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Ich, der Verdachtsfall

Ein Erfahrungsbericht. Subjektiv, wie es einem Betroffenen zusteht. Aber um Konstruktivität bemüht. Ein Steirer erleidet eine Seitenstrangangina und ist gleichzeitig ein COVID-19-Verdachtsfall. Hier erzählt er seine Geschichte. Wir haben alle erwähnten Stellen um einen Kommentar gebeten.

Anonymer Autor

Dieses Jahr war – gesundheitlich gesprochen – ein gutes für mich. Ich hielt mich von Krankheit fern und war nur Zaungast der globalen Pandemie. Als verantwortungsvoller Mensch bemühe ich mich, alle nötigen Maßnahmen mitzutragen und aktiv mitzuwirken die Pandemie einzudämmen. Unter dieser Prämisse steht mein Bericht, den ich bewusst anonym halte. Alle Personen, die darin vorkommen, hatten gute Absichten. Ich auch – etwa am 25. September:


Entzündung

Der Arbeitstag ist vorbei und ein schönes Wochenende steht bevor. Am Sonntag, dem 27., beginne ich, eine Entzündung der Seitenstränge zu spüren. Dieses Krankheitsbild ist mir seit Kindertagen wohlbekannt und wurde schon zig Male ärztlich diagnostiziert, darum maße ich mir hier auch diese Selbstdiagnose an. Also verziehe ich mich ins Bett und benachrichtige am Montag meinen Arbeitgeber.

Im Verlauf des Tages nehmen die Hals-Beschwerden zu und um 21 Uhr habe ich 38° Fieber. Damit ist klar, dass der nächste Tag mit einer Konsultation meiner Hausärztin beginnen wird. Also rufe ich zum frühesten Zeitpunkt an, weil diese Ordination in jedem Fall um Voranmeldung bittet. Nachdem mich die Ordinationsassistentin zu meinem Zustand befragt, werde ich angewiesen 1450 zu wählen, da man sich „nicht sicher“ sein kann. Also 1450 ins Telefon getippt. Danach folgten 51 Minuten Agonie in der Warteschleife. Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Einspieler sind nicht so schlimm. Eigentlich ist 1450 sehr professionell aufgebaut. Es ist der Fakt, dass man krank ist. Ich habe Beschwerden, liege – permanent ans Telefon gepresst – auf der Seite und starre von Warteschleifentexten berieselt auf den Sekundenzeiger, der mir ein Memento Mori eintaktet. Dann endlich die Erlösung. Eine freundliche Stimme geht mit mir eine Checkliste durch und befindet mich für einen Verdachtsfall. Nun beginnt der Spaß.


Kein Auto

„Haben Sie ein Auto?“, flötet es aus dem bereits mit dem Ohr verwachsenen Hörer. „Nein.“ „Oh, das ist aber schade. Dann schicken wir Ihnen eine mobile Testung vorbei. Wenn Sie ein Auto hätten, hätten Sie zum Test fahren können.“ (Anbei folgende Bemerkung: Die Dame bei 1450 war die Person, die am besten Bescheid wusste. Von allen.) Mir ist zu dem Zeitpunkt noch nicht klar, was der Unterschied zwischen „Ich-komme-zur-Testung“ und „Testung-kommt-zu-mir“ ist. Jedenfalls wird für mich ein Besuch der mobilen Testung vorgemerkt und ich werde mit dem Hinweis auf „selbst gewählte Absonderung“ in die nächsten anstehenden Telefonate entlassen.

