

ÆRZTE
Steiermark
|| 11|2016
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Die Ärztekammer in der Steiermark und die stei-
rischen Ärztinnen und Ärzte haben mit Styria
med.netund ohne öffentliche Unterstützung ein
bemerkenswertes Reformprojekt verwirklicht.
Seit Jahren fordern wir bessere Rahmenbedin-
gungen für Kassenpraxen, Zusammenarbeits-
formen, Job Sharing, Ärztegesellschaften, zeit-
gemäße Honorar- und Leistungskataloge. Wahl-
ärztinnen und Wahlärzte springen in der Grund-
versorgung ein, weil die Bevölkerungszahlen
wachsen, aber die Kassenstellen stagnieren.
Die Krankenkassen haben in den letzten Jahren
– auch weil es politisch gefordert war, das ist zu
betonen – wenig mehr getan als ihre Kassen zu
sanieren. Vereinzelte Erfolge, wie die neu gestal-
tete Übergabepraxisregelung, können darüber
nicht hinwegtäuschen.
Und was passiert? Im Entwurf zur jüngsten 15a-
Vereinbarung wollen Länder und Bund diesen
Krankenkassen mehr Machtfülle geben. Kas-
senplanstellen-Politiker, wie der ehemalige Kas-
senobmann Erwin Spindelberger, fordern sogar,
den Versicherten die Wahlarztrückerstattungen
wegzunehmen, weil es angeblich die Zwei-Klas-
senmedizin lindert, wenn sich Menschen die
wahlärztlichen Leistungen komplett selbst bezah-
len – es geht ja nur um 178 Millionen Euro, die
damit den Krankenversicherten weggenommen
würden – bei gleichbleibenden Beiträgen versteht
sich.
Wenn so der Bock zum Gärtner gemacht werden
soll, kann man es Ärztinnen und Ärzten nicht
verübeln, wenn sie sich aus diesem öffentlichen
Gesundheitswesen zurückziehen wollen. Dabei
hätte es die Politik in der Hand, statt die schlei-
chende Verschlechterung der Kassenmedizin zu
fördern, den Kassen einen unmissverständlichen
Modernisierungs- und verbesserten Versorgungs-
auftrag zu geben.
Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli
ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.
EXTRA
Weiterer Kurienbericht ab Seite 47.
Jörg Garzarolli
Krankenkassen: Der
Bock als Gärtner?
DEBATTE
Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, Furgler, Hassler/Kleine Zeitung. Grafik: Mirko Maric´
STANDORTBESTIMMUNG
Herwig Lindner
Eine mutige Reform braucht
Ehrlichkeit und Vielfalt
Damit nicht gleich ein Politiker „Blockierer“ ruft, eines vorweg:
Die Ärzteschaft ist weder gegen eine sinnvolle Verdichtung der
Spitalsstandorte noch gegen neue Zusammenarbeitsformen von
Ärztinnen und Ärzten sowie anderen Gesundheitsberufen. Sie
ist dafür und kann es beweisen. Das Konzept von Ärztezentren
wollte die Ärztekammer schon 2005 mit dem Gesundheitsfonds
realisieren – nur hat es damals niemanden interessiert.
Aber: Es gibt keine einfachen Lösungen und Formeln, die der
Realität gerecht werden. Wenn wir wollen, dass die medizinische
Versorgung nahe bei den Menschen
bleibt, braucht es Vielfalt. Die medizi-
nische Versorgung muss so vielfältig
sein wie die Lebensumstände der
Menschen in der Steiermark.
Zur Einzelpraxis (durchaus auch per
Job Sharing geteilt) gibt es in kleine-
ren, oft schwer erreichbaren Gemein-
den keine Alternative. Wer sie als „Auslaufmodell“ verhöhnt, gibt
das Land auf. Nähe ist ein Wert, den junge und mobile Menschen
vielleicht nicht zu schätzen wissen. Aber es gibt auch Menschen,
die nicht jung und mobil sind. Die zweite Ebene sind Teamstruk-
turen. Mit Ärztinnen und Ärzten für Allgemeinmedizin, aber
auch Fachärztinnen und Fachärzten sowie anderen Gesundheits-
berufen. Die lassen sich aber nicht in ein strenges Schema pressen,
weil es eben auch unterschiedlichste Bedürfnisse gibt.
Gesundheitsplaner, die nur große Zahlen vor Augen haben, die
nur in „Einheiten“ denken, die sie in Excel-Tabellen darstellen
können, tun sich schwer, das zu begreifen. Dass es neben dem
„Bedarf“ auch Bedürfnisse gibt, dass sich letztlich alles um Men-
schen dreht, um konkrete Individuen.
Nicht alles ist überall möglich. Die menschlichen Ressourcen
sind ebenso begrenzt wie die ökonomischen. Das wissen die
Menschen aber und sind auch bereit es hinzunehmen. Was sie
aber nicht hinnehmen, ist, wenn ihnen Einschränkungen und
unvermeidliche Kompromisse als Vorteile und Qualitätsgewinn
verkauft werden. Dann fühlen sie sich
für dumm verkauft.
Was wir also brauchen, ist eine Reform, die Vielfalt (ja Vielfalt
ist manchmal komplex) ermöglicht und ehrlich ist. Das erfordert
den Mut, auch eigene Unzulänglichkeiten einzugestehen.
Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark.