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Wie hältst du‘s mit dem Impfen?

Die überwiegende Zahl der Menschen hält Impfungen (nicht nur, aber bei Kindern) für wichtig. Dennoch bleiben Impflücken, wie wir nicht erst seit dem jüngsten Masern-Ausbruch in der Steiermark wissen. Was ist zu tun?

Martin Novak

86,1 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher halten die MMR-Impfung für sicher. Das ist Platz 8 innerhalb der Europäischen Union. Am sichersten schätzen die Portugiesinnen und Portugiesen die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln ein (95,8 Prozent), am wenigsten Zustimmung gibt es in Schweden mit 56,5 Prozent. Der EU-Durchschnittswert liegt bei 79,8 Prozent. Bei der allgemeinen Frage nach der Sicherheit von Impfungen kommt Schweden aber auf 83,7 und Österreich auf 82,7 Prozent. Schlusslicht ist hier Bulgarien mit 66,3 Prozent, im Schnitt halten 82,1 Prozent der EU-BürgerInnen Impfen für sicher. Das sind Ergebnisse aus der Studie „ State of Vaccine Confidence “ 2018 für die Europäische Kommission. Dass 90 Prozent der Menschen in der EU der Überzeugung sind, dass Impfen für Kinder wichtig ist, kann man dort auch nachlesen (siehe Grafik unten).

Der jüngste Masernausbruch in der Steiermark (aber nicht nur) darf also nicht darüber hinwegtäuschen, dass Impfverweigerung ein Minderheitenthema ist. Die berichteten Zahlen schwanken zwar, aber es sollten weniger als 5 Prozent sein.

Dennoch gibt es ein Problem: Die MMR-Immunisierung erreicht in vielen Teilen Europas die 95-Prozent-Marke nicht, die nach Berechnung von Impf-Fachleuten notwendig wäre, um Ausbrüche überhaupt zu verhindern. Und es gibt einen signifikanten Abfall der Teilnahme von der ersten zur zweiten Teilimpfung. Dazu kommen beträchtliche regionale Unterschiede. Laut Epidemiologischem Bulletin 16/2018 des deutschen Robert-Koch-Instituts liegen die Abdeckungsgrade für die zweite Masern-Teilimpfung zwischen den Bundesländern Baden-Württemberg und Brandenburg 5,7 Prozentpunkte auseinander. Ältere Studien kommen auf noch höhere Werte.

Auch in der Steiermark kennt man dieses Phänomen. Hier, wo es Dank der Impfdatenbank des Landes in der Wissenschaftlichen Akademie für Vorsorgemedizin äußerst aussagekräftige und valide Zahlen gibt, wird für die erste Teilimpfung des Geburtsjahrganges 2015 eine Durchimpfungsrate von 87,1 und für die zweite eine von 80 Prozent ausgewiesen. Eine sehr einfache Erklärung für solche Unterschiede lieferte die Wiener Tropenmedizinerin und Impfexpertin Ursula Wiedermann-Schmidt bei der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ am ersten Februar-Sonntag: Die zweite Teilimpfung sei in einem Zeitraum vorgesehen, in dem Kinder oft krank seien und deswegen nicht geimpft werden würden, erklärte die Wissenschafterin. Damit – so kann man schlussfolgern – erzielt auch ein gutes Erinnerungssystem nicht die gewünschte Wirkung. Helfen könnte eine weitere – spätere – Erinnerung an Eltern, deren Kinder den empfohlenen Impfzeitraum versäumt haben. Das ist technisch in der Steiermark kein Problem.

Immer wieder Masern

Genau betrachtet ist der aktuelle Masernausbruch in der Steiermark ein eher kleines Ereignis. Von 15 verifizierten Fällen ist in der ersten Februarwoche die Rede. Weltweit gab es 2018 laut WHO fast 230.000 Masernfälle, gut 61.000 davon in Indien. An zweiter Stelle folgte aber schon die Ukraine mit mehr als 35.000 Erkrankungen. Mit rund 5.000 Masernfällen in Serbien, fast 2.800 in Frankreich, an die 2.400 in Italien und mehr als 2.000 in Griechenland war Europa im Jahr 2018 keineswegs ein „Kontinent der Seligen“ und auch „die Insel der Seligen“, Österreich, hatte 73 Fälle zu verzeichnen, Deutschland mehr als 500.

Impfpflicht als Ergänzung?

Masernausbrüche führen auch oft zu einer regen Debatte über die Impfpflicht als Ersatz von niederschwelligen Impfprogrammen und umfassenden Recall-Systemen. Nicht nur jetzt in Österreich. Immerhin sieben EU-Länder – Frankreich, Italien, Ungarn, Tschechien, Kroatien, Lettland und Belgien (allerdings nur für Kinderlähmung) kennen eine allgemeine Impfpflicht.