Danach folgt der nötige Rückruf bei der Hausärztin. Also Corona-Verdachtsfall. „Sie sind in Quarantäne“, legt sich die Ordinationsassistenz fest: „Die Frau Doktor wird Sie im Lauf des Tages zurückrufen.“ Gut, gut … eigentlich nicht gut. Ich sitze nämlich mit einer Schale faulender Zwetschken fest, von denen ich mich so schnell wie möglich trennen will. Die Ärztin ruft gegen Mittag zurück und ich erkläre die zusätzliche Notlage, nachdem wir meine Beschwerden durchgegangen sind. „Wohnen Sie in einem Mehrparteienhaus?“ – „Ja.“ – „Dann ist es [den anderen Parteien] nicht zumutbar, dass Sie zur Müllinsel gehen.“ Aha. Eigentlich logisch, aber halt auch falsch. Bis ich den behördlichen Bescheid habe, ist nämlich gar nix mit „dürfen Sie nicht“. Das weiß ich aber zu dem Zeitpunkt noch nicht und mein sklavisches Vertrauen in die Stimmen am Telefon hilft mir nicht gerade. Also bringe ich mein soziales Umfeld in Gang und lasse mir für den nächsten Tag Hilfe kommen. Die ärztliche Hilfe für die mutmaßliche Seitenstrangangina andererseits beschränkt sich auf das telefonbedingte Minimum: „Ja, was haben Sie denn daheim?“ und „Brauchen Sie noch etwas?“ Es tut mir leid. Wenn ich genau wüsste, was nötig ist, um eine spezifische Infektion zu diagnostizieren und medikamentös zu therapieren, wäre ich Arzt. Bin ich aber nicht. Darum kann ich auch nicht sagen, was ich brauche. Aber sei´s drum. Der Dienstag geht mit spürbar schlechterer Stimme und Halsweh samt 38 °C Fieber zu Ende.


Verwaltung

Mittwoch ist wieder Telefontag. Als Erstes flattert der Absonderungsbescheid via E-Mail ins Haus. Dann folgt ein Anruf der ÖGK. Dabei ist eine Checkliste abzuarbeiten und wieder folgt eine umfangreiche Aufklärung. Ja, Aufklärung ist wichtig. Aber, dass die Verwaltung in Form der Versicherung auch noch Hinweise gibt, ist grenzwertig. Vor allem, weil ich nicht das Gefühl habe, dass es um meine Infektion geht, sondern nur darum, welche Zumutung ich für die Bürokratie bin. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich meine Stimme am Telefon bereits im Ausmaß eines AHS-Redewettbewerbs strapaziert. Daher wird sie immer leiser. Mein Kehlkopf ist beleidigt und brütet als Rache eine bakterielle Superinfektion aus (das sollte dann ab Freitag klar werden). Später werde ich von Freunden mit dem Nötigsten versorgt und von den Fruchtfliegen-umsurrten Zwetschken befreit. Ich hatte bisher noch keine Zeit mich zu kurieren, und das wird auch noch einige Zeit so bleiben.


Polizei

Am Donnerstag ist dann die Polizei da. Ja. Die Polizei. Ich bin ja für die mobile Testung angemeldet. Die irgendwann – aber spätestens nach drei Tagen – kommen kann. Darum verbringe ich die kranken Tage, wie ein Pfitschipfeil gespannt, wartend auf das – endlich – erlösende Läuten. Ich springe wie vom Bogen abgeschossen aus dem Bett und betätige die Haustüröffnung. Vor der geschlossenen Wohnungstür: zwei Polizisten. Ob der eine aus dem 3. Stock da sei. „Nein, was weiß ich“, durch die Tür gemurmelt. Die Beamten grummeln herum und verschwinden. Irgendwie bin ich schon paranoid und es kommt mir vor, als ob die nur da waren, um zu sehen, ob ich in Quarantäne daheim bin. Das Fieber hält an und Kopfschmerzen setzen zusätzlich zur Schwellung der Nasenschleimhäute ein.


