AERZTE Steiermark | März 2015 - page 7

Ærzte
Steiermark
 || 03|2015
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Die KAGes sucht 150 Ärztinnen und Ärzte. Allein
in diesem Monat sind 15 Kassenplanstellen ausge-
schrieben. Man muss kein großer Mathematiker
sein, um zu wissen: Der Bedarf an Ärztinnen und
Ärzten ist größer denn je.
Gibt es sie? Ja, grundsätzlich schon (noch). Aber
viele sind nicht bereit, in dem engen Korsett des
öffentlichen Gesundheitswesens zu arbeiten. Nein,
ich will nicht schon wieder über Bürokratie und
Lücken im Leistungskatalog klagen. Hier versu-
chen wir gerade, mit der GKK auf einen grünen
Zweig zu kommen. Dieser Tage findet eine ge-
meinsame Klausur dazu statt, Expertengruppen
werden die Details erarbeiten.
Das, was einfach und ohne große Kosten realisier-
bar ist, heißt Jobsharing. Es ist ein mehr als be-
rechtigter Wunsch vor allem jüngerer Kolleginnen
und Kollegen, Kassenstellen auch teilen zu kön-
nen. Denn mit Kindern und Familiengründung
lässt sich eine volle Kassenstelle mit einer realen
Arbeitszeit von 50 oder 60 Stunden einfach nicht
vereinbaren. Zwei können das als gemeinsame
Aufgabe aber gut bewältigen.
Wir brauchen mehr Flexibilität innerhalb des
öffentlichen Gesundheitswesens. Die Zeiten sind
vorbei, in der alle bereit waren, ihre persönliche
Lebensplanung strengen Strukturen unterzuord-
nen – und das ein ganzes Arbeitsleben lang.
Ich weiß schon: Für Systeme ist es einfacher, wenn
sich die Menschen mehr oder minder bedingungs-
los anpassen. Aber das tun sie eben nicht mehr.
Systeme, die überleben wollen, werden also ler-
nen müssen, sich den Menschen anzupassen. Sie
müssen aufhören, eindimensional zu sein, nur in
schwarz-weiß zu denken.
Auch das Kassensystem muss bunter werden. Und
es muss jetzt bunter werden.
Vizepräsident Dr. Jörg Garzarolli
ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte.
Manchmal hat man den Eindruck: Einige betrachten die
48-Stundenwoche, genauer die durchschnittliche wöchentliche
Höchstarbeitszeit von 48 Stunden, als eine Art gesetzlichen Be-
triebsunfall, den man beim geringsten Anlass wieder korrigieren
kann.
Das ist falsch: Die 48 Stunden sind der Normalfall, der Gesetz-
geber gibt nur die Möglichkeit, in einem Zeitraum von sechs
Jahren die organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, um dieses
Arbeitsgesetz konsequent, aber ohne Einbußen in der Versor-
gungsqualität leben zu können. Vor allem durch mehr qualifi-
ziertes Personal (das nicht auf den Bäu-
men wächst) und durch entsprechende
Begleitmaßnahmen.
Der jüngste Vorstoß des Roten Kreuzes,
das verlangt hat, die notärztliche Tätig-
keit aus den Arbeitszeitbestimmungen
herauszunehmen, entspricht genau
dieser Betriebsunfall-Haltung. Dass sie gefährlich ist, liegt auf
der Hand: Wenn immer gleich nach Ausnahmen gerufen wird,
sobald sich Schwierigkeiten ergeben, werden wir nie in der Nor-
malität landen.
Wenn Ärztinnen und Ärzte zu viel arbeiten, leiden deren Le-
bensqualität und die Patientensicherheit. Das ist common sense.
Was aber diejenigen, die das auch so sehen, nicht daran hindert,
im nächsten Augenblick schon nach Arbeitszeitverlängerung zu
rufen. Das argumentative Paradoxon bleibt unaufgelöst.
Um nicht missverstanden zu werden: Zur Opt-out-Regelung
stehe ich, weil die Alternative ein Versorgungs-Crash wäre. Wer
das Opt-out wählt, tut das aber freiwillig und befristet. Wer sich
nicht für das Opt-out entschieden hat oder entscheiden wird, tut
aber nichts anderes, als gesetzeskonform seiner Arbeit nachzu-
gehen.
Im neuen Dienst- und Besoldungsrecht haben wir aus guten
Gründen die weiteren Veränderungen, die 2018 und 2021 kom-
men werden, bereit berücksichtigt. Die Grundsatzdiskussionen,
ob die Arbeitszeitbestimmungen gut oder schlecht, vernünftig
oder unvernünftig sind, müssen endlich aufhören.
Sie sind Realität, sie müssen Normalität (auch in den Köpfen)
und sie müssen respektiert werden.
Dr. Herwig Lindner ist Präsident der
Ärztekammer Steiermark.
extra
Weiterer Kurienbericht ab Seite 40.
Jörg Garzarolli
Das Kassenystem
muss bunter werden
debatte
Fotos: Ärztekammer Steiermark/Schiffer, Conclusio, beigestellt, Grafik: Mirko Maric´
Standortbestimmung
Herwig Lindner
48 Stunden sind die Normalität
– sie verdient Respekt
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