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Ordination hinter Gittern

Justizanstalten wecken zumeist viele negative Assoziationen und kommen daher wohl wenigen Ärztinnen und Ärzten in den Sinn, wenn es darum geht, ihre beruflichen Perspektiven auszuloten. Hinter den vermeintlich tristen Gefängnismauern verbirgt sich aber ein besonders spannendes Tätigkeitsfeld in einer sehr positiven und wertschätzenden Arbeitsatmosphäre. Dr. Gerald Ressi, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, berichtet im AERZTE Steiermark-Gespräch aus erster Hand darüber.

AERZTE Steiermark: Wieso haben Sie sich für eine berufliche Tätigkeit in einer Justizanstalt entschieden?

Ressi: Einen wesentlichen Vorteil meiner Beschäftigung bilden die attraktiven Rahmenbedingungen, vor allem im Vergleich zur Arbeit in einer Klinik. Es gibt eine fixe Tagesarbeitszeit, keine Nacht- und keine Wochenenddienste – und das finanziell ausbalanciert. Das heißt, der Wechsel von der Tätigkeit in der Klinik war in meiner Einkommenssituation wenig spürbar. Auch eine Teilzeitbeschäftigung ist möglich. Das alles kommt natürlich Ärztinnen und Ärzten mit Familie ganz besonders entgegen. Mir hat es außerdem eine Kombination meiner Beschäftigung mit freiberuflichen Tätigkeiten wesentlich erleichtert. Darüber hinaus bieten der Straf- und der Maßnahmenvollzug ein interessantes, sowohl forderndes als auch förderndes Arbeitsumfeld. Mit kriminellen Patienten zu arbeiten ist natürlich eine besondere Herausforderung. Aber gerade diese ständig unterschiedlichen Aufgaben, die Tatsache, dass es nie langweilig wird, schätze ich sehr. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass ich nah am Patienten arbeiten kann. Ich habe zumeist ein zeitnahes Feedback, bekomme viel intensiver mit, wie meine Patienten und ihr Gesundheitszustand von meiner Arbeit profitieren.

Ist die Arbeit mit den Insassen schwieriger als mit anderen Patienten?

Mit Insassen einer Justizanstalt als Patienten zu arbeiten ist wie gesagt jedenfalls eine ständige Herausforderung. Man ist mit zahlreichen und vielfältigen medizinischen Problemen und Bedürfnissen konfrontiert. Nicht nur im Maßnahmenvollzug sind komplexe psychische Störungsbilder allgegenwärtig, auch im Strafvollzug steigt der Anteil der Insassen mit psychiatrischem Behandlungsbedarf. Ich sehe das allerdings nicht als ein Manko meines Arbeitsplatzes. Ich bin Arzt – dass meine Patienten krank sind, gehört ja zu meinem Beruf.

Wie erleben Sie die Zusammenarbeit im interdisziplinären Team?

Sehr bereichernd. Ich arbeite mit unterschiedlichen Ärzten, mit Pflegern, aber auch mit Psychologen, Sozialarbeitern und Justizwachebeamten zusammen. Wir pflegen einen kollegialen und wertschätzenden Umgang untereinander und können sehr viel vom Know-how des anderen profitieren. Viele stellen sich ein Gefängnis als ernstes und tristes Arbeitsumfeld vor. Wir haben hier aber meistens eine sehr positive, entspannte und humorvolle Atmosphäre im Team, in der auch der Spaß nicht zu kurz kommt – sowohl unter den Kollegen als aber immer wieder auch mit den Insassen. Die starke Interdisziplinarität bedeutet natürlich, dass das Ärzteteam eher klein gehalten ist, sodass ich in meiner Berufsgruppe überwiegend für mich selbst arbeiten kann und die ärztliche Versorgung des einzelnen Patienten mir allein obliegt. Damit trage ich größere Verantwortung für den gesamten Behandlungsprozess eines Patienten und bin freier in meinen medizinischen Entscheidungen. Außerdem führt die überschaubare Anzahl an Medizinern dazu, dass wir einen besonders hohen Stellenwert im gesamten Organisationsgefüge genießen.

