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Über vernetztes Arbeiten im Gesundheitsbereich wird viel geredet. Die meisten wollen es. Aber es geht nur langsam weiter. Stefan Korsatko – zehn Jahre in der klinischen Forschung an der MUG tätig und seit 2014 im Fach Innere Medizin habilitiert – hat darüber eine Masterthesis geschrieben und dabei sechs Typen von niedergelassenen Allgemeinmedizinern gefunden.

MARTIN NOVAK

Zwei starke Eindrücke haben die Sicht von Stefan Korsatko auf das Gesundheitssystem geprägt: Begonnen hat es mit seinem Großvater, einem Allgemeinmediziner und Landarzt alter Schule. Der war „Einzelkämpfer“, gleichzeitig aber ein Ein-Personen-Netzwerk, der nicht des Geldes wegen, sondern motiviert von seinem medizinischen Ethos die medizinische Grundversorgung in seiner Region sicherstellte – und seinen Enkel dazu brachte, ebenfalls Arzt zu werden.

Und dann erlebte der Klinikforscher Stefan Korsatko ein Primärversorgungszentrum in der Nähe von Genf, wo er ärztliches und über den ärztlichen Bereich hinausgehendes Teamwork erfuhr, wo sechs Patientinnen und Patienten pro Stunde behandelt und maximal drei bis vier pro Monat ins Spital geschickt werden mussten. Als „tolle Medizin“ beschreibt er dieses Erlebnis.

Weniger toll erlebte er die Rückkehr nach Österreich. Der damaligen Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky schlug Korsatko vor, ein solches Erstversorgungszentrum auch in Österreich zu gründen. Die Reaktion: eine gute Idee, aber das geht in Österreich (noch) nicht.

So kehrte Korsatko wieder an die Universität zurück, befasste sich als Medizinischer Leiter des Clinical Research Center an der MUG unter anderem mit Diabetologie und begrub seine Liebe zur Allgemeinmedizin – vorerst. Aber sie ließ ihn nicht wirklich los. Er schrieb eine Masterthesis „Evaluierung bestehender Netzwerke niedergelassener Allgemeinmediziner in der Steiermark“ für den MBA in Health Care and Hospital Management der Medizinischen Universität Graz, die mittlerweile auch als Buch erschienen ist. Und er ist assoziiertes Mitglied des jüngst – endlich – eröffneten Instituts für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung an der MUG (Direktorin Andrea Siebenhofer-Kroitzsch).

Vernetze Cowboys
Mit einem Mythos räumt Korsatko in seiner Untersuchung gleich einmal auf: dass Zentren, die alle Stücke spielen, in Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte, also in ländlichen Gebieten, Hausärztinnen und Hausärzte ablösen werden. Dort werde es sie immer geben, ist er überzeugt. Und daran sei auch nichts Schlechtes: „Das sind einsame Cowboys und Cowgirls, aber sie sind vernetzt.“

Er fügt jedoch ein großes Aber hinzu: Am besten vernetzt sind jene, die in zehn bis 15 Jahren in Pension gehen werden. Die nachfolgenden Generationen seien nur mehr teilweise bereit, sich die haus- und landärztliche Mühsal mit Kassenvertrag, bürokratischen Einschränkungen und Rund-um-die-Uhr-Präsenz anzutun.

Immer größer werde das Lager der Wahlärztinnen und Wahlärzte, von denen zwar viele ganz klassische Medizin im besten Sinn machen, aber vorwiegend für jene Patientinnen und Patienten, die sich die – wenn auch nicht allzu hohen – privaten Kosten leisten wollen und können.

Ohne „kreative Lösungen“ erwarte er eine „Systembedrohung“. Was könnten solche kreativen Lösungen sein? Korsatko fällt etwa eine „pendelbare Ordination“ ein, Ärztinnen und Ärzte, die nur zwei Tage pro Woche die Patientinnen und Patienten in kleinen Gemeinden behandeln.

Im urbanen Umfeld, also in Regionen mit städtischen Zentren, würden aber ärztliche Zentren mit interdisziplinären Teams unterschiedlicher Gesundheitsberufe dem Zeitgeist am ehesten entsprechen, ist er überzeugt. Eine Entmachtung und Kompetenzbeschneidung für die Ärztinnen und Ärzte sieht er darin nicht: „Im Gegenteil“, breiter aufgestellt würden sie sogar gewinnen, meint er. Und verweist auf das Beispiel Belgien, das vor 20 Jahren in einer ähnlichen Situation war wie heute Österreich. Mittlerweile würden aber 14 Prozent der belgischen Bevölkerung über Zentren versorgt, die klassischen Hausärztinnen und Hausärzte gibt es aber auch weiter.

