AERZTE Steiermark 05 2014 - page 9

Ærzte
Steiermark
 || 05|2014
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Fotos: Schiffer
intervieww
im Hinterkopf habend, aber
jederzeit bereit für konstruk-
tive und sinnvolle Gespräche
sein. Ich habe ja nichts von
steigenden Burnout-Quoten,
oder davon, dass Leute in
diesem sensiblen Bereich mit
Frust und Demotivation zur
Arbeit gehen.
Die EU-Arbeitszeitrichtlinie
ist in der öffentlichen Wahr-
nehmung wie ein Gewitter
über Österreich gekommen,
tatsächlich ist sie aber minde-
stens zehn Jahre, in ihrer Ur-
form sogar 20 Jahre alt. Zeigt
sich darin nicht ein grundle-
gendes Dilemma der Politik
– sie beginnt erst zu lenken,
wenn das Fahrzeug schon in
die Wand gekracht ist?
Drexler:
Völlig richtig. Es ist
erschreckend, diese Defizite
in der österreichischen Innen-
politik wahrzunehmen. Man
hat wirklich den Eindruck,
dass die Arbeitszeitrichtlinie
wie ein Unwetter in Sekun-
denschnelle herangezogen ist.
Tatsächlich hat man viele
Jahre gewusst, dass es irgend-
wann kommen wird. Eigent-
lich ist es vergossene Milch,
aber trotzdem zwei Bemer-
kungen zur Vergangenheit.
Ärzte auf dem Arbeitsmarkt
finden, die mit 1. Jänner 2015
zur Verfügung stehen? Ich
weiß, dass die Meinung auch
innerhalb der Ärzteschaft
geteilt ist. Die einen wollen
sie umsetzen, träumen al-
lerdings davon, dass es bei
vollem Lohnausgleich pas-
siert – das ist eine wenig rea-
litätsbasierte Wunschvorstel-
lung – auf der anderen Seite
gibt es erhebliche Befürch-
tungen bezüglich der Auswir-
kungen der Richtlinie auf die
Ausbildungsqualität. Insofern
bin ich froh, dass der zustän-
dige Bundesminister Hund-
storfer eine Arbeitsgruppe
eingesetzt hat, in der auch
die Länder als wesentliche
Spitalsbetreiber dabei sind.
Dort wird man sich damit
auseinandersetzen, in wel-
chen Zeiträumen mit welchen
Übergangsmöglichkeiten, in
welchem Reglement die euro-
parechtlichen Dimensionen
abgebildet werden.
Viele andere EU-Länder ha-
ben diese Arbeitszeitrichtlinie
umgesetzt, auch in Österreich
gibt es Beispiele. Es scheint
also nicht völlig unmöglich zu
sein. Auch die Berechnungen
der KAGes, was den Perso-
nalbedarf betrifft, werden von
vielen Fachleuten bezweifelt.
Sollte man da nicht gelassener
agieren?
Erstens: Diese Richtlinie ist
ein typisches Beispiel dafür,
wie schwach unsere national-
staatliche Beteiligung an der
europäischen Rechtssetzung
ist. Die Innenpolitik stellt sich
ja sehr gerne auf den Stand-
punkt, man habe sich schick-
salsergeben dem zu fügen,
was aus Brüssel daherkommt.
Tatsache ist natürlich, dass es
keine europäische Rechtsset-
zung gibt, wo nicht die natio-
nalstaatliche Ebene verpflich-
tet ist mitzuwirken. Aber man
muss sich auch darum küm-
mern. Jetzt zu sagen, da schau
her, wie soll denn das gehen,
auch in der Bewertung, was
Arbeitszeit ist, ist natürlich
erschreckend. Zweitens: Man
weiß seit zumindest zehn Jah-
ren, dass man die Richtlinie
in nationales Recht umsetzen
muss und man weiß auch,
dass das Krankenanstaltenar-
beitszeitgesetz nicht konform
ist. Dass man jetzt, wo es
eine Rüge und ein drohendes
Vertragsverletzungsverfah-
ren gibt, in Tagesschnelle
alles lösen will, halte ich für
sehr ambitioniert. Wir haben
berechnet, dass eine lupen-
reine Umsetzung der Arbeits-
zeitrichtlinie zwischen 450
und 650 ärztliche Dienst-
posten allein in der KAGes
erfordern würde. Das können
wir uns nicht leisten und wo
sollen wir die Ärztinnen und
Drexler:
Gelassenheit ist
mein zweiter Vorname. Nur
muss man sich die Situation
genau anschauen. Eine Frage,
die aufgetaucht ist, ob Ös-
terreich Musterschüler sein
muss …
… es geht jetzt aber nur darum,
ob Österreich die Nachprü-
fung schafft …
Drexler:
… zumindest dann,
wenn man sich in europa-
rechtlicher Dimension als
Rechtspositivist betätigen will.
Aber, und das ist ein Kompa-
tibilitätsproblem in der öster-
reichischen Rechtssysteman-
tik, es gibt die Möglichkeit
des individuellen opting out,
wo die Betroffenen indivi-
duell einer anderen Lösung
zustimmen. Das ist dem ös-
terreichischen Arbeitsrecht
völlig fremd. Es würde die
Grundsystematik des Arbeits-
rechts verletzt – das Arbeits-
recht ist ein Ausgleichsrecht.
Der Arbeitgeber ist in der
stärkeren, der Arbeitnehmer
in der schwächeren Position.
Wenn ich das ausheble und
den einzelnen Arbeitnehmer
für sich selbst entscheiden
lasse, ist das mit unserer Sy-
stematik schwer vereinbar.
Dass die Richtlinie in ande-
ren Ländern funktioniert, hat
mit einem exzessiv genutzten
opting out zu tun, etwa im
Vereinigten Königreich, den
Niederlanden oder Deutsch-
land.
„In einer Extrem­
situation will kein
Mensch Kompromisse
machen.“
„Ich habe nichts von
steigenden Burnout-
Quoten.“
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