AERZTE Steiermark 09 | 2014 - page 6

Ein Circulus vitiosus ist, das wissen wir, das Phä-
nomen zumindest zweier gestörter Körperfunk-
tionen, die sich im Sinne einer positiven Rück-
koppelung wechselseitig beeinflussen und die
Erkrankung so aufrechterhalten oder verstärken.
Was ein gesundheitspolitischer Circulus vitiosus
ist, erleben wir gerade: Weil die Arbeitsbedin-
gungen in den Spitälern immer schlechter wer-
den, gehen die Ärztinnen und Ärzte weg. Weil
die Ärztinnen und Ärzte weggehen, werden
die Bedingungen für die verbleibenden immer
schlechter.
Das Problem ist erkannt, aber noch nicht gebannt.
Die 48-Stunden-Woche (mit ihren Übergangsbe-
stimmungen, die einige Erleichterungen bringen),
ist die Chance, den Zirkel zu durchbrechen. Die Ar-
beit wird zumutbarer, die Angst vor Einkommens­
einbußen muss man den Ärztinnen und Ärzten
nehmen. Strukturelle Begleitmaßnahmen helfen
dabei, die Kostensteigerung in Grenzen zu halten.
Man kann in der 48-Stunden-Woche aber auch
ein Problem sehen, vor Angst erstarren oder
es gar negieren. Dann allerdings wird die Ver-
sorgungsqualität den Bach hinuntergehen und
(noch) mehr Ärztinnen und Ärzte in andere
Bundesländer, Staaten oder Berufe gehen. Und es
wird dennoch sehr, sehr teuer werden.
Die Entscheidung fällt in diesen Wochen und
Monaten. Je länger die Entscheidungen hinaus-
gezögert werden, umso größer ist der Schaden
und desto geringer werden die Optionen.
Der Wille zur Neugestaltung ist da (siehe auch
Seite 40). Er muss nur stark genug sein. Jetzt ist
nicht die Zeit des Zögerns, sondern des gemein-
samen, entschlossenen Handelns.
Vizepräsident Dr. Martin Wehrschütz
ist Obmann der Kurie Angestellte Ärzte.
intra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 40.
Martin Wehrschütz
Problem erkannt: Jetzt
muss es gelöst werden
kont a
Die österreichische Regierungsumbildung ist ein
Déjàvu-Erlebnis. Wir hören das gleiche Schlagwort,
das uns bei gefühlten 47 Regierungsumbildungen auch
schon verfolgt hat: Neustart. Es müsste in Österreich
zum Unwort des Jahres gekürt werden: Was will man
denn bitte neu starten? Die Gesundheitsreform, die
ein besserer Vorhabensbericht ist? Nur ein Beispiel: In
Mariazell kann die KAGes nicht einmal mehr die Am-
bulanz besetzen. Alle Versuche, ein gemeinschaftliches
Versorgungsprojekt mit niedergelassenen Ärztinnen
und Ärzten oder mit dem benachbarten Spital in Nie-
derösterreich aufzuziehen, sind gescheitert. An Eigen-
interessen, Geld- und Personalmangel.
Mariazell zeigt die Schwächen der Gesundheitsreform
gnadenlos auf. Dabei wäre dieses Gebiet ein Fall für
die neuen Versorgungsformen, die vom alten Gesund-
heitsminister so stolz vorgestellt wurden. Stattdessen
ist Realitätsverweigerung angesagt. Fakten wie der dro-
hende Ärztemangel am Land oder die Probleme, die
durch die neuen Spitals-Arbeitszeiten entstehen wer-
den, wollen die Verantwortlichen in den Kassen oder in
der Bundespolitik nicht einmal hören.
Der viel zitierte Neustart ist nicht mehr als eine leere
Worthülse. Die neue Gesundheitsministerin Sabine
Oberhauser steht nach ihren ersten Äußerungen nicht
im Verdacht, am Diktat und dem Zahlungs-Dickicht
der Krankenkassen etwas ändern zu wollen. Vom neu-
en Finanzminister Hansjörg Schelling wird man ein
Eingreifen am wenigsten erwarten können. Erstens war
er ein Motor der Kassensanierung, zweitens muss er
in seinem neuen Job sparen. Und die Ärztinnen sowie
Ärzte stehen vor dem Problem, dass sie heute mit den
besten Ideen kommen können – sie haben in der Ver-
gangenheit so manche Entscheidung so lange blockiert,
bis man sie aus dem Entscheidungsprozess entfernt hat.
Der Motor im Gesundheitssystem läuft zwar noch.
Aber darin liegt auch die größte Gefahr: Startet man
jetzt planlos den laufenden Motor neu, droht ein Mo-
torschaden. Und der ist noch schlimmer als der aktu-
elle Stillstand.
Didi Hubmann ist Redakteur der Kleinen Zeitung, u. a.
mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
Didi Hubmann
Neustart bei
laufendem Motor?
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Ærzte
Steiermark
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