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Richtig gut

Österreich hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Kaum ein Kritiker vergisst auf diesen Einleitungssatz, bevor er über das Gesundheitssystem in Österreich wettert. Aber wir wollten wissen, was an Österreichs Gesundheitssystem bei aller Notwendigkeit zur ständigen Weiterentwicklung richtig gut ist. Und sind auf einige Daten, Fakten aber auch Expertenmeinungen gestoßen, die der österreichischen Gesundheitsversorgung tatsächlich sehr gute Noten ausstellen – auch im Vergleich zu Europa insgesamt.

Martin Novak

„Auf Basis von Zahlen, die gerade in den Kram passen, wird Gesundheitspolitik gemacht“, sagt Gesundheitsökonom und Arzt Ernest Pichlbauer. In den Kram passen derzeit vor allem Zahlen, die Österreichs Gesundheitssystem in eher düsteren Farben erscheinen lassen. Andererseits kommt kaum eine Aussage zur Lage des österreichischen Gesundheitssystems ohne den Satz es sei „eines der besten der Welt“ aus.
Was aber ist nun gut am österreichischen Gesundheitssystem? Was rechtfertigt den Superlativ? Einiges, wie die Zahlen aber auch Aussagen von Fachleuten belegen.

Hellmut Samonigg, Rektor der Medizinischen Universität Graz, hat etwa für die Konferenz zur steirischen Gesundheitsreform im Juni 2016 Zahlen zusammengetragen, beeindruckende Zahlen.

  • Drei von 1.000 Lebendgeborenen sterben im ersten Lebensjahr – vier Jahrzehnte zuvor waren es noch 29, also fast zehnmal mehr.
     
  • Die Zahl der Kinder mit angeborenem Herzfehler, die das Erwachsenenalter erleben, hat sich in 50 Jahren mehr als verdoppelt – heute sind es dank exzellenter Diagnostik 90 Prozent.
     
  • Früher bedeuteten Frühgeburten vor der 34. Schwangerschaftswoche eine äußerst geringe Überlebenswahrscheinlichkeit. Heute werden Kinder, die ab der 23. Schwangerschaftswoche geboren werden, als überlebensfähig angesehen.
     
  •  Das Anästhesie-induzierte Mortalitätsrisiko liegt heute bei 1:800.000 vor 50 Jahren betrug es 1:1.500. In diesem Bereich ist die Medizin also mehr als 500-mal besser als in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
     
  • Die Verbrennungschirurgie spricht heute von einer 50prozentigen Überlebenswahrscheinlichkeit bei einer Verbrennung dritten Grades von 75 Prozent der Hautoberfläche. Vor fünf Jahrzehnten war dieselbe Überlebenswahrscheinlichkeit bei einer drittgradigen Verbrennung von 30 Prozent der Hautoberfläche Standard.

Das sind nur einige wenige Beispiele zur massiv – um nicht zu sagen explosiv – gestiegenen Leistungsfähigkeit der Medizin. „Hätte 1960 bis 1965 jemand das prophezeit, was 2015 Wirklichkeit geworden ist – die Allermeisten hätten das wohl als Science Fiction tituliert“, meinte Samonigg in seinem Vortrag.

Nun sind das keine Entwicklungen, die nur Österreich betreffen. Aber die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation und der OECD zeigen, dass in Österreich vieles besser läuft als in anderen Ländern der „Europäischen Region“ (die die WHO vergleicht) und der 28 Länder der Europäischen Union (OECD-Vergleich). Die Qualität betrifft nicht die High-Tech-Medizin, sondern auch ganz einfache Fragen, die gar nicht zwangsläufig mit der medizinischen Versorgung im engeren Sinn zusammenhängen. Die Wahrscheinlichkeit, in Österreich an den Folgen verunreinigten Wassers bzw. unzureichender Hygiene zu sterben, ist sechsmal geringer als in der Europäischen WHO-Region insgesamt – und auch deutlich kleiner als in vielen anderen westeuropäischen Ländern. Die Wahrscheinlichkeit, versehentlich an den Folgen einer Vergiftung zu sterben, ist in Österreich ebenfalls nahezu sechsmal geringer als in der Europäischen Region.

Niederschwelliger Zugang

Auch der Zugang zu niederschwelliger Versorgung ist in mancher Hinsicht deutlich besser als ihr Ruf. So liegt die Wahrscheinlichkeit, in einer Notaufnahme zu landen, weil kein für die Primärversorgung zuständiger Arzt verfügbar ist, in Österreich deutlich unter dem Wert der Europäischen Region.

Noch ein „Zugangswert“: 101 von 100.000 ÖsterreicherInnen sterben, obwohl die Medizin den Tod aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit hätte verhindern können, wenn Patientin oder Patient rechtzeitig in die Versorgung gekommen wäre. Das sind immer noch zu viele, aber der Wert ist klar besser als der EU-Durchschnitt von 119. Und auch besser als die Zahlen in den Nachbarländern Slowenien, Ungarn, Slowakei, Tschechien und Deutschland. Besser sind die Schweiz und Italien.

