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„Die Sehnsucht verstehe ich“

Josef Smolle, Facharzt für Dermatologie und Venerologie, ehemaliger Rektor der Medizinischen Universität Graz und Nationalratsabgeordneter der ÖVP, plädiert für Achtsamkeit nach den Corona-Lockerungen und will ein Impfgespräch.

AERZTE Steiermark : Nach dem Corona-Lockdown scheint es eine Art Sehnsucht nach der Rückkehr zur alten „Leichtigkeit des Seins“ zu geben. Verstehen Sie das als Arzt?

Josef Smolle : Die Sehnsucht verstehe ich, aber wir müssen Geduld haben. Das Virus ist weiterhin da, und eine uneingeschränkte Rückkehr zu allen alten Gewohnheiten würde unweigerlich einen neuen Ausbruch der Pandemie provozieren.

AERZTE Steiermark : Und was sagen Sie als Politiker dazu: Wenn immer mehr Menschen „unvernünftig“ sein wollen, ist es doch schwierig, sie daran ohne Zwang zu hindern?

Josef Smolle : Die Menschen in unserem Land haben die Lockdown-Maßnahmen perfekt mitgetragen. Dabei betone ich immer wieder, dass es sich hierbei nicht um „Disziplin“, sondern um Einsicht und Rücksichtnahme handelt. Und ein solch hohes Maß an Vernunft wird unsere Gesellschaft auch weiterhin an den Tag legen.

AERZTE Steiermark : Sie plädieren dafür, in der Corona-Zeit erlernte, „vernünftige“ Verhaltensweisen beizubehalten. Was meinen Sie damit?

Josef Smolle : In Österreich ist die gesundheitliche Katastrophe durch gemeinsame Anstrengungen und unter beträchtlichen Opfern für weite Teile der Bevölkerung abgewendet worden. Jetzt können viele Maßnahmen sukzessive gelockert werden. Generell Abstand halten und Mund-Nasen-Schutz in bestimmten Situationen werden uns aber wohl weiterhin erhalten bleiben. Wer lauthals alle Maßnahmen ablehnt, sabotiert das Erreichte und gefährdet den sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufschwung.

AERZTE Steiermark : Es gibt aber auch jene, die weiterhin sehr ängstlich agieren. Viele Lokale, Geschäfte und Dienstleister beklagen Gäste- bzw. Kundenmangel. Und auch die Arztpraxen werden keineswegs gestürmt. Wäre da ein bisschen mehr Normalität nicht vernünftiger?

Josef Smolle : Es geht um sachliches Wissen über das weiterhin bestehende Risiko. Mit entsprechender Umsicht und Achtsamkeit kann man die Gefahr für sich und andere minimieren.

AERZTE Steiermark : Oft hört man, dass SARS-CoV-2 seinen Schrecken verlieren wird, wenn es eine Impfung gibt. Wir wissen nicht genau, wann es sie geben wird, aber wir wissen, dass vorhandene, hilfreiche Impfungen nicht von allen genutzt werden. Was sagt ein Arzt und Politiker diesen Menschen?

Josef Smolle : Ich hoffe sehr, dass es in absehbarer Zeit einen wirksamen SARS-CoV-2-Impfstoff geben wird. Dann werden sich vernünftigerweise ausreichend viele Menschen impfen lassen. Zugleich plädiere ich dafür, die vorhandenen Impfungen zu nutzen. Manche Personen scheinen den Gedanken an die Krankheiten, die durch Impfungen ihren Schrecken verloren haben, effektiv zu verdrängen. Ich denke da u. a. an Masern, Diphtherie, Tetanus oder Poliomyelitis. Da muss man auch historisch zurückblicken und begreiflich machen, welchen unglaublichen Fortschritt die Impfungen für jene Generationen bedeutet haben, die diese Krankheiten noch mit all ihren Risiken und Unwägbarkeiten erfahren mussten.

AERZTE Steiermark : Viele Ärztinnen und Ärzte sind irritiert, weil die öffentliche Hand auf Impfstraßen und Massenimpfungen zu setzen scheint statt auf persönliche, vertrauensvolle Impfaufklärung. Könnte man nicht auch diese persönliche Ebene stärken?

Josef Smolle : Von Seiten der Politik setzen wir sowohl auf das persönliche, von Vertrauen getragene Gespräch als auch auf niederschwellige Angebote. Beides ist notwendig, um erfolgreiche Impfungen allen Menschen zugutekommen zu lassen.

AERZTE Steiermark : Im Vorjahr schien es klar, dass ein ärztliches Impfgespräch fixer Bestandteil des Mutter-Kind-Pass-Programms wird. Das scheint wieder in Vergessenheit geraten zu sein. Wäre es nicht sinnvoll, das endlich umzusetzen – es wurde ja auch von den Fachleuten empfohlen?

Josef Smolle : Dieses Anliegen unterstütze ich gerne.

AERZTE Steiermark : Warum nicht auch ein ärztliches Impfgespräch für Erwachsene? Vielleicht ließe sich ja so die schwache Beteiligung an der Influenza-Impfung auch als Alternative zur Impfpflicht verbessern?

Josef Smolle : Als Ärztinnen und Ärzte haben wir besondere Verantwortung und sollten unsere Patientinnen und Patienten bei jeder passenden Gelegenheit auf dieses Thema ansprechen. Umso bedauerlicher ist es, dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die in diesem Punkt dagegen arbeiten.

AERZTE Steiermark : Wird die COVID-19-Krise die Impfbereitschaft erhöhen? Was sind Ihre Erwartungen?