Haben Sie Sorge um Ihre Sicherheit?

Nein. Ich arbeite zwar mit kriminellen, vielfach durchaus gefährlichen Patienten – dies aber in einem sehr sicheren Umfeld. Außerdem setzen die Insassen in den Kontakt zu den Anstaltsärzten hohe Erwartungen, Hilfe zu bekommen, und stehen diesen daher besonders positiv gegenüber.

Sind Vorwürfe von Insassen bzw. Rechtsschutzeinrichtungen an der Tagesordnung?

Das war zu Beginn eine meiner größten Sorgen. Sie hat sich aber als unbegründet herausgestellt. Zwar kommt es durchaus gehäuft zu Beschwerden über die medizinische Behandlung. Überwiegend liegt das in der Persönlichkeitsstruktur der Insassen begründet. Gewisse Störungsbilder finden einfach unter anderem im Erheben unbegründeter, teilweise geradezu absurder Beschwerden ihren Ausdruck. Hierbei erhalten wir aber umfassende Unterstützung durch das Rechtsbüro vor Ort. Wichtig ist in diesem Zusammenhang einfach, dass man in der täglichen Arbeit alles klar und nachvollziehbar schriftlich dokumentiert. Das schafft Rechtssicherheit für alle Seiten.

Wie wirkt sich die Gestaltung der Organisationsstrukturen auf Ihre Arbeit aus?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Justizanstalten klar geregelte und gut überschaubare hierarchische Strukturen aufweisen. Ich weiß genau, wo meine eigenständigen Kompetenzen liegen und welche Verantwortungen von Seiten der Anstaltsleitung getragen werden. Das erlebe ich als große Entlastung.

Wie gut sind Sie mit Arbeits- und Betriebsmitteln ausgestattet?

Momentan bin ich da sehr zufrieden. Der Vorteil diesbezüglich ist hier, dass Verbesserungen vorgeschlagen werden können und diese auch rasch umgesetzt werden. Natürlich sind die Ressourcen begrenzt, aber die Möglichkeit, auf die Ausstattung Einfluss zu nehmen, ist einfach größer als bei vielen anderen Arbeitgebern.

Brauchen Ärzte in einer Justizanstalt besondere Kompetenzen?

Überwiegend sind die Anforderungen die gleichen wie in anderen Tätigkeitsfeldern. Als Psychiater braucht man zusätzlich die Berechtigung zur Substitutionsbehandlung und Kenntnisse in der forensischen Psychiatrie. Insgesamt ist außerdem sicher eine Bereitschaft zu persönlicher und fachlicher Weiterentwicklung wichtig.

Dr. Gerald Ressi ist bei der Justizbetreuungsagentur angestellt und als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in der Justizanstalt Graz-Karlau tätig. In diesem Gefängnis (inkl. Außenstelle Maria Lankowitz) verbüßen bis zu 522 männliche Insassen eine Freiheitsstrafe von mehr als 18 Monaten bis lebenslang oder befinden sich im Maßnahmenvollzug.
 

Die Justizbetreuungsagentur

Die Justizbetreuungsagentur ist der Personaldienstleister der österreichischen Justiz. Das Unternehmen ist im Eigentum der Justiz und stellt dieser Fachpersonal in mittlerweile fünf Geschäftsbereichen zur Verfügung. So werden etwa im Strafvollzug alle 28 österreichischen Justizanstalten mit Personal (z. B. Allgemeinmediziner, Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter, Pflegepersonal, Pädagogen) versorgt, in der Steiermark sind dies die Justizanstalten Graz-Karlau, Graz-Jakomini und Leoben.

Weitere Informationen und aktuelle Stellen­ausschreibungen finden Sie auf http://jba.gv.at/karriere/stellenangebote/ .

AERZTE Steiermark 11/2019
 

Fotos: Schiffer




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