Ærzte
Steiermark
 || 04|2013
7
Armut macht krank. Das ist eine vielfach bestätigte Grund-
these der Public-Health-Wissenschaft. Sie wurde auch vielfach
getrommelt. Nur nicht in den letzten Jahren. Angesichts der
Wirtschaftskrise ging es nur mehr um die Wirtschaft und die
Reduktion der öffentlichen Ausgaben auch im Gesundheitsbe-
reich. Dass sich höherer sozialer Druck und Arbeitslosigkeit auf
die Gesundheit schlagen, wurde als lediglich standespolitisches
Argument der Ärzteschaft abgetan. Eine internationale Studie,
die kürzlich in der Lancet veröffentlicht wurde, zeigt nun die
messbaren Folgen auf:
Selbstmordraten steigen,
Infektionskrankheiten
nehmen zu.
Die Politik hatte bisher
eine gute Ausrede: Wirt-
schaftszahlen stehen
nahezu tagesaktuell zur
Verfügung, man kann
und muss politisch darauf
reagieren. Gesundheitsstatistiken dagegen sind nur längerfristig
verfügbar. Das gilt aber jetzt nicht mehr: Wer jetzt den Zugang
zu Gesundheitsleistungen erschwert und dazu beiträgt, dass wir
auf eine Rationierung zusteuern, tut das im Wissen, dass die Be-
völkerung kränker wird.
Was die Studie auch zeigt: Die Politik hatte Erfüllungsgehilfen,
die es ihr leicht gemacht haben, (zu) wenig Augenmerk auf die
Gesundheit zu legen. Es waren die Gesundheitsexperten und
Gesundheitsökonomen, die während der Krise sehr, sehr leise
waren. In Österreich sind sie sogar noch einen Schritt weiter ge-
gangen: Sie haben dem Vorrang der Ökonomie sogar applaudiert.
Zu diesen „Experten“ gehört auch der Sprecher der österrei-
chischen Patientenanwälte.
Jetzt ist Zeit umzudenken und genauer hinzuschauen. Noch sind
in Österreich Folgen, wie sie in Griechenland, Spanien, Portugal
oder Irland bereits Realität wurden, vermeidbar. Man könnte
sich sogar ein Beispiel am von der Wirtschaftskrise schwer ge-
troffenen Island nehmen. Dort hat man nämlich trotz massiver
Bankenkrise den Gesundheitsbereich nicht tot gespart, sondern
das Gegenteil getan und gegen den Rat der Wirtschaftsexperten
investiert.
Dr. Herwig Lindner ist Präsident der
Ärztekammer Steiermark.
extra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 39.
Jörg Garzarolli
Allianz für ärztliche
Nahversorgung
debatte
Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, beigestellt, Grafik: Mirko Maric´
50
500
1000
2000
500
200
100
Standortbestimmung
Herwig Lindner
Das Schweigen der
Gesundheitsexperten
Eine Studie der steirischen Gebietskrankenkasse
zeigt, dass rund drei Viertel der Befragten von
ihrem Hausarzt über das Diabetes-Programm
„Therapie Aktiv“ informiert wurden. Aus dem viel-
gerühmten Internet haben weniger als ein Prozent
davon erfahren.
Das ist ein eindeutiger Beleg dafür, dass der „wohn-
ortnahe“ haus- oder fachärztliche Kontakt das Um
und Auf ist. Je weiter weg die medizinische Betreu-
ung ist, desto mehr spielen Zufälle eine Rolle, ob
und welche Informationen Patienten bekommen,
umso größer ist die Hürde, diese auch anzunehmen.
Wenn wir davon sprechen, dass mehr Vorsorgeme-
dizin nötig ist, auch um Reparaturmedizin – wenn
schon nicht völlig zu vermeiden – so doch auf einen
möglichst späten Lebensabschnitt zu verschieben,
dann ist die nahe ärztliche Versorgung unver-
zichtbar. Ebenso unverzichtbar wie die zeitliche
Möglichkeit für Ärztinnen und Ärzte, sich diesem
Thema entsprechend ausführlich zu widmen.
Er wünsche sich in 20 Jahren genug Ärztinnen und
Ärzte in vertretbarer Nähe, sagt der Präsident des
Gemeindebundes (ab Seite 8 in diesemMagazin).
Damit dieser Wunsch in Erfüllung geht, ist ent-
schlossenes politisches Handeln erforderlich. Ärzten
und Bevölkerung die Hausapotheken abzugraben,
die „sprechende“ Medizin finanziell ins Abseits zu
stellen, über Vorsorgemedizin viel zu reden, aber
wenig dafür zu machen, lässt die Erfüllung dieses
Wunsches aber in sehr weite Ferne rücken.
Was wir brauchen, ist eine Allianz für eine glaub-
würdige Nahversorgung. Ein erster Schritt dazu ist
der „Gesunde Mittwoch“, der bisher schon in neun
Bezirkshauptstädten stattgefunden hat. In Brüssel
und Wien kann man die Grundbedürfnisse der
Bevölkerung zumindest eine gewisse Zeit ungestraft
ignorieren. Dort, wo die Menschen leben, nicht.
Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli
ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.
1,2,3,4,5,6 8,9,10,11,12,13,14,15,16,17,...60