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„Gebt uns eine Chance“

Einen „Reifungsprozess“ sieht Franz Leisch, einer der beiden ELGA-Geschäftsführer. Probleme gesteht er freimütig ein, verspricht aber Besserung.

Martin Novak

Franz Leisch ist Arzt. Fast. Auf dem halben Weg zum ius practicandi hat er seinen Turnus abgebrochen. Und zwar, um an der FH Oberösterreich in Hagenberg Software-Engineering für die Medizin zu studieren. Deswegen ist der gebürtige Oberösterreicher, der in Niederösterreich lebt und in Wien arbeitet, nicht nur Doktor (der gesamten Heilkunde), sondern auch Diplomingenieur (FH).

Seine akademische Doppelausbildung war die Grundlage für seine Karriere im Gesundheitsministerium, wo er sich bis 2014 bereits mit der elektronischen Gesundheitsakte ELGA befasste und danach als IT-Manager bei der Vamed. Seit 1. Jänner 2018 ist der knapp 45-Jährige einer der beiden Geschäftsführer der ELGA GmbH, der Gesellschaft, deren Geschäftsfeld die „Erbringung von im Allgemeininteresse liegenden Serviceleistungen auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge im Bereich von e-Health zur Einführung und Implementierung der elektronischen Gesundheitsakte (‚ELGA’)“ ist, wie es etwas sperrig im Firmenbuch heißt. „Ich bin Facharzt für Informatik“, sagt er mit leichter Selbstironie. Und „Übersetzer“ zwischen Medizin und IT. „Natürlich ist es ein Vorteil, wenn man weiß, was der Arzt braucht und was der Informatiker versteht“, so seine Selbsteinschätzung.

Nicht nur in den letzten Monaten hat er Einiges an Übersetzungsarbeit zu leisten. Denn viele Ärztinnen und Ärzte verstanden nicht, warum die E-Medikation in etwas über drei Monaten ein dutzend Mal – insgesamt mehr als 13 Stunden – stillstand. Für den Informatiker sind 13 Stunden nicht viel. „Die Verfügbarkeit über den betrachteten Zeitraum lag … bei 99,7 %“, schrieb Leisch in einem Erklär-Mail an die Ärztekammer. Nur, dass die 99,7 Prozent sich auf 6 Monate, 24-Stunden-Tage und 7-Tage-Wochen bezogen. Die kritisierten Ausfälle fanden aber in rund 3,5 Monaten, niemals in der Nacht und nie an arbeitsfreien Wochenenden statt – da wären sie auch kaum aufgefallen und hätten wenig gestört. Doch leider fand etwa der längste Ausfall an einem Donnerstag im Juni statt und dauerte von 8 Uhr 36 bis 12 Uhr 46, fiel also mitten in die Ordinationszeit. Da sind schöne Statistiken nur ein geringer Trost.

Mittlerweile hofft man aber, das Problem in den Griff bekommen zu haben. Die Ursachen wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit gefunden, die Routinen wurden angepasst. Ob ELGA allerdings den Belastungen auch standhält, wenn weitere Werkzeuge (außer der E-Medikation) breit ausgerollt werden, scheint zumindest offen.

Einen Fehler will Leisch jedoch nicht sehen: „Wir haben uns professionell vorbereitet, aber der Echteinsatz ist immer anders“, sagt er. Bei Pilotversuchen könne man „vor allem die Funktionen testen“, manche Probleme zeigten sich aber eben erst im Hochlastbetrieb. Während mit den Spitälern pro Monat rund 800.000 Befunde zu verarbeiten waren bzw. sind, schnellt diese Zahl aktuell mit der Einbindung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte um rund 7 Millionen pro Monat hinauf.

