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Arzt am Draht – ein Drahtseilakt

Eine Hotline als Erstkontakt mit Ärztin oder Arzt soll vorerst in der Region Mariazell installiert werden. Das österreichische Großprojekt „TeWeb“ des Hauptverbandes will Ähnliches in ganz Österreich. Und kommt seit Jahren nicht aus den Startlöchern.

U. Jungmeier-Scholz

Ein voll wirksames Medikament, deutlich günstiger als vergleichbare Präparate und gänzlich ohne Nebenwirkungen. Egal ob Schmerzmittel, Gerinnungshemmer oder Schnupfenspray – es würde sich wunderbar verkaufen, aber gleichzeitig tiefes Misstrauen wecken. So ähnlich ist es mit dem derzeit gepriesenen Heilmittel der telemedizinischen Konsultation, um unnötigen Arztbesuchen vorzubeugen und den Ärztemangel zu kompensieren.
Der Start dieser für Österreich neuen Form medizinischer Versorgung TeWeb (telefon- und webbasiertes Erstkontakt- und Beratungsservice) ist nach mehreren Ankündigungen und Verschiebungen für das erste Quartal 2017 geplant – zumindest ein Pilotprojekt in Niederösterreich und Vorarlberg. Auch auf der Agenda der steirischen Gesundheitsreform 2035 stehen telemedizinische Konsultationen weit oben.
Rund um Mariazell und auch rund um Eisenerz soll schon ab Herbst 2016, so Landesrat Drexler, in Randzeiten unter der Nummer 141 eine erste Form von Gesundheitshotline erprobt werden. Eine mögliche Integration in das TeWeb-Projekt käme frühestens 2019.


Arzt bleibt im Hintergrund

Primär geht es bei den Gesundheitsservicelines um eine Dringlichkeitseinschätzung des gesundheitlichen Problems sowie eine Verhaltensempfehlung. Und darum, dass Bagatellfälle wie reisemedizinische Beratung oder Standardfragen zur Selbstbehandlung bei Erkältungen von Ordinationen ferngehalten werden.
24/7 soll eine Ärztin oder ein Arzt im Hintergrund zur Verfügung stehen, die Beratung aber vorwiegend von medizinisch geschultem Fachpersonal (DGKS) durchgeführt werden. Ansonsten ließen sich ja keine Arztstellen einsparen. Ein Mindestmaß an Berufserfahrung vor Arbeitsantritt bei der Hotline, wie in der Schweiz oder Schweden üblich, wird vermutlich nicht erforderlich sein.
Das medizinische Fachpersonal agiert nach einem computergestützten Abfrageprotokoll, dem ein Algorithmus zur Dringlichkeitseinstufung zugrunde liegt. Bei TeWeb soll dieses System im Lauf der Zeit von einem Fachbeirat, den das Gesundheitsministerium installiert, den österreichischen Gegebenheiten angepasst und stetig weiterentwickelt werden. Der Arzt oder die Ärztin werden dann hinzugezogen, wenn es das Fachpersonal für nötig hält oder PatientInnen darauf bestehen – sowie auf Vorschlag des Computerprogrammes.


Bauch – Zahn – Haut

Für Österreich sind telemedizinische Konsultationen Neuland, in anderen Ländern gibt es sie seit Jahren und sie wurden auch schon evaluiert.  Eine Analyse des seit 2002 installierten schottischen Modells NHS 24 erhob einerseits die Art der medizinischen Probleme in Korrelation zur Tageszeit des Anrufes und andererseits die Sozialstruktur der UserInnen: Mehr als 80 Prozent der Anrufe erfolgten wochenends oder zu Tagesrandzeiten (out-of-hours), am häufigsten wegen Bauchschmerzen, Zahnweh und Hautausschlägen. Mehr als ein Drittel davon wurde an ein ärztliches Notdienstzentrum weiterverwiesen, nur gut zehn Prozent bekamen lediglich Vorschläge zur Selbstbehandlung. In-hours-AnruferInnen wurden mehrheitlich zum Zahn- oder Hausarzt geschickt. Die Fallzahlen bei ÄrztInnen wird diese Maßnahme wohl nicht dramatisch reduziert haben. Am ehesten wurde das Service von Patientinnen unter 35 Jahren genutzt.
Das schottische Ergebnis passt zu einer GfK-Erhebung im Auftrag des Hauptverbandes, bei der die Bereitschaft der österreichischen Bevölkerung, telemedizinische Dienste in Anspruch zu nehmen, abgefragt wurde: Knapp die Hälfte (47 Prozent) würde sich via Internet beraten lassen, jedoch kann sich nicht einmal ein Drittel der Befragten (32 Prozent) vorstellen, die telefonische medizinische Erstberatung zu nutzen. Ebenso viele erklären, ärztliche Beratung weder im Web noch übers Telefon nutzen zu wollen. Quer durch alle Altersgruppen erreicht die Telefonberatung nie mehr als 35 Prozent Akzeptanz; besser schneidet – vor allem bei jungen Männern – die Internet-Konsultation ab (59 Prozent). Wer heute 70 Jahre oder älter ist, lehnt die Inanspruchnahme jeglicher telemedizinischer Konsultation mit 46-prozentiger Wahrscheinlichkeit komplett ab.

Schweiz lockt mit Prämienreduktion

In der Schweiz ist die Akzeptanz in der Bevölkerung vergleichsweise hoch, allerdings als Folge von Nudging: Wer sich dazu verpflichtet, vor jedem Arztbesuch (ohne Lebensgefahr) zunächst die Gesundheitshotline zu nutzen (um dann möglicherweise von einem Arztbesuch abzusehen), zahlt eine signifikant niedrigere Versicherungsprämie.
Andrea Vincenzo Braga, Arzt und Mitautor der „Standards für Telekonsultationszentren in der Schweiz“, hat beeindruckende Erfolgszahlen parat: 81 Prozent jener Anrufenden, die ursprünglich in eine Notfallstation hatten fahren wollen, hätten nach dem Telefonat davon abgesehen. 98 Prozent wollten nach der telemedizinischen Beratung keinen (weiteren) Arzt sprechen. Hingegen würden die Ratschläge der Telemediziner zu 90 Prozent befolgt. Zwischen der Schweiz und Schottland liegen offensichtlich nicht nur eineinhalbtausend Kilometer …


„Gefahr für den Patienten“

Zwei Faktoren könnten in Hinkunft die Qualität der medizinischen Erstberatung in Österreich mindern: Einerseits die Tatsache, dass der Erstkontakt an medizinisches Fachpersonal delegiert wird. Andererseits, dass selbst bei telemedizinischer Beratung durch Ärztin oder Arzt ganz wichtige Informationsquellen verloren gehen: Augenschein und Tastbefund. Der Gesamteindruck von der Gesichtsfarbe über die Körperhaltung bis hin zum Mundgeruch fehlt beim Rat auf Draht.
„Modelle, die darauf abzielen, Arztkontakte zu reduzieren, indem Callcenter die Patientensteuerung übernehmen, die den Patienten nie persönlich gesehen haben, sind eine Gefahr für den Patienten“, warnte daher der Vorsitzende des bayerischen Hausärzteverbandes, Dieter Geis, kürzlich im Deutschen Ärzteblatt.
Im Jahr 2013 erstellte die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) im Auftrag des Gesundheitsministeriums eine Studie, die die Wirksamkeit der Maßnahme einer Gesundheitshotline auf Basis internationaler Erfahrungen nachgewiesen haben soll. Die Studie ist aber unter Verschluss.




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