

ÆRZTE
Steiermark
|| 04|2017
21
SERIE
PRIMÄRVERSORGUNG 4
Krankenhaus arbeiten. Alle
medizinischen Universitäten
im UK haben ein Depart-
ment für GP. Gemeinsam
mit den Niederlanden ist das
UK europäische Spitze bei
der akademischen Veranke-
rung der Allgemeinmedizin,
der praxisrelevanten Versor-
gungsforschung, der Zahl der
daraus resultierenden haus
ärztlichen Leitlinien und der
wissenschaftlichen Publikati-
onen. Mit der Einführung des
Quality and Outcome Fra-
meworks (QOF) 2004 werden
auf Basis einer einheitlichen
Dokumentation zirka 150 In-
dikatoren in der Primärver-
sorgung erhoben, die sowohl
für die GPs als auch den NHS
und die interessierte Bevölke-
rung frei zugänglich sind.
Zirka ein Viertel aller promo-
vierten MedizinerInnen strebt
den Beruf eines GP an. Die
Ausbildung dauert drei Jahre,
wobei mindestens zwölfMonate
in einem PVZ verbracht werden
müssen. Die abschließende Prü-
fung gilt als eine der anspruchs-
vollsten in der internationalen
Allgemeinmedizin. Das Royal
College of GP’s ist auch He-
rausgeber des British Journal
of General Practice. Trotz die-
ser europäischen Spitzenwerte
bleibt auch im UK die Primär-
versorgung eine Dauerbaustelle.
Die geringe Ärztedichte, viele
Überstunden und geringe Be-
zahlung führen immer wieder
zu Frustration und Protesten.
Ob es mit dem Anfang 2013 in
Kraft getretenen „Health and
Social Care Act 2012” gelingt,
diesen Entwicklungen entge-
genzusteuern, wird sich zeigen.
Einwohnerzahl und dreifa-
chen Fläche deutlich dichter
besiedelt als Österreich. 8,9
Prozent des Bruttoinlands-
produkts (BIP) f ließen in
das fast ausschließlich über
Steuern finanzierte Gesund-
heitssystem. Bei der Lebens-
erwartung ab Geburt liegen
das UK und Österreich nahe
beieinander. Menschen im
UK haben jedoch im Schnitt
sieben gesunde Lebensjahre
mehr zu erwarten. Das UK
kommt mit einem Drittel
der Krankenhausbetten Ös-
terreichs aus (2,7 statt 7,6
pro 1.000 Einwohner). Die
Zahl der Krankenhausent-
lassungen liegt bei zirka der
Hälfte (129 statt 263 Personen
pro 1.000 Einwohner) und
die Zahl der vermeidbaren
Krankenhauseinweisungen
aufgrund von Diabetes mit
70 pro 100.000 Einwohner bei
weniger als einem Viertel der
Werte Österreichs (296 pro
100.000).
International gilt der Pri-
märversorgungsbereich im
UK als einer der am besten
entwickelten und von der
Bevölkerung akzeptierten in
ganz Europa. Selbstständig
tätige Allgemeinmediziner
Innen (general practitioner
– GP), die einen Vertrag mit
dem National Health Service
England (NHS) abgeschlos-
sen haben, stehen gemeinsam
mit sehr gut ausgebildeten
Pflegeberufen im Mittelpunkt
der Versorgung. Multipro-
fessionelle Teams sind die
Regel, wobei im Schnitt zwei
bis sechs GPs mit etwas mehr
Pflegekräften (practice nurses,
Erfahrungsbericht des deut
schen Allgemeinmediziners
Dirk Pilat (gekürzt und zu
sammengefasst):
„Ein GP ist der klassische ‚Von-
der-Wiege-bis-ins-Grab‘-Haus-
arzt. Ob es chronische oder
akute Erkrankungen, Vor-
sorge, Nachsorge, soziale
Probleme sind oder es einfach
nur ein Rat ist. Die deutsche
Allgemeinmedizin wird von
den anderen Spezialgebieten
in eine immer kleinere Nische
gedrängt. Da Patienten immer
früher mit ihren Problemen
zu Fachärzten überwiesen
werden wollen, bleibt den
Allgemeinmedizinern nicht
viel zur Behandlung übrig.
Der britische GP hat da
mehr Möglichkeiten. Unse-
re Praxis z. B. generiert im
Durchschnitt weniger als sie-
ben Überweisungen pro 100
Konsultationen. Dass jemand
nach dem sechzigsten Lebens-
jahr keine Transplantationen
oder keine neuen Gelenke be-
kommt, ist kompletter Blöd-
sinn. Wahr ist aber, dass man
im NHS nicht einfach drauflos
operiert. Immer entscheidend
ist, ob ein Eingriff auch die
Lebensqualität des Patienten
entscheidend verbessert. Diese
Abwägung geschieht immer
zusammen mit dem Patienten,
dem GP, der Familie und dem
Facharzt.“
a
Quellenzitate zur Erstellung
dieser Publikation finden sich
im Teil 1 dieser Artikelserie,
in der Ausgabe 1/2017 von
AERZTE Steiermark.
—ENDE—
community nurses, family
nurses) und anderen Gesund-
heitsberufen zusammenarbei-
ten. Die practice nurses und
Ordinationshilfen sind zu-
meist bei den GPs angestellt.
Alle anderen Gesundheitsbe-
rufe werden vomNHS bezahlt
und dem PVZ zur Verfügung
gestellt. Pflegekräfte überneh-
men zahlreiche Tätigkeiten
wie das Management chro-
nischer Erkrankungen, prä-
ventive Maßnahmen (inkl.
Impfungen), geriatrische
Assessments, Hausbesuche
etc. Das Leistungsspektrum
eines PVZ ist dementspre-
chend vielfältig und deckt
einen Großteil des Bedarfs
ab. Im UK gilt ein striktes
Gatekeeping-System. Eine
Überweisung in die fachärzt-
liche Sekundärversorgung
oder ins Krankenhaus ist nur
in weniger als 5 Prozent der
Anlassfälle notwendig.
Zusätzlich zu den PVZ gibt
es vor allem in den Städten
ausschließlich durch Pflege-
kräfte betriebene rund um
die Uhr geöffnete „walk-in-
centres“, die häufige min-
derschwere Krankheiten und
Verletzungen behandeln. Die
nationale Gesundheitshotline
NHS-Direct wurde 2014 ein-
gestellt und das Angebot in
die nationale Notrufnummer
111 integriert. Alle Bürger
können ihren GP frei wählen
und ihr PVZ gebührenfrei
aufsuchen. Der Großteil der
Bevölkerung ist bei einem
GP eingeschrieben. Das Ein-
kommen eines durchschnitt-
lichen GP ist höher als das
der meisten Fachärzte, die im