Wenig Transparenz mit absolutistischen Zügen

Die Gesundheitspolitik fordert (mehr) Transparenz im Gesundheitssystem. Aber wie transparent ist die Gesundheitspolitik? Eiko Meister, Arzt, Qualitätsreferent im Präsidium der Ärztekammer Steiermark und Gesundheitssprecher des Think Tank Weis[s]e Wirtschaft, ging dieser Frage beim Med&Care-Kongress in Graz nach.

Transparenz ist schick. Kritik am Transparenz-Diktat gibt es zwar, aber sie ist so verhalten, dass sie im Chorgesang der Transparenz-Forderer kaum zu hören ist. Ärztinnen und Ärzte, aber genauso andere Gesundheitsberufe, erleben den Transparenz-Druck täglich: Sie sollen dokumentieren, damit ihre Entscheidungen und Handlungen nachvollziehbar sind und bleiben – zehn Jahre, 30 Jahre. Evidenzbasierte Medizin ist jedenfalls transparent. Checklisten und vorgegebene Behandlungspfade erzwingen normgerechtes Handeln, Intuition und Spontaneität haben kaum mehr Raum. Aber nicht nur die Prozesse, sondern auch die Ergebnisse sollen transparent sein. Dafür gibt es Listen und Rankings – die natürlich nur dann die Transparenz fördern, wenn sie öffentlich zugänglich sind. Dass die Kriterien, nach denen diese öffentlichen Listen erstellt werden, oft zu einfach sind, um tatsächlich eindeutige Aussagen zu erlauben, wird leicht missachtet.

Vergleicht man ähnlich gelagerte, aber eben nicht gleiche Fälle und bewertet Krankenhäuser etwa nach den aufgetretenen Komplikationen, gewinnt in der Regel das Krankenhaus, das die weniger schweren Fälle aufnimmt. Zum Beispiel das periphere Spital gegen ein Universitätsklinikum. Wer riskiert, verliert in den meisten Fällen.
Aber was ist, wenn man nicht die Transparenz der Gesundheitsversorgung diskutiert, sondern die Transparenz der Transparenz fordernden Gesundheitspolitik? Beim Med&Care-Kongress in Graz hat Eiko Meister genau das versucht und ist zu ernüchternden Ergebnissen gekommen: Die Politik versagt, gemessen an den eigenen Transparenzansprüchen kläglich. Mehr noch: Sie muss versagen.

 

Komplex

Das erste Problem ist das Gesundheitssystem selbst. Auch wenn man es vereinfacht darstellt, bleibt es hochkomplex. Entscheidungsprozesse sind daher kaum durchschaubar. Wer auf sie Einfluss nimmt, wann, mit welcher Intensität und mit welchen Argumenten, ist nur schlecht dokumentiert und auch nur schlecht dokumentierbar. Die Medien, die diese Aufgabe wahrnehmen könnten, befassen sich nur punktuell, und der eigenen Logik folgend, vereinfachend mit den großen Themen. Und sie sind auf Informationen der entscheidenden Organisationseinheiten angewiesen, die diese ihnen nur bruchstückhaft, oft gar nicht, und fast immer mit dem Ziel geben, die eigenen Interessen zu stützen und besser noch durchzusetzen.

Wobei die Entscheider nicht nur Täter sind. Oft genug kennen sie die Ziele nur sehr vage, nicht selten stehen auch ihnen die Grundlagen nicht zur Verfügung. In vielen Fällen ist rationales Entscheiden und Handeln kaum möglich, weil kollektiven Entscheidungen entweder das Aushandeln von Kompromissen oder die Aus¬übung von Macht erfordern. Ob „gewaltfrei“ oder unter Einsatz von Gewalt, am Ende wird da kaum eine rein sachlich begründete Entscheidung stehen.

 

Menschlich

Entscheider wollen ihre Entscheidungen auch überleben. Daher scheuen sie verständlicherweise Risiken. Im Zweifel verlassen sie die bekannten Ufer nicht, sie wählen unter den möglichen Alternativen jene, die ihnen vertrauter sind. Die Verhaltensforschung und die experimentelle Wirtschaftswissenschaft zeigen in mehreren Versuchsanordnungen die Grenzen auf, die das menschliche Verhalten setzt.

