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Malen wider den Panzer

Der südoststeirische Allgemeinmediziner Peter Gungl findet über das Malen einen Weg, trotz belastender Erlebnisse als Arzt offen und sensibel zu bleiben. Dabei folgt er einem taoistischen Kunstverständnis.

U. Jungmeier-Scholz

„In meiner Arbeit begegne ich neben dem Wunder des Lebens auch immer wieder seinem Schrecken“, erzählt der Allgemeinmediziner Peter Gungl. „Da ist die Versuchung groß, sich einen Schutzpanzer zuzulegen.“ Gungl aber will offen bleiben, nicht verkrusten, keinen Panzer brauchen. Daher wendet er sich in seiner Freizeit ganz bewusst dem Schönen zu – in der Natur und in der Kunst.

Gemalt hat der heuer im Mai 60 Jahre alt Gewordene schon zu Schulzeiten gerne. Sein Lehrer Luis Sammer, der neben der eigenen künstlerischen Tätigkeit 35 Jahre lang am Bischöflichen Gymnasium Bildnerische Erziehung unterrichtet hat, war – und ist – nicht nur in bildnerischer Hinsicht Gungls Mentor. „Er konnte mir die Freude am Schöpferischen vermitteln.“ Auf eine sehr geerdete Art: „Er hat uns gesagt, es könne vorkommen, dass wir uns an einem Tag beim Malen vorkämen wie der liebe Gott – um am nächsten Tag zu sehen, dass das Bild der größte Mist sei. Aber diesen Prozess müssten wir aushalten.“ Gungl kennt diesen Balanceakt – sowohl fast spirituelle Erlebnisse im Flow des Malens als auch die Ernüchterung nach dem kritischen zweiten Blick. „Luis Sammer ist einer der wichtigsten Menschen meines Lebens“, betont er.

Familienfreundliche Entscheidung

Seinen wirklichen Lebensmenschen hat Gungl in seiner Frau Christiana gefunden, schon während des Medizinstudiums, das die beiden parallel absolvierten. Im letzten Turnusjahr kam Sohn Daniel zur Welt – zwei Jahre später Tochter Anna – und das Ehepaar machte sich intensive Gedanken über eine familienfreundliche gemeinsame ärztliche Zukunft.

„Eigentlich hätte mich die Chirurgie gereizt – und ich mache auch heute noch im Rahmen meiner Ordination gerne kleine OPs“, erzählt Gungl. „Aber im Turnus ist mir klar geworden, wie familienfeindlich die Arbeitsbedingungen im Spital waren. Da haben wir beschlossen, beide als Hausärzte aufs Land zu gehen.“ In der Oststeiermark, wo das Paar seit 1987 in Kirchberg an der Raab seine Praxis betreibt, ist es aufgrund verwandtschaftlicher Bindungen gelandet. Christiana stammt aus dem Nachbarort und auch Peter Gungl, der in Graz aufgewachsen ist, verfügt zumindest über oststeirische Wurzeln. „Wir hatten es uns allerdings romantischer vorgestellt als es letztlich war“, bekennt der immer noch begeisterte Allgemeinmediziner. Im Idealismus und Enthusiasmus, mit denen er an seine Arbeit herangegangen war, lag letztlich der Keim zu einer vorübergehenden schweren Erschöpfung und Frustration: Nach weniger als einem Jahrzehnt als Arzt schlitterte er in ein Burnout.

Kraftquelle Malen

Gungls Krise fiel zeitlich mit der beruflichen Zusatzqualifizierung seiner Frau zusammen, die sich gerade in der Diplomausbildung für Psychotherapeutische Medizin befand. An ihr konnte er Veränderungen beobachten, die ihn als Partner herausforderten und faszinierten. Daraufhin absolvierte er selbst die beiden ÖÄK-Diplome in psychosozialer und psychosomatischer Medizin, die auch ihm jenes Maß an Selbsterfahrung schenkten, das ihm in dieser Situation Hilfe und Stabilität bot. Er gab seinem Leben daraufhin bewusst wieder mehr Vielfalt und wandte sich verstärkt seinen sozialen Beziehungen und außermedizinischen Interessen zu – allem voran dem Malen.