Die Ausfallsereignisse bei der E-Medikation haben das Sozialministerium dazu bewogen, auch „unabhängige Experten“ einzubeziehen, konkret die Grazer TU-Professoren Reinhard Posch und Siegfried Vössner. Ersterer war schon bei der Entwicklung der ELGA-Sicherheitsarchitektur dabei, ist also kein ELGA-Neuling. Vössner dagegen hat bei ELGA noch nicht mitgewirkt, sehr wohl aber bei anderen Bundesprojekten. Der ehemalige Stanford-Forscher und McKinsey-Berater wurde kurz nach der Jahrtausendwende zum Professor für den neu eingerichteten TU-Graz-Lehrstuhl Maschinenbau- und Betriebsinformatik berufen. Sensible öffentliche und privatwirtschaftliche IT-Projekte sind seine Spezialität.

Leisch sieht in der Beauftragung hochkarätiger externer Fachleute kein Problem, ganz im Gegenteil: „Die Einholung unabhängiger Expertenmeinungen kann uns nur stärken“, sagt er selbstbewusst und erwartet sich einen „Dialog auf Augenhöhe und professionelle Entlastung“.

Die scharfe Kritik der Ärztekammer an der mangelnden Funktionalität versteht Leisch zwar, bittet aber um Verständnis und spricht von einem „Reifungsprozess“. Sein Appell: „Gebt uns eine Chance.“

Gesundheits-Asfinag

Mit 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (24 Vollzeitäquivalenten) ist die ELGA GmbH ein ziemlich kleines Unternehmen. „Wir programmieren keine Zeile“, so Geschäftsführer Leisch und zieht einen Vergleich zur Straßengesellschaft Asfinag: „Die bauen auch keine Autobahnen.“ Sehr wohl habe die ELGA GmbH aber die politische Verantwortung zu tragen, das sei ihm völlig bewusst, so Leisch.

Neben der kleinen, aber aufgrund ihres eingängigen Namens bekannten ELGA GmbH besorgen noch zwei weitere Gesellschaften die IT-Geschäfte der öffentlichen Hand. Um einige Jahre älter als die ELGA-Gesellschaft ist die 2001 gegründete SVC, mit vollem Namen Sozialversicherungs-Chipkarten Betriebs- und Errichtungsgesellschaft m.b.H. Hätte man sie später gegründet, hieße sie vermutlich E-Card-GmbH. Diese Gesellschaft hat nur einen Eigentümer, den Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Ausgestattet ist sie mit einem Stammkapital von 3,3 Millionen Euro, während die ELGA-Gesellschaft nur das Minimal-Stammkapital einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ausweist: 35.100 Euro, geteilt zwischen Bund, Hauptverband und Bundesländern. Weswegen die ELGA GmbH auch alle gesundheitspolitischen Entwicklungen hautnah spürt. Als Beispiel nennt Leisch die Fusion der Krankenkassen und die Schaffung der Österreichischen Gesundheitskasse.

Die große ITSV

Wahrhaft groß ist die dritte der drei IT-Säulen: die weithin unbekannte IT-Services der Sozialversicherung GmbH (ITSV). Mehr als 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt diese Gesellschaft. 2018 setzte sie laut Geschäftsbericht 96,5 Millionen Euro um. Wie der Name schon sagt, wickelt sie hauptsächlich die IT-Projekte der Sozialversicherungsträger ab, denen sie auch gehört. Das Stammkapital beträgt beeindruckende 16,9 Millionen Euro. Gleichzeitig fungiert sie auch als Dienstleister für die anderen Gesellschaften. Alle der E-Card zugrundeliegenden Daten speichert sie in der E-Card-Betriebszentrale. Sie wickelt seit 2018 das Kinderbetreuungsgeld technisch ab und ist für die zentrale Projektkoordination des Gesundheitstelefons 1450 verantwortlich. Kurz: Die meisten IT-technischen Abwicklungen im Umfeld der Sozialversicherungen sind bei der ITSV angesiedelt, wobei sie dabei auch als Dienstleister für die anderen Gesellschaften agiert – das gilt auch für die E-Medikation.

Vereinigung?

Die Drei-Gesellschaftenlösung sei historisch begründet, sagt Leisch. Seitens der Ärztekammer gibt es die Forderung, die drei Firmen zu vereinen. Leisch ist da vorsichtig. Wobei er sich ein gemeinsames Auftreten der ELGA GmbH und der SVC nach dem Prinzip „One face to the customer“ durchaus vorstellen kann.