Wobei Korsatko zwar dafür plädiert, dass man einen Blick ins Ausland macht und erfolgreiche Modelle auf ihre Realisierbarkeit in Österreich prüft. Aber man könne Systeme nicht eins zu eins von einem Land ins andere transferieren: „Die Verhältnisse, die gewachsenen Strukturen sind überall anders.“

Reformen seien aber in Österreich unabdingbar, „wenn man das System nicht an die Wand fahren will“, sagt er. Und die Ärztinnen und Ärzte seien dazu auch bereit: „Bei rund 60 Prozent gibt es eine grundsätzliche Bereitschaft“, weiß er aus den Befragungen für seine Masterarbeit. Aber sie wollen ins Boot geholt und nicht überfahren werden. Und das sei bisher noch nicht gelungen. Wie aber holt man die ÄrztInnen ins Boot? Korsatko verweist wieder auf Belgien: direkte Kontakte, Überzeugungsarbeit, viele Gespräche unmittelbar vor Ort seien der Schlüssel.

Blinder Fleck
Vielfach, so Korsatko, fehlten grundlegende Informationen. Aus Sicht der Forschung sei die Allgemeinmedizin in Österreich „ein blinder Fleck“. Die Zahlen der Krankenkassen über Frequenzen und Diagnosen seien durch den wirtschaftlichen Druck verzerrt. „Was draußen wirklich geleistet wird, weiß man nicht“, lautet sein Befund. Es gäbe durchaus „innovative Modelle“, Wundordinationen, ÄrztInnen, die Angehörige anderer Gesundheitsberufe anstellen … Ein solches Projekt (auch wenn es durchaus nicht mehr unsichtbar ist) sei Styriamed.net (siehe eigenen Artikel ab Seite 12).

Schritt für Schritt
Statt großer Würfe seien überschaubare Projekte sinnvoll, „weil das in Österreich nun einmal so funktioniert“, fordert Korsatko. Und nennt als Beispiel: Spitalsambulanzen könnten einige einzelne, klar definierte Leistungen systematisch in den niedergelassenen Bereich auslagern. Zum Beispiel die Versorgung kleinerer Wunden. Dann müssten die aber auch angemessen bezahlt werden: „Oft deckt der Tarif ja nicht einmal die Kosten für das Nahtmaterial.“

Und man müsse viel mehr auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten schauen: „Wenn ich Patient bin, ist mir das System wurscht.“

„Das sind einsame Cowboys und Cowgirls, aber sie sind vernetzt.“

Stefan Korsatko: Allgemeinmedizin in der Steiermark: Netzwerke niedergelassener Hausärzte. Evaluierung zur Primärversorgung 2014, Masterarbeit, 2015

Thesen und Fakten aus der Thesis
Niedergelassene KassenärztInnen verfügen neben OrdinationsgehilfInnen oder SekretärInnen (100%) nur in sehr geringem Maße über zusätzliches qualifiziertes Fachpersonal (25,8% mit Krankenschwestern und 6,8% mit weiteren Gesundheitsdienstleistern wie PhysiotherapeutInnen oder anderen).

Rechnet man bei vertraglich vereinbarten Öffnungszeiten von 20 Stunden mit einer wöchentlichen PatientInnenfrequenz (im Untersuchungszimmer!) von durchschnittlich 300 pro Woche, ergibt sich eine durchschnittliche Behandlungsdauer von 4 Minuten.

Bei allgemeinmedizinisch tätigen WahlärztInnen betreiben 50 Prozent der Befragten zu mehr als 50 Prozent ihrer Arbeitszeit Schulmedizin. Die durchschnittlichen Behandlungsfrequenzen bei gut gehenden hauptberuflichen und hauptsächlich schulmedizinischen hausärztlichen Wahlarztpraxen liegen vermutlich bei ca. 100 PatientInnen pro Woche und die durchschnittliche Behandlungsdauer somit bei ca. 12 Minuten pro PatientIn.

Es scheint, als ob die beiden Systeme „Kassensystem“ und „Wahlarztsystem“ in Großen und Ganzen eher wenige Berührungspunkte haben und parallel nebeneinander existieren. Man kann somit eine „2-Systeme-Medizin“ postulieren.

Allgemeinmedizinisch tätige WahlärztInnen unterscheiden sich deutlich von KassenärztInnen und nehmen eine interessante Stellung im Gesundheitssystem ein. Sie haben signifikant weniger PatientInnen und MitarbeiterInnen, weniger bevorzugte Partner sowie persönliche Kontakte und sind mit ihrem beruflichen Netzwerk unzufriedener.
HausärztInnen im Kassensystem kooperieren am häufigsten mit ihren fachärztlichen KollegInnen der Fächer Radiologie, Innere Medizin, Orthopädie, Neurologie, Dermatologie und HNO. In ähnlicher Häufigkeit kommen bei den anderen Gesundheitsdienstleistern nur PhysiotherapeutInnen und das Krankenhaus vor. Die Erhebung zeigt, dass die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen FachärztInnen eine gute Qualität aufweist.

