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AERZTE Steiermark 09/2023

 

Herzensangelegenheit Gender Medicine

Wo steht die Gender Medicine heute? Die Innsbrucker Professorin für Medizin und Diversität, die Kardiologin Margarethe Hochleitner, wird auf den Grazer Fortbildungstagen zur Rolle der Frau in der Medizin referieren. AERZTE Steiermark sprach vorab mit ihr.

Männer bekommen mehr. Mehr Gehalt, aber auch mehr Herzkatheter-Untersuchungen und Bypass-Operationen. In den 1990er-Jahren waren es doppelt so viele Herzkatheter und zwei Drittel aller Bypässe. Obwohl es in Österreich jedes Jahr mehr weibliche als männliche Herztote gibt, bleibt der Herzinfarkt weiterhin männlich konnotiert. Nicht einmal die Mär, Frauen zeigten beim Herzinfarkt unklarere Symptome, lässt Gender-Medizinerin Margarethe Hochleitner so einfach gelten: „Es stimmt zwar, dass Frauen öfter als Männer die sogenannten seltenen Symptome eines Herzinfarktes aufweisen. Aber selbst bei ganz typischer Symptomatik dauert es länger, bis Frauen die entsprechende ärztliche Hilfe erhalten.“


Alternativen aktiv suchen

Das häufigste Anliegen, mit dem sich Patientinnen an das spezialisierte Frauengesundheitszentrum der Innsbrucker Universitätskliniken wenden, ist jedoch ein alltägliches, nämlich jenes der Medikamentenunverträglichkeiten: „Frauen haben ein stärkeres Immunsystem, das sie besser gegen Infektionskrankheiten, aber auch vor Krebs schützt“, erklärt Hochleitner. „Der Preis, den sie dafür zahlen, besteht darin, dass sie mehr Autoimmunerkrankungen, Allergien und Unverträglichkeiten haben.“

Vor allem auf Präparate gegen Hypertonie reagieren sie häufig sehr sensibel, was zu einem Compliance-Problem (nämlich selbst verordneter Dosisreduktion) und in weiterer Folge zu massiven gesundheitlichen Schäden führt. „Wichtig ist zu wissen, dass es verschiedene Medikamentengruppen gibt und eine für die jeweilige Frau passende zu suchen. Ärztinnen und Ärzte müssen gerade bei Frauen aktiv nachfragen, ob sie ein verordnetes Medikament auch vertragen.“


Einiges erreicht

Hochleitner ortet auch positive Entwicklungen in der geschlechtergerechten Medizin: Mittlerweile müssen Frauen in Medikamentenstudien einbezogen werden, sonst erhält das Arzneimittel keine Zulassung. Auch die erfreuliche Rolle der Medien in puncto Bewusstseinsbildung hebt die Gender-Medizinerin hervor. „Heutzutage fordern die Patientinnen aufgrund ihres besseren Zugangs zu Informationen immer öfter personalisierte Medizin und wollen nur Medikamente einnehmen oder Behandlungen akzeptieren, die auch für Frauen evidenzbasiert sind.“

Trotzdem sieht Hochleitner noch Handlungsbedarf, der schon bei der ärztlichen Ausbildung beginnt. Zwar zählt an der Med Uni Innsbruck die Gender Medicine zu den Pflichtfächern im Curriculum. Dies sollte jedoch flächendeckend in allen medizinischen Ausbildungen der Fall sein. Sie erklärt auch, warum ein Wahlfach nicht reicht: „Ein Wahlfach besuchen nur Studierende, die ohnehin bereits sensibilisiert sind.“

Geschlechterdifferenzen in die Diagnostik wie Therapie routinemäßig einzubeziehen, sei nicht zuviel verlangt, meint Hochleitner: „Ein Veterinärmediziner, der Zootiere betreut, muss über Schlangen wie Giraffen Bescheid wissen. Und wir Ärztinnen und Ärzte sollen nicht einmal zwei Geschlechter einer Art schaffen?“


Zu wenig gewehrt

Eine Hoffnung, dass in Hinkunft spezifischer auf Patient:innen eingegangen wird, liegt in der Zunahme von Frauen in der Ärzteschaft. Die Zukunft der Medizin werde unweigerlich weiblich, so Hochleitner. Dem müsse aber auch organisatorisch Rechnung getragen werden. Obwohl zeitweise schon mehr als die Hälfte der Medizinstudent:innen Frauen waren, liege die Quote bei den Meduni-Professor:innen erst bei 32 Prozent. Als Vorsitzende des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen befürworte sie daher auch gesetzliche Regelungen zur Hebung des Frauenanteils.

Aber nicht nur auf universitärer Ebene brauche es Veränderung: „Die Landarztpraxis ist ein klassisches männliches Modell. Die neu geschaffenen Teilzeitmöglichkeiten und Varianten von Gruppenpraxen entsprechen eher den weiblichen Lebensentwürfen.“ Oft steckten auch (angehende) Ärztinnen in traditionellen Lebensentwürfen fest und übernähmen die Gesamtverantwortung für die Familienarbeit: „Erschütternd“ sei es für sie gewesen, wie wenig sich die Frauen gewehrt haben, als ihnen in Pandemiezeiten die überwiegende Verantwortung für Homeschooling und Haushalt zugeschanzt wurde. „Die Frauen haben geweint, aber nicht auf den Tisch gehaut.“

 

Margarethe Hochleitner ist an der Medizinischen Universität Innsbruck Professorin für Medizin und Diversität, Direktorin der Gender Medicine & Diversity Unit, Leiterin der Koordinationsstelle für Gleichstellung, Frauenförderung und Geschlechterforschung sowie Vorsitzende des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen. Ihre Morgenvorlesung im Rahmen der Grazer Fortbildungstage findet am Freitag, 13. Oktober 2023, um 8.00 Uhr im Kammermusiksaal im Congress Graz statt.

 

www.grazerfortbildungstage.at

Foto: Christoph Lackner




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