Zentral oder regional?

Wenn es um zentrale IT-Projekte geht, weisen Befürworter gerne auf die baltische Republik Estland hin. Auch wenn das Land eine Einwohnerzahl hat, die kaum größer als die der Steiermark ist. Für Leisch steht aber außer Frage: „Acht bis neun Millionen Einwohner rechtfertigen ein Zentralprojekt.“ Der Idee nur regionaler IT-Vernetzung – etwa innerhalb von Bundesländern – erteilt er damit eine klare Absage. Wohl auch aus seiner persönlichen Biografie heraus. Als Oberösterreicher mit Arbeitsplatz in Wien und Wohnort in Niederösterreich will er ärztliche Hilfe und Information jedenfalls in diesen drei Bundesländern.

Überrollt?

Weniger recht ist ihm die Vielzahl von ELGA- und IT-bezogenen Projekten und Werkzeugen (E-Befund, E-Rezept, E-Medikation, E-Impfpass …) in rascher Abfolge. Leisch sieht „eine gerechtfertigte Wahrnehmung des Überrollens“ bei Ärztinnen und Ärzten. Sein Fazit: „Wir müssen uns besser abstimmen.“ Denkbar sei es zum Beispiel, ein Werkzeug in einem Bundesland und das andere in einer anderen Region auszurollen. Oder die Taktung zu entschleunigen.

Patient-Summary-Skepsis

Seit Jahren gibt es Bemühungen, mit einem kompakten Patient-Summary quasi eine Art ELGA-Startseite für Ärztinnen und Ärzte sowie andere befugte Health Professionals anzubieten. Nur, dass die Internistin und der Orthopäde andere Informationsbedürfnisse haben. Eine denkbare Alternative wäre es, dass die jeweilige Arzt-Software die Übersicht individuell zusammenbaut und sich an fachlichen Bedürfnissen sowie persönlichen Usancen orientiert. Er sei „Skeptiker eines zentral aufbereiteten Patient Summary“, versichert Leisch.

Eine oft gehörte Kritik ist „ELGA als Datenfriedhof“: Ein Wust an Befunden im pdf-Format ist für lesende Ärztinnen und Ärzte Belastung und Ärgernis. Nur mehr 25 Prozent der Befunde würden im pdf-Format geliefert, versichert Leisch. Aber: Alte pdf-Befunde wird es noch lange im System geben. Es ist also mit Besserung zu rechnen, aber nicht mit einer schlagartigen Lösung aller Probleme.

Erweiterte Version

Wird ELGA so bleiben, wie sie ist? Kaum. Der größte österreichische Arztsoftware-Anbieter hat im Sommer ein „ELGA-Cockpit“ präsentiert – eine Art Übersicht, die schnell zeigt, welche Daten (Diagnosen, Dokumente, Labor, Medikamente) in einer individuellen elektronischen Akte stecken. Sie soll bald zugänglich sein. Die Arztsoftware-Anbieter bieten in „erweiterten Versionen“ Sortier- und Lesemöglichkeiten, die in den geförderten Basisversionen noch vielfach fehlen. Ob die besseren Versionen allgemein zugänglich werden, ist primär eine Frage des Geldes …

„Vor allem ein Schreibethema“

Wie gut wird ELGA wahrgenommen? 39 niedergelassene ÄrztInnen und 221 SpitalsärztInnen füllten dafür Fragebögen zu den ELGA-E-Befunden aus.

Über die Ergebnisse der Evaluierung im Auftrag des Sozialministeriums, der Länder und der Sozialversicherung haben wir berichtet.

Mehr als ein Drittel der Befragten aus dem niedergelassenen Bereich und sogar zwei Drittel der Krankenhaus-Ärztinnen und -Ärzte stuften ihre Zufriedenheit mit ELGA nur als „genügend“ oder sogar „ungenügend“ ein. Die Grundgesamtheit der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (sie mussten ELGA nutzen und per E-Mail erreichbar sein) betrug nur 103, da ist der Rücklauf von 39 Fragebögen, für die es allerdings eine finanzielle Motivation gab, gar nicht schlecht. Weniger zufrieden kann man wohl mit 221 Spitalsärztefragebögen sein.