Als das Ehepaar Mitte der 90er-Jahre sein Haus renovierte, richtete Gungl sich darin ein kleines Atelier ein. Zweimal im Jahr zieht er sich außerdem schon seit ein paar Jahren regelmäßig mit Freunden auf den Demmerkogel in die Einschicht zurück, um in dieser ganz besonderen Atmosphäre unter den speziellen Lichtverhältnissen zu malen. Mit von der (Alm-)Partie ist Peter Mairinger, der in Graz geborene Maler, der mittlerweile in Salzburg ein Atelier betreibt. „Wir sind uns vom Naturell her sehr nahe“, erklärt Gungl, der selbst Mitbegründer der Kirchberger Künstlergruppe „Kunst.los“ ist.

Ansonsten malt Gungl auch gerne ganz für sich, was er mit den Worten „ohne krampfhaftes Wollen etwas von sich auf die Leinwand geben“ umschreibt. Dieses „Tun ohne Wollen“, die taoistische Einstellung zur Kunst, entspricht seinen künstlerischen Intentionen. „So ist wohl auch mein Interesse am Zen entstanden.“

Wabi sabi

Gungl, der immer schon dem abstrakten Expressionismus zugeneigt war, fand seinen prägenden Zugang zur asiatischen Kunst beim Erleben einer Ausstellung 1998 im Wiener Kunsthistorischen Museum. Dort wurden Arbeiten des chinesischen Landschaftsfotografen Wang Wusheng präsentiert – im Kontrast zu europäischer Landschaftsmalerei. Gungl faszinierten die Schwarz-weiß-Fotografien mit ihren im Weiß des Nebels scheinbar schwebenden dunklen Felsformationen. „Das Weite, das Leere, das Reduzierte fesseln mich an der asiatischen Kunst“, erklärt er. „Und innerhalb dessen dann das Spontane, Unerwartete.“ Auf seiner Homepage widmet sich Gungl eingehend dem kunsttheoretischen Hintergrund seines Schaffens. „Ich wollte immer wissen, was ich tue, und das argumentieren können.“ Im Web finden sich auch seine Überlegungen zum „wabi sabi“, jenem japanisch geprägten ästhetischen Konzept der Zen-Kunst, das die unvollkommene, gebrochene Schönheit – und ihren ganz eigenen Reiz – thematisiert. „Es geht um die Hoheit, die sich in der unscheinbaren Hülle verbirgt, die herbe Schlichtheit, die dem Verstehenden doch alle Reize des Schönen offenbaren“, wie der 1971 verstorbene deutsche Ostasien-Experte Wilhelm Gundert „wabi sabi“ zu definieren versuchte.

Das Fremde und das Eigene

Die Freude am Spontanen und am Geschehenlassen, die Gungl im Bereich der Kunst kultiviert, widerspricht auf den ersten Blick seiner sonst so strukturierten Art. „Ich hab´s gern geordnet; sowohl als Arzt als auch im sonstigen Alltag“, gesteht Gungl. Selbst sein Garten darf durchaus zur Schau stellen, dass hier regelmäßig Hand angelegt wird. „Wie ein japanischer Garten eben …“

Diesen scheinbaren Widerspruch von Ordnungsliebe und künstlerischem Freiheitsdrang sowie gestalterischer Offenheit erklärt Gungl mit der „Faszination des Fremden“.

Nichts Fremdes, sondern seine ganz eigenen Erfahrungen will Gungl den angehenden Ärztinnen und Ärzten zugänglich machen: Seit vielen Jahren betreiben er und seine Frau schon eine Lehrpraxis und waren beide federführend in der Gruppe jener Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner tätig, die sich im Rahmen des Lehrauftrages engagiert haben, der dem Anfang 2015 installierten Lehrstuhl für Allgemeinmedizin an der Medizinischen Universität Graz vorausging.

Vielleicht gelingt es ihm als Mentor auch, den jungen Berufskolleginnen und -kollegen Alternativen zum Schutzpanzer aufzuzeigen und, wie er sagt, „gut auf sich zu achten. Denn nur wenn es dir gut geht, kannst du gut für andere sein.“

 

Fotos: beigestellt

AERZTE Steiermark 09/2018




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