AERZTE Steiermark 07/08 2014 - page 9

Ærzte
Steiermark
 || 07/08|2014
9
titel
wahrscheinlich immer eine
bessere Versorgungsstruktur
vorfinden als jemand, der im
Gesäuse lebt.
Grabner:
Das ist klar. Aber
ich wünsche mir ein Au-
genmaß in der Planung der
Standorte. Ich warne auch
davor, mit Zahlengerüsten
zu jonglieren und zu behaup-
ten, Qualität kann man nur
mit Großkliniken halten. Es
muss sichergestellt werden,
dass man in absehbarer Zeit
eine gescheite Versorgung hat.
Und die müssen wir definie-
ren. Man darf hier nicht mit
Eingriffshäufigkeiten beim
Myokard-Infarkt argumen-
tieren und deswegen Häu-
ser zusperren. Wir brauchen
eine Struktur an diesem Ort.
Wie die Struktur ausschauen
soll, ist derzeit noch nicht zu
sagen. Da muss man sich zu-
sammenraufen. Es gibt dafür
Beispiele in Norwegen, Finn-
land oder Schweden. Auch in
deutlich geringer besiedelten
Gebieten haben die Menschen
eine entsprechende medizi-
nische Versorgung, nicht un-
bedingt eine primär ärztliche.
Obwohl es gefährlich ist, das
zu sagen.
Personalmangel gibt es ja auch
in anderen medizinischen Be-
rufen …
Grabner:
Ja natürlich. Me-
dizin heißt für mich immer
Arzt und Pflege.
Gerade in der Pflege ist der
Mangel evident.
Grabner:
Ja natürlich.
Also müssen sich die Ärzte
nicht fürchten, ersetzt zu wer-
den?
Grabner:
Man soll sich über-
haupt nicht fürchten, auch
nicht vor Veränderungen.
Stichwort Personalmangel. Die
Reduktion der Ärztearbeitszeit
wird ihn weiter verschärfen. Ist
die derzeitige Verzögerungstak-
tik die richtige?
Grabner:
Die richtige Me-
thode, aber dafür ist es nun
leider zu spät, wäre es ge-
wesen, rechtzeitig Verände-
rungen vorzunehmen. Dass
die Arbeitszeitregelung kom-
men wird, weiß man schon
seit mehr als einem Jahrzehnt.
Beispiele, wie man damit um-
geht, haben wir ja: Bei der
AUVA gibt es eine weitgehend
EU-konforme Arbeitszeitre-
gelung schon seit Jahrzehnten
– und deren Krankenhäuser
funktionieren. Dort ist auch
die Gehaltssituation eine an-
dere, das ist die zweite Seite der
Medaille.
Und was tut man jetzt?
Grabner:
Jetzt geht es um
Schadensbegrenzung, damit
es nicht am 1. Jänner 2021 zu
einer Implosion kommt.
Wie begrenzt man den Schaden?
Grabner:
Übergangsfristen
sind ein probates Mittel. Un-
ter der Voraussetzung, dass
diese Übergangsfristen, wie
geplant, enden. Bekanntlich
hält ja nichts in Österreich
länger als ein Provisorium.
Das Ziel muss es auch sein,
schon jetzt Rahmenbedin-
gungen zu schaffen, damit
der Übergang dann selbstver-
ständlich möglich wird. Und
wenn wir es früher schaffen,
ist mir das noch lieber.
Hunderte Medizin-Absolventen
tauchen nie auf der österrei-
chischen Ärzteliste auf. Müsste
man nicht hier ansetzen?
Grabner:
Ich kann nur mit
den Leuten sprechen, die bei
uns im Turnus sind, auf die
kann ich einwirken. Da be-
komme ich auch ein Feed-
back, da erfahre ich, wo es
krankt und wo man drehen
muss, damit die Arbeitszu-
friedenheit zunimmt. Bedingt
kann ich mit Studenten spre-
chen. Es ist vielleicht ein
altmodischer Ansatz, aber
ich denke, dass Absolventen,
zumindest einen Teil ihrer
Arbeitszeit dort investieren
sollten, wo sie ausgebildet
wurden. Das kann man na-
türlich nicht vertraglich fi-
xieren, aber ich würde es
als moralische Verpflichtung
empfinden. Da ist auch eine
gesellschaftliche Diskussion
zu führen. Wenn wir einer-
seits den Ärztemangel bekla-
gen und den jungen Ärzten
das anbieten, was wir uns
leisten können, muss zumin-
dest eine Diskussion darüber
gestattet sein, ob diese nicht
zumindest die Turnusausbil-
dung hier absolvieren sollten.
Bringt der neue Turnusärzte-
tätigkeitskatalog hier Abhilfe?
Grabner:
Das hoffe ich schon.
Ich fürchte nur, dass wir rela-
tiv spät dran sind. Jetzt hat uns
das eingeholt, was in anderen
Bundesländern schon länger
Fakt ist. Das Projekt, sich um
die Anliegen der Ärzte zu
kümmern, finde ich fantas-
tisch und ambitioniert. Aber
die Realität überholt uns jetzt.
Die moralische Verpflichtung
trifft aber auch die Träger. Die
jungen Ärzte fühlen sich viel-
fach ausgebeutet.
Grabner:
Da rennt man bei
mir offene Türen ein. Tur-
nusärzte sind Systemerhalter
und sie sind Auszubildende.
Sie sollen daher medizinische
Tätigkeiten ausüben und
nicht für Verwaltungsaufga-
ben missbraucht werden.
Die Reform der Ärzteausbil-
dung ist fixiert. Die Reak-
tionen waren weitestgehend
freundlich. Wie ist ihre?
Grabner:
Das kann ich am
besten für meinen eigenen
Beruf, die Chirurgie, beur-
teilen. Wir laufen – fürchte
ich – Gefahr, Fehler, die in
Deutschland vor fünf oder
zehn Jahren gemacht wurden,
zu wiederholen.
Welche Fehler?
Grabner:
In Deutschland
wurde zum Beispiel ein Cur-
riculum entwickelt, bei dem
es am Ende keinen Allgemein-
chirurgen mehr gab, obwohl
ein großer Teil der deutschen
Chirurgien Allgemeinchirur-
gien sind. Es gibt viel zu früh
die Möglichkeit, in die Spezi-
alisierung zu gehen. Aber das
ist meine persönliche Sicht.
Ob die Zufriedenheit durch
eine Änderung der Weiterbil-
dungsordnung allein steigen
wird, wage ich zu bezweifeln.
Stichwort Bildung. Dazu ge-
hört auch die Fortbildung. Bei
der Beteiligung am Diplom-
fortbildungsprogramm, das
der verlässlichste Nachweis
der gesetzeskonformen Fortbil-
dung ist, gibt es einige Defizite.
Grabner:
Das ist auch die
Verantwortung der Chefs, da-
„Turnusärzte sind
Systemerhalter und sie
sind Auszubildende.
Sie sollen daher
medizinische
Tätigkeiten ausüben
und nicht für
Verwaltungsaufgaben
missbraucht werden.“
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