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Leiden in Deutschland

Für viele junge österreichische Ärztinnen und Ärzte ist Deutschland das bessere Österreich – ein Sehnsuchtsland. Deutsche Ärztinnen und Ärzte erleben die Medizin in Deutschland weit leidvoller.

Die deutsche Wochenzeitung DIE ZEIT bat Ende März vier Klinikärztinnen und -ärzte zum Gespräch. Titel des Dialogstücks: „Wie geht’s, Doktor?“ Die Antwort zusammengefasst: sehr, sehr schlecht. Drastisch schilderte  das Quartett triste Arbeitsbedingungen, Überforderung durch den Spardruck und die ständige Angst, unter diesen Umständen Fehler zu machen: „… ich wurde relativ schnell zur Oberärztin und hatte an meiner alten Klinik, einer Uni-Klinik, zwölf Nächte im Monat Rufbereitschaft. Sie müssen jede Nacht aufs Neue entscheiden: Fahre ich rein, um die jungen Kollegen zu unterstützen oder nicht? Wenn da aber ein 20-Jähriger mit Lungenentzündung um sein Leben kämpft, bleiben Sie nicht im Bett liegen. Am Ende bin ich im Zweifel immer in die Klinik gefahren. Knapp zwei Jahre habe ich das durchgehalten. Dann habe ich das Krankenhaus gewechselt und bin aus der Intensivmedizin ausgestiegen“, schildert eine 38-jährige Internistin. Und ein 46-Jähriger, ebenfalls Facharzt für Innere Medizin, beschreibt die Hintergründe: „Der Zwang, Geld zu verdienen, ist … bei den öffentlichen Krankenhäusern angekommen. Die Methoden sind überall die gleichen. Die Kliniken sollen Gewinne abwerfen. Die größten Kosten verursacht das Personal. Da wird gespart.“ Und sagt auch, was er ändern würde: „Im Moment ist es so, dass der Arbeitgeber … entscheiden kann, wie viele Ärzte er in welchem Bereich einsetzt. Eine Idee wäre, dass es dafür gesetzlich festgelegte Standards gibt. Eine klare Personalbemessung.“


Hilferuf

Vier Ärztinnen und Ärzte, das ist natürlich eine Aneinanderreihung anekdotischer Erzählungen, medial zugespitzt. Aber hinter diesen Geschichten stehen Fakten. Im März 2017 wurde eine Umfrage des Hartmannbundes im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. „Junge Ärzte hadern mit dem Klinikalltag“ lautet die zusammenfassende Überschrift. Ein paar Ergebnisse aus der Studie, für die 1.300 Assistenzärztinnen und -ärzte befragt wurden: 76 Prozent geben an, „dass sie schon einmal zur Arbeit gegangen sind, obwohl sie aufgrund von Krankheit eigentlich nicht hätten arbeiten dürfen“. Ein Drittel vergibt im Fach „Arbeitszufriedenheit“ die Schulnoten 4 oder 5, ein weiteres Drittel benotet mit einem 3er. Knapp 45 Prozent der Befragten wollen nach Abschluss der Ausbildung in die ambulante Medizin gehen (der Hartmannbund vertritt die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland). Viele beklagen zu viele Überstunden, 65 Prozent sagen, dass die Arbeitszeit „nicht objektiv und manipulationssicher vom Arbeitgeber erfasst“ werde. 52 Prozent wurden laut Umfrage schon einmal direkt oder indirekt aufgefordert, Extra-Stunden nicht zu dokumentieren. Ein gutes Fünftel sagt, dass Überstunden grundsätzlich nicht anerkannt würden, es also weder Zeitausgleich noch Bezahlung dafür gäbe. Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, interpretiert die Studienergebnisse laut Ärzteblatt als „Hilferuf der jungen Ärztegeneration, so nicht mehr arbeiten zu wollen“.

Ökonomischer Druck

Bereits ein knappes Jahr zuvor, im Mai 2016, hatte das deutsche „Bündnis junge Ärzte“ gemeinsam mit der deutschen Bundesärztekammer Alarm geschlagen: „Wir haben den Anspruch an uns, eine moderne und menschlich zugewandte Medizin zu machen. Doch durch den zunehmenden ökonomischen Druck werden Krankenhäuser zur Prozessoptimierung gezwungen und reagieren mit Personaleinsparungen“, sagte Matthias Krüger, Sprecher des chirurgischen Nachwuchses im Berufsverband der Deutschen Chirurgen, bei einer Diskussionsveranstaltung (aerzteblatt.de). Zwangsläufig komme es zu einer sich zuspitzenden Arbeitsverdichtung. „Ärzte dürfen nicht zum Renditefaktor verkommen“, warnte er. „Wir sind Leistungserbringer, nicht Kostenfaktoren!“ Was die jungen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland fordern, klingt auch für Österreicherinnen und Österreicher vertraut: sowohl strukturelle als auch finanzielle Förderung der Vereinbarkeit des Arztberufes mit einer Familie, Kinderbetreuungskonzepte, die angepasst an ärztliche Arbeitszeiten sind, familienfreundliche Arbeitszeitmodelle sowie Stellenschlüssel an den Kliniken, die Schwangerschaftsvertretungen und Elternzeiten durch eine zeitnahe Einstellung von Ärzten ermöglichen.

