige was ihnen bleibt, ist
sich selbst und andere noch mehr auszubeuten, oder es nicht zu
tun und aus nächster Nähe zuzuschauen, wie medizinische Stan-
dards unterlaufen werden – müssen. Unter diesen Umständen
funktioniert das Lebensmodell Ärztin/Arzt nicht mehr.
Was Hoffnung gibt: Mit Kollegin Sabine Oberhauser haben wir
jetzt eine Gesundheitsministerin, die einerseits schon viel Er-
fahrung in der Politik gesammelt hat, aber auch nicht vergessen
haben wird, wie es war, als Oberärztin in einer Kinderabteilung
zu arbeiten. Dass eben nicht alles planbar ist. Dass es Unwäg-
barkeiten gibt, die man berücksichtigen muss. Dass es um Men-
schen geht und nicht um Eisenbahnschienen.
Um das anzuerkennen, muss man nicht unbedingt Ärztin oder
Arzt sein, aber es hilft, weil diese Erfahrungen Teil der täglichen
ärztlichen Arbeits- und Lebensrealität sind.
Hoffentlich kann sie diese Erfahrung in die Regierung tragen,
statt von dieser verformt zu werden. Auch das ist Ärztinnen und
Ärzten unter dem Anpassungsdruck in der Politik schon wieder-
holt zugestoßen.
Dr. Herwig Lindner ist Präsident der
Ärztekammer Steiermark.
extra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 48.
Jörg Garzarolli
Der lange Weg
zur Heilung
debatte
Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, beigestellt, Grafik: Mirko Maric´
Standortbestimmung
Herwig Lindner
„Gesundheitsreform“ –
ein Pyrrhussieg der Politik
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