Irrationalität und Subjektivität ist jedoch keine Privilegien der Politik. Meister zitierte eine Umfrage unter US-Managern aus dem Jahr 2004: Demnach beklagen fast 80 Prozent der Befragten falschen Entscheidungen auf Grund fehlerhafter oder unvollständiger Informationen sowie unsystematischer Vorgehensweisen im Entscheidungsprozess.

 

Der Fall ELGA

Ein schönes Beispiel ist der Entstehungsprozess der Elektronischen Gesundheitsakte ELGA. Anhand dieses Prozesses beleuchtete Meister die Möglichkeit und die Grenze nachvollziehbarer – und damit transparenter – politischer Prozesse. Rationale, normative Entscheidungen durchmischen sich damit deskriptiven, auf Wahrscheinlichkeiten basierenden und kollektiven Strategien. Um bisweilen ins Absolutistische abzugleiten.

Am Anfang stand ein teils normativer, teils kollektiver Ansatz. Die so genannte STRING-Kommission definierte – bereits im Jahr 2003 – basierend auf Papieren der Europäischen Union die Grundlagen für ELGA. Das öffentliche und auch das fachöffentliche Interesse war zu diesem Zeitpunkt mäßig, zu weit weg erschien zu diesem Zeitpunkt die Realisierung.

Drei Jahre später wurde die Arge ELGA gegründet, und zwar im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Mit der Gründung, basierend auf einer Bund-Länder-Vereinbarung, wurden die Entscheidungen weitgehend kollektiv abgewickelt, sprich, zwischen den Protagonisten ausgehandelt.

Der nächste Meilenstein war dann die IBM-Machbarkeitsstudie: Kollektiv, vielleicht deskriptiv, verlief die Entscheidung zur Beauftragung, die auch das gewünschte Ergebnis brachte: den Auftrag zur Umsetzung. Ab 2007 startete die Projektarbeit, mit Verhandlungen im Hintergrund, manche Projektteilnehmer fühlten sich, wegen des in ihren Augen absolutis¬tischen Entscheidungsstils, regelrecht überfahren. In der ELGA GmbH, die 2009 ihre Arbeit vornahm, dominierten wieder kollektive Strategien, da Bund, Länder und Sozialversicherungen, „gestört“ durch Interessenvertretungen, wie vor allem die Ärztekammer, den Prozess vorantrieben.

Aber wie transparent verlief der Gesamtprozess bis zum heurigen Jahr, in dem die Widerspruchsstelle eingerichtet wurde? Gegen die Transparenz spricht schon, dass der Prozess weitgehend ohne öffentliche Wahrnehmung und Diskussion verlief. Die STRING-Kommission kennen nur Insider, die Arge ELGA, die Ergebnisse der IBM-Machbarkeitsstudie, die Tätigkeit der ELGA GmbH, das ELGA-Portal, und selbst die Widerspruchsstelle, erfuhren kaum systematische Kommunikation.

Nur durch die Kritik der Ärzt¬ekammer und zuletzt auch des Hausärzteverbandes wurde über den Konflikt so etwas wie Öffentlichkeit hergestellt, aber eher nolens volens, weil sich die Betreiber gegen die Kritik zur Wehr setzen mussten. Was ELGA kostet, ist bis heute nicht bekannt, es gibt lediglich Schätzungen in großer Bandbreite. Auch die Angaben über die Inanspruchnahme der Widerspruchsstelle sind widersprüchlich.

 

Weit weg vom Ideal

Das Postulat: In der Grundüberlegung folgt die Politik noch der normativen Entscheidungstheorie, in der Planungsphase geht sie anfänglich zu kollektiven Strategien über, um in der Umsetzung sicherheitsbewusst und risikovermeidend deskriptiv zu agieren, das aber oft mit dominanten bzw. absolutistischen Zügen.

„Transparenz ist in der Politik ein Zustand mit freier Information, Partizipation und Rechenschaft im Sinne einer offenen Kommunikation zwischen den Akteuren des politischen Systems und den Bürgern“, so die Definition des Ideals. Die österreichische Gesundheitspolitik (aber nicht nur diese) scheint davon weit entfernt, so Meisters Fazit.

 

Fotocredit: Lunghammer/Med&Care

Grazer Straße 50a1
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