Testung

Am Freitag ist es dann soweit: Die mobile Testung ist da. Ein Kerl im Ganzkörperkondom steht vor der Türe. Auch wenn man Tage geistiger Vorbereitung hatte, ist man doch nicht vorbereitet. „Tag. Bitte …“ – mein Gruß wird mit unverständlichem Murmeln hinter der Schutzummantelung beantwortet. Nachdem wir uns länger als angenehm durch die Türe zu verständigen versuchen und der Hellblaue bockig draußen verharrt, kann ich endlich verstehen, dass ich eine Schutzmaske aufsetzen soll. Nun bewegt sich das blaue Papierwunder in meine Wohnung. Ich werde mit einer Broschüre – dem Krankentagebuch inklusive nützlicher (?) Informationen – beglückt und bestimmt dazu aufgefordert, mich in eine Ecke zu stellen und zu husten. Dann zurück zu ihm und Maske runter. Mit einem Stäbchen an meinem Zäpfchen im Hals herumkratzen. (Was passiert eigentlich, wenn man sich auf den Herrn übergibt?) Danach weitere Aufklärung: schnellerer Testverlauf bei negativ, tendenziell langsamerer bei positiv – tschüss. Ok. Also weiter warten. Nun beginne ich, gefärbten Schleim zu spucken. Vermutlich vom Kehlkopf.


Ergebnis

Samstag ist dann der erste Tag, den ich relativ ruhig im Bett verbringen kann. Das Krankheitsbild ist gleich wie am Vortag. Sonntag dann das Testergebnis. Dass die sonntags arbeiten, hätte ich mir nicht gedacht. Aber das tun sie und da ist das negative Ergebnis. Krankheitsbild nun mit Tendenz zur Besserung. Montag dann zum ehestmöglichen Termin Anruf bei der Hausärztin. „Corona negativ, aber Sie sind noch krank. Da bleiben Sie besser daheim. Die Frau Doktor wird Sie anrufen.“ Gut, gut. Am frühen Nachmittag der Rückruf: „Ja, aber da müssen Sie schon vorbeikommen, wenn Sie weiter krank sind.“ Eigentlich bin ich ja gutmütig, manche sagen sogar, ich hätte viel Geduld. Nun ist sie jedoch knapp davor zu enden. Ich werde, nach leichter Widerwillensäußerung meinerseits, auf die Ordinationsassistenz zurückgeworfen, um einen Termin zu vereinbaren, weil „um jetzt vorbeizukommen, ist es zu spät“. Vereinbart wird Dienstag, 8 Uhr. Ich soll aber anrufen, wenn ich vor der Ordination stehe, es wird mir dann der Hintereingang geöffnet. Na gut. Wenigstens treffe ich nach acht Tagen einen Arzt.


Warten

Dienstag dann also zur Ärztin. Um 8 stehe ich dort und zücke das Telefon, nur um mitanzusehen, wie eine ganze Meute von Rezept-Lösern in die gerade geöffnete Ordi stürmt, während ich in der feuchten Kälte Warteschleifenmusik genieße. Als dann abgehoben wird und ich mich mit dem Sachverhalt vorstelle, kommt die Frage: „Sind Sie schon da?“ – „Jaaa …“, ich verspüre eine ernsthafte Verstimmung. „Ach so, aber die Ordination ist gerade belegt. Sie müssen warten.“ Das entgeht mir nicht und ich warte – an diesem feucht-kühlen, schattigen Herbstmorgen koche ich nun im eigenen Saft. Zumindest das wärmt. Wie die das im Winter machen werden, ist mir ein Rätsel. Lassen sie dann die Kranken draußen zum Sterben zurück, während sich die anderen für ihre Verschreibungen in die Ordi geiern? So stehe ich 25 Minuten in der Kälte und komme dann dran. Untersuchung. Weiter krank bis Freitag, 9.10. Nach Hause.