Der Marburger Bund hat die prekäre Arbeitssituation von Spitalsärztinnen und -ärzten  bereits 2015 mit einer für die deutsche Spitalsärzteschaft repräsentativen Studie – dem vom Institut für Qualitätsmessung und Evaluation (IQME) erstellten MB-Monitor (Online-Befragung von 3.895 Ärztinnen und Ärzten deutschlandweit)  – untermauert. Fazit: „Hoher Zeitdruck, zunehmende Arbeitsverdichtung und Personalmangel belasten angestellte Ärztinnen und Ärzte nicht nur im Klinikalltag, sondern wirken sich auch negativ auf das gesundheitliche Befinden und das Privatleben aus.“
59 Prozent fühlen sich laut dieser Befragung durch ihre Tätigkeit „häufig psychisch belastet“. 72 Prozent „haben das Gefühl, dass die Gestaltung der Arbeitszeiten im Krankenhaus die eigene Gesundheit beeinträchtigt, z. B. in Form von Schlafstörungen und häufiger Müdigkeit“. Nur 27 Prozent geben an, dass sie sich „selten“ oder „nie“ durch ökonomische Erwartungen, die der Arbeitgeber an sie heranträgt, in ihrer ärztlichen Diagnose- und Therapiefreiheit beeinflusst fühlen, 34 Prozent fühlen sich „manchmal“ beeinflusst, 30 Prozent „häufig“ und 9 Prozent „fast immer“. Weiteres Ergebnis: 77 Prozent aller Befragten (79 % der Männer und 76 % der Frauen) nimmt die Arbeit so stark in Anspruch, dass dadurch das Privatleben bzw. Familienleben leidet. Eine freie Antwort, die in der Medieninformation zitiert wird, klingt dramatisch: „Die Wertschätzung für hart geleistete Arbeit geht gegen Null.“

Deutsche Bürokratie

Ein Hauptkritikpunkt ist – auch in Deutschland – die Bürokratie, die Zeit für die Patientinnen und Patienten wegnimmt: Auf die konkrete Frage „Steht Ihnen für die Behandlung Ihrer Patienten ausreichend Zeit zur Verfügung?“ antworten 69 Prozent mit „Nein“ und nur 31 Prozent mit „Ja“. Ein Drittel der Krankenhausärzte schätzt den täglichen Zeitaufwand für Verwaltungstätigkeiten, die über ärztliche Tätigkeiten (z. B. Arztbriefe schreiben) hinausgehen, laut MB-Monitor auf mehr als zwei Stunden; 41 Prozent auf 1 bis 2 Stunden. Auch hier sagen viele (28 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte), dass ihre Überstunden weder überwiegend vergütet noch mit Freizeit ausgeglichen würden. Laut Marburger Bund sind das 15,4 Millionen Überstunden pro Jahr, die nicht bezahlt oder mit Freizeit ausgeglichen werden.
Dass die Arbeitszeitregelungen in Deutschland eingehalten würden, kann man nach Lektüre dieser Studie auch nicht (mehr) behaupten: Jeder Fünfte (21 %) arbeitet demnach durchschnittlich 60 bis 79 Stunden pro Woche. Drei Prozent der Ärzte arbeiten im Durchschnitt sogar mehr als 80 Stunden pro Woche. Daraus ergibt sich für den Marburger Bund: Die festgeschriebene durchschnittliche Höchstarbeitszeitgrenze von bis zu 60 Stunden pro Woche kann von jedem vierten Krankenhausarzt nicht eingehalten werden.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine regionale Studie des Marburger Bundes in Schleswig-Holstein. 89 Prozent der angestellten Ärzte fühlen sich laut dieser Umfrage wegen Personalmangels und zunehmender Arbeitsverdichtung überlastet. Kritikpunkte sind auch hier überlange und oft nicht erfasste Arbeitszeiten. Besonders alarmierend: „Die Arbeitsbedingungen haben sich im Vergleich zu einer Umfrage von 2015 weiter verschlechtert“, berichtet der Vorsitzende des MB-Landesverbandes, Henrik Herrmann. Am meisten fühlten sich junge Ärzte (93 Prozent) überlastet, gefolgt von stellvertretenden Chefärzten (90), Fachärzten (87) und Oberärzten (86). Kritisiert wird auch hier „die Ausrichtung der Krankenhäuser allein nach der Wirtschaftlichkeit“. Stattdessen müssten wieder ethische Kriterien – konkret das Wohl des Patienten – maßgeblich sein.
Dahinter steckt offenbar massiver Personalmangel: Laut einer Befragung, die ebenfalls der Marburger Bund im Herbst 2016 durchführte, sind in der Hälfte aller Klinikabteilungen kommunaler Krankenhäuser bis zu zwei Arztstellen nicht besetzt. In zwölf Prozent der Kliniken sind drei Arztstellen pro Abteilung vakant, in sechs Prozent der Häuser vier Arztstellen. Acht Prozent der befragten Klinikärzte teilten mit, dass sogar mehr als vier Stellen in ihrer Abteilung nicht besetzt seien. Nur rund ein Viertel der Ärzte (24 Prozent) sieht kein Stellenbesetzungsproblem.
Leiden ist also offenbar immer drängendere Realität für deutsche Ärztinnen und Ärzte.

 

Foto: Shutterstock




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