

Zukunftskonferenz
Der ganz normale Praxiswahnsinn
Der Hausarzt wird’s schon richten
Vor mir steht ein junger Mann, gestützt auf zwei Krücken
und hält mir etwas unter die Nase, das wir gemeinhin als
„Kaaszettl“ bezeichnen. Will heißen: ein zerknittertes Papier,
auf dem außer einer fast unleserlichen handschriftlichen
Medikamentenempfehlung nichts Erleuchtendes zu finden
ist. Ich habe den Mann noch nie zuvor gesehen und Termin
hat er natürlich auch keinen. Und doch überreicht er mir
den „Kaaszettl“ mit den Worten: „Im Krankenhaus haben
sie mir gesagt, dass Sie alles Weitere erledigen und entschei-
den.“ Ich frage ihn, wie er zu dieser Annahme käme. Naja, es
hätte geheißen, der Hausarzt würde sich kümmern. Und mit
aller Ruhe und Selbstverständlichkeit fügt er hinzu, der sei
jetzt ja ich.
Gut, ich bin also der Hausarzt. Mich fragt eh keiner. Wozu
auch? Jedenfalls versuche ich, irgendetwas Anamneseähn-
liches aus dem Knaben herauszuquetschen. Die Informatio-
nen sind spärlich. Vor drei Jahren hätte er sich beim Eishockey
irgendwas am linken Fuß (Unterschenkel? Knöchel? Bein?)
gebrochen. Vorige Woche wäre das Metall rausgekommen.
Aha, jetzt also nur Metall Ex. „Wann sollen denn die Nähte
raus?“, frage ich. „Naja, einer hat gesagt zehn Tage, der andere
vier Wochen.“ Ich hab zwar keine Ahnung, was da operiert
worden ist, aber optiere mal für vierzehn Tage. „Physiothera-
pie?“ „Ja, sollte ich auch.“ „Und wann soll die losgehen?“ „Hat
keiner gesagt.“ Also versuche ich es anders: „Wissen Sie, wann
Sie wieder voll belasten dürfen?“ „Nein, das hat mir keiner
gesagt. Die haben gesagt, dass ich das alles vom Hausarzt
erfahre.“
Langsam bekomme ich Kopfschmerzen. „Passen Sie auf: Ich
bin nicht Ihr Hausarzt! Besser gesagt, ich bin es meinetwe-
gen ab jetzt. Aber ich kenne weder Sie noch Ihre Geschichte,
noch weiß ich, was Sie sich da gebrochen haben. Ich war bei
der Operation nicht dabei, ich weiß nicht, wie Ihre Knochen
beieinander sind und wie Ihre Muskulatur aussieht. Das weiß
der Chirurg, der Sie operiert hat. Und genau den werden Sie
anrufen und nach allem Weiteren fragen!“
Meine Kristallkugel ist nämlich kaputt und den Zauberstab
finde ich gerade nicht!
Dr. Ulrike Stelzl ist niedergelassene Ärztin für
Allgemeinmedizin.
Mehr von ihr gibt es im Buch „Hallo Doc! 2
Anekdoten aus der Sprechstunde“ (erhältlich auf Amazon).
praktisch
täglich
Von Ulrike Stelzl
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte
Die Primärversorgung nimmt
nicht nur politisch, sondern
auch inhaltlich Fahrt auf
– einen inhaltlich starken
Anfang macht die 1. Jahres-
tagung des Österreichischen
Forums Primärversorgung
mit ihrer durchaus vielfäl-
tig und hochkarätig besetz-
ten „Zukunftskonferenz 2.0:
Interprofessionalität in der
Primärversorgung“ an der
Meduni Graz: Am 07. und 08.
April 2017 wird ein geballtes
Programm geboten.
Grundlegende Fragen
Mit der Beantwortung der
Frage „Was ist Interprofessi-
onalität?“ beschäftigen sich
am 1. Tag unter anderem
Keynotespeaker Andy Maun
vom Universitätsklinikum
Freiburg sowie Erwin Reb-
handl, Marianne Raiger und
Birgit Thalhammer als Team
zur Interprofessionalität aus
Sicht des „Kernteams – Ärzte/
Pflege/Ordinationsassistenz“.
Am Ende des ersten Vor-
mittags wird eine Podiums-
diskussion die Frage „Wie
berechtigt ist die Angst vor
der anonymen Medizin?“ be-
leuchten: Franz Kiesl von der
GKK OÖ, Gruppenpraktiker
Franz Mayerhofer von Medi-
zin Mariahilf, Andy Maun,
Marianne Raiger vom Öst.
Gesundheits- und Kranken-
pflegeverband, Patientenan-
wältin Renate Skledar, ÖÄK
Bundeskurienobmann Jo-
hannes Steinhart und – an-
gefragt – Martin Auer vom
Gesundheitsministerium stel-
len sich demThema – und den
Fragen und Anregungen aus
dem Publikum.
Der Nachmittag ist dem
Schwerpunkt „Aufgaben der
Gesundheitsberufe“ gewid-
met: Physio- und Ergothera-
pie beleuchtet Gabriele Jaksch
vom Dachverband der ge-
hobenen medizinisch-tech-
nischen Dienste Österreichs.
Über die Einbindung von
KinderärztInnen in die Pri-
märversorgungsteams spricht
Anita Mang von der Österrei-
chischen Gesellschaft für Kin-
der- und Jugendheilkunde.
Die Rolle der Hebammen
beleuchtet Gerlinde Feichtl-
bauer vom Öst. Hebammen-
gremium und „Multiprofes-
sionelles Arbeiten am Beispiel
der Adipositas-Behandlungs-
pfade“ referiert „Hausherrin
und Gastgeberin der Konfe-
renz“ Andrea Siebenhofer-
Kroitzsch vom Institut für
Allgemeinmedizin und evi-
denzbasierte Versorgungsfor-
schung an der MUG.
Der zweite Teil des Nachmit-
tags ist demThema „Interpro-
fessionelle Lösung“ gewidmet.
Allgemeinmedizinerin und
Psychotherapeutin Barbara
Jöbstl nimmt sich der „Be-
treuung psychisch Erkrankter
in der Primärversorgung“ an.
Christoph Redelsteiner, FH
St. Pölten, und Anahita Sha-
rifgerami vom SMZ Liebenau
sprechen über „Sozialarbeit
und hausärztliche Versorgung
in Österreich und im interna-
tionalen Vergleich“.
Interprofessionalität in der
Primärversorgung
lautet das Thema der Zukunftskonferenz 2.0, die
Anfang April in Graz stattfinden wird.
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Ærzte
Steiermark
|| 02|2017