ÖGK-Brief

Angekommen höre ich den Postmenschen – und siehe da: ein Brief der ÖGK! Da ich schon Jahre im Leben stehe, ist mir die inhärente Gefahr solcher Schreiben bewusst. Prompt geöffnet lese ich, dass ich zur „unverzüglichen Bekanntgabe“ meines Testergebnisses bei der ÖGK aufgefordert bin. Zusätzlich und viel beunruhigender: „Ihr Krankenstand wird von uns für die Zeit von 29.09.2020 bis längstens 05.10.2020 anerkannt.“ Tja. Die ÖGK kennt sich aus, was? Die haben einen zwar nie gesehen und auch nicht behandelt – ja, man kann sogar mutmaßen, dass man denen schnurzpiepegal ist, aber sie wissen, wie lange man krank ist – oder zu sein hat. Also rufe ich die im Schreiben angeführte Nummer an. Eine unfreundliche Stimme erklärt mir, dass ich seit gestern gesund bin. Selbst wenn ich dies schreibe, schnellt mein Blutdruck ungesund hoch. Auf meinen Widerspruch wird mir genervt an den Kopf geworfen, dass gefälligst die Ordination den Sachverhalt der Krankmeldung richtigzustellen hätte und es natürlich an mir wäre, die Ordination darauf hinzuweisen. Wenn ich jetzt diesem Wicht meine Meinung sage, nehme ich noch mehr Schaden. Also rufe ich, einem zornbedingten Aneurysma nahe, in der Ordi an und konfrontiere die Assistentin mit dem Sachverhalt. Nachdem meine Identität geklärt ist, kommt dann „Die Verwaltung hat Sie mit 5.10. gesundgeschrieben.“ aus dem Hörer. Ich halte dagegen, dass ich ja gerade da war und von der Frau Doktor bis Freitag krankgeschrieben worden bin. „Sie sind also weiter krank“ – sehr schlau, diese Assistenz. „Was sind denn Ihre Beschwerden?“ Ich gehe nun nicht auf meine Antwort ein. Nur soviel: Ich hätte mich, trotz der Distanz, wahrscheinlich auch ohne Telefon verständlich machen können. Als Folge verliere ich zwei Tage meine Stimme. Aber: Die ÖGK hat bekommen, was sie wollte, und die Bürokratie nahm ihren vorgesehenen Verlauf.


Das ist mein Bericht von meinem Infekt. Heute bin ich schlauer. Wir werden als Gemeinschaft die Pandemie überwinden, aber vielleicht können diese Zeilen ein wenig dazu beitragen, den Weg dorthin für andere zu optimieren.

 

Der Gesundheitsfonds Steiermark wollte keinen Kommentar zum konkreten Vorwurf der langen Wartezeit beim Telefon 1450 abgeben, versicherte aber, dass man an Verbesserungen arbeite.

 

Von der ÖGK kam trotz ausdrücklicher Einladung keine Stellungnahme zu den sie betreffenden Vorwürfen des Patienten.

 

„Die Ärztinnen und Ärzte tun alles, um unter teils schwierigsten Rahmenbedingungen die Gesundheitsversorgung für alle Menschen zu sichern. Uns ist bewusst, dass kranke Menschen besonders belastet und daher ungeduldig sind. Daher reagieren sie auch sehr sensibel. Aber wir müssen aus Sicht einer Ordination die Gesamtsicht auf alle Patientinnen und Patienten bewahren – denn sie alle haben das Recht auf bestmögliche ärztliche Behandlung und Betreuung. Bitte um Verständnis.“

VP Christoph Schweighofer, Obmann der Niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte

 

Es geht nicht um Schuld …

Wie ist für Betroffene, wenn es so ist, wie es ist …?

Das „System“ sind Ärztinnen und Ärzte sowie Gesundheitsinstitutionen aus Sicht der Patientinnen und Patienten. Das „System“  – eigentlich eher: die „Systeme“ – haben ihre spezifischen Erfordernisse, die den Betroffenen zugemutet werden (müssen). Im Wortsinn wird Mut erforderlich. Und gerade Kranke und von Krankheit Bedrohte empfinden Erfordernisse sehr rasch als Zumutung.

Diesen Umstand den Systemplayern bewusst zu machen, ist der Sinn der Veröffentlichung dieses Beitrags eines Betroffenen. Es geht nicht um Schuld, sondern um Erkenntnis. Dieser Beitrag unterscheidet sich von anderen Äußerungen Betroffener durch große Reflektiertheit und die Bereitschaft zu analytischem Denken. Dennoch ist er subjektiv, aus der persönlichen Perspektive wahrgenommen. Nur: Das ist wohl immer so …           red
 

AERZTE Steiermark 11/2020

 

Foto: Adobe Stock




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