Aber das geringe Interesse liege wohl daran, dass man in der Spitalskommunikation „relativ wenig Wert auf den Nutzen gelegt“ habe, argumentiert Leisch: „ELGA ist vor allem ein Schreibethema.“ Der ELGA-Geschäftsführer ist davon überzeugt, dass ELGA „dann interessant wird, wenn die Befunde aus anderen Bereichen dazu kommen“. Konkret nennt er externe Labors und die Radiologie. Wann das sein wird, ist unklar: „Das ist eine Sache der Systempartner – wir können nur darauf hinweisen.“

Die politische Entscheidung wird wohl auch von der Bereitschaft abhängen, Geld zu investieren. Immerhin ist von einem zweistelligen Millionenbetrag die Rede.

Befragt wurden auch die Software-Hersteller. 11 davon haben teilgenommen. Ein Ergebnis, das Leisch als „enttäuschend“ bezeichnet.

„Jemand muss es machen“

Nach dem letzten Masernausbruch gab es den politischen Wunsch nach rascher Einführung eines elektronischen Impfpasses bis 2021. ELGA-Geschäftsführer Franz Leisch unterstützt die Bestrebungen, sieht das Ziel aber als sehr ambitioniert an: „Wir werden es nur unter geänderten Rahmenbedingungen schaffen, 2020 den Piloten zu machen und bereits 2021 österreichweit auszurollen.“

Ein heikles, aber wichtiges Thema ist die Übernahme vorhandener Impfdaten – unabhängig davon, ob sie sich in einer zentralen Impfdatenbank befinden (wie die steirischen Daten zu den Gratisimpfungen für Kinder und Jugendliche) oder ganz konventionell in Papierimpfpässen. Bei Impfdatenbanken geht es auch um die mögliche statistische Auswertung, wie etwa die Studie „ Regionale Unterschiede des Impfverhaltens in der Steiermark “, die, wie berichtet, wertvolle Aufschlüsse über regional unterschiedliche Impfbeteiligungen liefert. Die gesetzliche Grundlage für die Übernahme aus Datenbanken, die es etwa auch in Wien gibt, ist in Vorbereitung.

Ganz grundsätzlich geht es aber auch um den persönlichen Impfstatus. Wobei nicht unbedingt alle Impfungen elektronisch nachdokumentiert werden müssen – oft genügt die letzte Auffrischungsimpfung. Die kann aber Jahre zurückliegen und trotzdem Immunität bedeuten, etwa eine Tetanus-Impfung 8 Jahre zuvor.

Doch wer soll nachdokumentieren? Eine Idee ist, dass es die Geimpften selbst machen. Da gibt es aber ernsthafte Qualitätsbedenken, vor allem ohne ärztliche Kontrolle und Freigabe. Eine andere Idee ist, dass es Ärztinnen und Ärzte tun. Wie aber soll das mit dem knappen ärztlichen Zeitbudget vereinbar sein? Es könnten auch spezielle Servicestellen tun. In jedem Fall aber gilt: Eine Leistung Dritter – egal ob von Ärztin/Arzt oder Servicestelle – kann es nicht zum Nulltarif geben.

„Jemand muss es machen“, sagt Leisch jedenfalls. Er rechnet aber mit einem „langjährigen Prozess“, bis es den E-Impfpass im Vollbetrieb tatsächlich geben kann. Und hat auch einen einschränkenden Hinweis in Hinblick auf den Nutzen: „Der E-Impfpass kann nur Teil der Maßnahmen zur Steigerung der Impfrate sein.“ Schließlich geht es ja nicht nur um Wissen um den Impfstatus, sondern auch um Sorgen, Ängste und inhaltliche Fragen.

AERZTE Steiermark 09/2019
 

Fotos: Schiffer, Shutterstock, Symbol,

Grafiken: WAVM/Conclusio




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