Den Zugang zur Gesundheitsversorgung hebt auch Reinhold Glehr, Allgemeinmediziner in Hartberg und langjähriger Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM), hervor, wenn er über die Qualität in Österreich spricht: „Im europäischen Vergleich gibt es einen überdurchschnittlichen  Ressourceneinsatz, der sich sowohl in den strukturellen als auch in den personellen Ressourcen manifestiert. Dadurch ergibt sich jedoch bis jetzt ein sehr guter Zugang zu Gesundheitsleistungen.“ Im Gegensatz zu nordischen Ländern bestehe immer noch ein niederschwelliger Zugang zur „ärztlichen“ Medizin ohne vorgeschaltete, filternde „nichtärztliche“ Berufe. Gleichzeitig sei eine gute Zusammenarbeit mit selbstständigen Assistenz- und Pflegeberufen in gegenseitigem Respekt sehr gut möglich und Realität. Was sich, so Glehr, auch in der gesundheitlichen Selbsteinschätzung der Menschen niederschlage: „Rund 70 Prozent der österreichischen Wohnbevölkerung über 15 Jahre schätzen laut BMG 2013 ihren allgemeinen Gesundheitszustand als sehr gut oder gut ein. Das spricht für die Effektivität und die Breitenversorgung auf hohem Niveau.“

Glehr weist auch auf die hohe Angebotsvielfalt hin: „Die Patienten können sich jene Ärztinnen oder Ärzte als Vertrauensperson aussuchen, die ihrem Typ entsprechen. Im Bereich der Hausarztmedizin ermöglicht die persönliche Kontinuität der Betreuung und Behandlung eine inhaltliche Breite im Sinn von Zuständigkeit für physische, psychische und soziale Aspekte über viele Krankheitsepisoden. Die Langzeitbetreuung hat hohe Qualität durch die erlebte Anamnese und die vom Patienten selbst gewählte Beziehung. Sie unterstützt Therapieadhärenz, reduziert Überdiagnostik und Überbehandlung sowie Schnittstellenprobleme und Fehler.“

Ähnlich sieht es Emmerich Zeichen, Obmann der Fachgruppe Gynäkologie in der Ärztekammer Steiermark: „Wir haben in unserem Land in der Grundversorgung noch alle den gleichen Zugang und sollten uns die freie Arztwahl bewahren und junge Ärztinnen und Ärzte motivieren, insbesondere im ländlichen Raum diese Grundversorgung aufrechtzuerhalten.“

Für den Landes- und Bundesfachgruppenobmann für Chirurgie, Gerhard Wolf, ist der größte positive Punkt, „dass es im österreichischen Gesundheitssystem – noch – nicht vorkommt, dass aus Altersgründen etc. Begrenzungen der Leistungen gefordert sind“. Es stehe so gut wie jedermann „das gesamte Medizinsystem zur Verfügung“. Dies, sagt Wolf, sei „in anderen EU-Ländern keineswegs mehr üblich“.

Für Karlheinz Tscheliessnigg, den Vorstandsvorsitzenden der KAGes, steht aus Spitalssicht der Faktor Mensch im Vordergrund: „Grundsätzlich sind es die hoch motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die vielen positiven Entwicklungen im Verhältnis Dienstgeber/Dienstnehmer – wie etwa die Entwicklung individueller, dynamischer Dienstzeitmodelle – ebenso wie die neuen Attraktivierungsmodelle für Ärztinnen und Ärzte mit neuem Gehaltsschema, zusätzlichen neuen Karrieremodellen aber auch verbesserten Angeboten z. B. hinsichtlich Familienfreundlichkeit, Wiedereinstieg oder für die Zielgruppe 50 plus.“ Dazu komme die steirische Reformfreudigkeit auch im Gesundheitswesen, was Perspektiven auf eine neue Struktur eröffne, „die etwa attraktive Ärzteausbildungsstellen und eine hochqualifizierte Patientenversorgung auch für die Zukunft durch die Konzentration auf Leit- und Schwerpunktspitäler und das Zentrumsspital LKH Universitätsklinikum bietet“. Er spricht aber auch die Wissenschaft an: „Ein Highlight ist der permanente Fortschritt der Medizin, sei es in technischer Hinsicht mit immer mehr minimalinvasiven Eingriffsmöglichkeiten, Hybrid-OPs, der OP-Saal-Robotik oder das ,Demenz-fit-machen‘ unserer Spitäler durch Farbgebungs- und Lichtkonzepte und Spezialausbildungen für die Mitarbeiter ebenso wie die elektronische Fiebertafel, die viel Papier ersparen kann. Direkt vor der Tür steht aber auch bereits der Ausbau der telemedizinischen Möglichkeiten, der den chronisch kranken Patienten (z. B. bei Herzinsuffizienz, Diabetes oder Krebs) viele Fahrten in die Ambulanzen ersparen kann.“

Spitze in der Akutversorgung

Auch Pichlbauer, oft scharfer Kritiker, sieht die Stärken in Österreich: „In der Akutversorgung sind wir Spitze, innerhalb kürzester Zeit bekommt man einen Termin.“ Pichlbauer wäre aber nicht Pichlbauer, würde er nicht auch auf Negatives hinweisen: „In der Versorgung chronisch Kranker haben wir Schwächen.“ Die beiden Bereiche seien „kommunizierende Gefäße“, aber in Österreich glaube man, „beides gleich gut abdecken zu können“.  Wobei laut WHO-Statistik in Österreich die Wahrscheinlichkeit, an den Folgen einer chronischen Erkrankung zu sterben, ebenfalls unter dem Wert der Europa-Region liegt. Aber wie sagt Pichlbauer? Wir schauen auf die Zahlen, die uns gerade in den Kram passen …

Mitarbeit: Ursula Jungmeier-Scholz

 

Foto, Grafik: Fotolia, Conclusio, Schiffer, Scheinast




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