Josef Smolle : COVID-19 hat vielen Menschen wieder einmal – oder vielleicht sogar erstmals – vor Augen geführt, dass Infektionen eine reale Bedrohung darstellen können. Deshalb denke ich, dass der Wert der Impfungen generell wieder mehr ins Bewusstsein der Bevölkerung rücken wird.

Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle (geb. 1958) ist Abgeordneter zum Nationalrat (ÖVP). Von 2008 bis 2016 war der Facharzt für Dermatologie und Venerologie Rektor der Medizinischen Universität Graz.

Das Gespräch führte Martin Novak.

Foto: Sabine Klimpt, Adobe Stock

 

Das fast „vergessene“ Impfgespräch

Das explizite „Impfgespräch“ als integrierter Bestandteil des Mutter-Kind-Pass-Programms schien
bis zum Regierungswechsel im Jahr 2019 noch fix. Mittlerweile wird wenig darüber gesprochen.

„Für uns steht die Aufklärung der Menschen und die Selbstbestimmung eines jeden im Mittelpunkt. Deswegen kann eine generelle Impfpflicht keine Lösung sein … Beim Impfen ist Bewusstseinsbildung und Aufklärung viel wichtiger und letztendlich auch nachhaltiger. Darum wird das aufklärende Impfgespräch verpflichtend in den Mutter-Kind-Pass aufgenommen. Das Thema Impfen wird direkt angesprochen, Bewusstsein geschaffen und auf die Konsequenzen des Nicht-Impfens hingewiesen.“ So beantwortete die ehemalige Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) im Mai vergangenen Jahres eine parlamentarische Anfrage.

Und schon Ende Jänner 2019 ließ die freiheitliche Gesundheitssprecherin NAbg. Primaria Brigitte Povysil per Presseinformation wissen: „Im Zuge der Reform des Mutter-Kind-Passes ist die Verankerung eines Impfgespräches geplant. Damit setzen wir angesichts der seit Jahren rückläufigen Impfraten eine wichtige Maßnahme im Sinne der Gesundheit der Menschen um und stellen die Prävention in den Mittelpunkt.“ Auch die Medizinerin und SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner hatte sich für das Impfgespräch stark gemacht.

Mittlerweile ist viel Wasser die Donau, den Inn, die Drau, Mur und Enns sowie die anderen Flüsse Österreichs hinuntergeronnen. Und um das „verpflichtende Impfgespräch“ ist es sehr ruhig geworden. Ebenso ruhig wie um das umfangreiche Expertengremium, das die Reform des Mutter-Kind-Pass-Programms fachlich vorbereitet hatte. Dem Vernehmen nach wurde es Ende letzten Jahres aufgelöst. In einem Punkt gibt es jedoch Kontinuität. Auch die aktuelle Bundesregierung spricht sich – ebenso wie die Verantwortlichen in der Vergangenheit es taten – vehement gegen eine allgemeine Impfpflicht aus.

Was österreichweit kommen könnte, ist eine „Immunisierungsverpflichtung“ für Gesundheitsberufe nach steirischem Vorbild – so wie es noch Christopher Drexler als Gesundheitslandesrat für Bedienstete der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft durchgesetzt hat.

Aber was ist mit dem Impfgespräch als greifbarer und konkreter Form der „Impfinformation“, wie sie immer wieder beschworen wird? „Im Mutter-Kind-Pass-Programm sollte ein obligatorisches ärztliches Impfgespräch geschaffen werden – darüber gab es noch im letzten Jahr weitgehenden fachlichen und politischen Konsens. Diese Initiative sollte keinesfalls aufgegeben werden. Stattdessen wäre es dringlich notwendig, dieses Impfgespräch möglichst umgehend in die Mutter-Kind-Pass-Verordnung aufzunehmen. Stattfinden kann es vor oder sehr rasch nach der Geburt – Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin bzw. Fachärztinnen und Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe bzw. für Kinder- und Jugendheilkunde kommen dafür in Frage. Dieses Impfgespräch könnte auch für die Influenza ein für alle akzeptabler und einfacher Ausweg aus der „Impfpflicht“-Debatte sein … Nach einem ärztlichen Impfgespräch können Patientinnen und Patienten ohne Angabe von Gründen die Influenza-Impfung ablehnen (Opt-out-Regelung). Die internationale Forschung weist klar darauf hin, dass so die Entscheidungsfreiheit aufrechterhalten bleibt und dennoch das erwünschte Verhalten (Impfen) wahrscheinlicher wird.

Statt also das Impfen beliebiger zu machen, ist es weitaus empfehlenswerter, die Information auf persönlicher Ebene durch ein solches Impfgespräch zu stärken. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Impfkapazitäten in den ärztlichen Ordinationen für eine hohe Influenza-Impfbeteiligung durchaus vorhanden sind.“

So steht es in einem Schreiben, das die Ärztekammer Steiermark im Juni 2020 an Gesundheitsminister Rudolf Anschober richtete. Die Signale aus dem Ministerium sind aber eher verhalten. Auf die Impfungen werde als Teil der allgemeinen Aufklärung lediglich hingewiesen.

Aber es gibt auch positive Nachrichten. Gemeinsam mit der Wissenschaftlichen Akademie für Vorsorgemedizin (WAVM) hat das Land Steiermark auf Initiative von Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß eine Medienkampagne zur Steigerung der Impfbeteiligung gestartet. Motto: „Impfungen nützen, weil sie schützen – unsere Jüngsten und Schwächsten.“ Und ÖVP-Nationalratsabgeordneter Josef Smolle (siehe obiges Interview) sagt auf die Frage nach dem Impfgespräch, dass er dieses Anliegen sehr gerne unterstütze.

AERZTE Steiermark 07-08/2020

Foto: Johannes Zinner




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