Die nicht-ärztlichen GDL spielen bei den Überweisungen eine wesentlich untergeordnetere Rolle. Bis auf PhysiotherapeutInnen, die an zweiter Stelle in der subjektiven Überweisungszusammenarbeit stehen, finden sich alle anderen GDL am Ende der Skala. Die Kooperation mit den häufiger kontaktierten GDL (Apotheke, HKP, mobiles Palliativteam, PhysiotherapeutInnen) wird als gut bewertet.

Die beiden wichtigsten Gründe, einen bevorzugten Partner zu haben, sind eine hohe Fachkompetenz und gute Kommunikation des Partners.

Je ländlicher die Region, umso höher ist die Anzahl der Partner, die Häufigkeit der Kontakte (inkl. Erreichbarkeit der fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen) und die Zufriedenheit mit der gemeinsamen fachärztlichen PatientInnenbetreuung.

ÄrztInnen, die am Ärztenetzwerk Styriamed.net teilnehmen, zeigen positive Trends in Bezug auf die Rückmeldung durch FachärztInnen bei Unklarheiten und die gemeinsame PatientInnenplanung, einen höheren Kontaktscore und eine höhere Zufriedenheit mit dem eigenen beruflichen Netzwerk.

„Es ist sinnvoll, im Vorfeld der Umsetzung der Primary Health Care-Strategie (PHC) den Grad und die Qualität der bereits bestehenden Vernetzungen zu erheben und zu benennen.“

Alle Erkenntnisse aus der Masterthesis von Stefan Korsatko;

Hausarzt-Typen

In der Masterthesis hat Korsatko sechs unterschiedliche Typen von niedergelassenen AllgemeinmedizinerInnen her-ausgearbeitet (siehe auch Grafik).

Systemerhalter: Landarzt mit Kassenvertrag,  > 55 Jahre; Zustimmung zu PHC 65 (zentral) bis 86 Prozent (dezentral). Der „Systemerhalter“ hat seinen Namen von seinem hohen Patientendurchsatz. Er ist das aktuell vorherrschende Erscheinungsbild der niedergelassenen AllgemeinmedizinerInnen.

Urbane: Kassenärztin/-arzt; Zustimmung zu PHC 67 (zentral) bis 90 Prozent (dezentral). Der Name der „Urbanen“ leitet sich aus der Tatsache ab, dass sie KassenärztInnen in Graz sind. Sie haben eine etwas geringere Frequenz als ihre KollegInnen vom Land und auch etwas weniger Personal.

Aussteiger: Wahlärztin/-arzt; < 45 Jahre; Zustimmung zu PHC 74 (zentral) bis 90 Prozent (dezentral). Die „Aussteigerin“ bzw. der „Aussteiger“ haben ihren Namen erhalten, weil sie zur jüngsten Generation von niedergelassenen ÄrztInnen gehören, sich aber für eine Niederlassung als WahlärztInnen entschieden haben.

Umzingelte: Landarzt mit Kassenvertrag; 45–55 Jahre; Zustimmung zu PHC 65 (zentral) bis 77 Prozent (dezentral). „Umzingelung“ bedeutet, dass (zeitlich) „vor“ dieser Gruppe die „Systemerhalter“ den Status Quo vorleben, jedoch „daneben“ (Individualisten) oder „dahinter“ (Hoffnungsträger und Aussteiger) andere Hausarzt-Typen mögliche Alternativen aufzeigen.

Hoffnungsträger: Kassenärztin/-arzt; < 45; Zustimmung zu PHC 75 (zentral) bis 82 Prozent (dezentral). Die „Hoffnungsträger“ sind die Neueinsteiger ins Kassensystem und lassen sich primär am Land nieder. Sie sind eher weiblich, haben relativ hohe PatientInnenfrequenzen, etwas weniger Personal als ihre älteren KollegInnen, wenige bevorzugte Partner und persönliche Kontakte.

Individualisten: Wahlärztin/-arzt; > 45; Zustimmung zu PHC 46 (zentral) bis 77 Prozent (dezentral). Die „Individualisten“ sind WahlärztInnen, großteils männlich und älter als 45 Jahre. Sie haben ihren Platz im System als Schul- oder KomplementärmedizinerInnen vermutlich individuell gefunden.




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