Wobei der Begriff „Impfpflicht“ präzisiert werden muss. In den meisten Fällen ist damit das Verbot des Besuchs öffentlicher Betreuungseinrichtungen, vor allem Kindergärten und Schulen, ohne Immunisierungsnachweis gemeint. Zusätzliche Verwaltungsstrafen sind aber in einigen Ländern an der Tagesordnung. In Italien war 2017 eine Verwaltungsstrafe von 100 bis 500 Euro bei Nichtimpfen eingeführt worden. Die neue Regierung hat diese Regelung 2018 abgeschwächt. In Australien verlieren Eltern teilweise den Anspruch auf Sozialleistungen, wenn sie das Impfen der Kinder verweigern.

In Italien, so berichtet das Deutsche Ärzteblatt mit Berufung auf die italienische Gesundheitsministerin Giulia Grillo, habe die Impfpflicht zu einer Erhöhung der Impfquote bei Kleinkindern geführt. Als 2015 in Deutschland die Wiedereinführung der 1975 abgeschafften Impfpflicht debattiert wurde, sprach sich die Forscherin Cornelia Betsch – obwohl eine klare Befürworterin des Impfens – dagegen aus. Es zeigte sich laut einer Studie, die Betsch gemeinsam mit ihrem Aachener Kollegen Robert Böhm durchgeführt hatte, dass vor allem Personen mit negativer Einstellung gegenüber dem Impfen durch die Impfpflicht beeinflusst wurden: Deren Impfbereitschaft sank um ganze 39 Prozent im Vergleich zur Gruppe, in der beide Entscheidungen freiwillig waren. Die Wissenschaft spreche hier von „psychologischer Reaktanz“, die dazu führt, dass sich Personen, deren Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird, diese bei der nächsten Gelegenheit „zurückholen“. Eine Einführung einer teilweisen Impfpflicht kann also paradoxe Effekte haben: Gerade die Impfskeptiker, denen durch Impfpflicht begegnet werden soll, könnten so einen weit größeren Effekt auf das gesamte Impfprogramm haben, als es bei freiwilligen Impfungen der Fall ist. Fazit der Leiterin des Center for Empirical Research in Economics and Behavioral Sciences (CEREB) der Universität Erfurt: „Wir schließen daraus, dass eine sinnvolle und gute Impfaufklärung der Bevölkerung effektiver wäre als die Einführung der Impfpflicht – vor allem einer nur teilweisen.“ Böhm spricht sich dafür aus, die positiven gesellschaftlichen Auswirkungen des Impfens stärker zu betonen: „Über Gemeinschaftsschutz zu informieren, gehört für uns zu einer guten Impfaufklärung dazu.“

Nur: Aufgeklärt und informiert wird sehr viel, und zwar über alle Facetten des Impfens, den individuellen genauso wie den gesellschaftlichen „Herdenschutz“. Und Information hilft auch: Nach dem Start des Informationsprogramms der Wissenschaftlichen Akademie für Vorsorgemedizin stieg die Beteiligung an der MMR-Impfung innerhalb kurzer Zeit deutlich.

Die Frage ist, ob es hilft, die Information weiter zu verbessern, um verstärkt ältere Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene zu erreichen – jedenfalls ein erfolgversprechender Weg – oder ob es zusätzlich anderer Mittel bedarf, wie der Impfpflicht. Die Österreicherinnen und Österreicher scheinen sich diese mehrheitlich zu wünschen: Laut einer Umfrage der Gratiszeitung „Heute“ sind 46 Prozent „sehr“ für die Masern-Impfpflicht, weitere 31 Prozent sind „eher“ dafür. Und nur 10 bzw. 7 Prozent eher oder sehr dagegen.

Verzerrte Wahrnehmung

„Ich habe die Kinderkrankheiten ja auch durchgemacht und es hat mir nicht geschadet“, ist eines der gängigen Argumente von Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen (wollen). Ärztinnen und Ärzte rennen gegen eine solche Argumentationswand oft genug vergeblich an. In der Erinnerung verblassen böse Eindrücke, während das Gute haften bleibt.

Der deutsche Soziologe Martin Schröder erklärt in seinem Buch „ Warum es uns noch nie so gut ging und wir trotzdem ständig von Krisen reden “ (2018) den „rosa Blick“ (Rosy Retrospection) auf weit Zurückliegendes mit einem einfachen Vergleich: Fotoalben enthalten selten traurige Erinnerungen. Aufbewahrt werden die schönen Erinnerungen. Gehirne funktionieren ähnlich. Diese Wahrnehmungsverzerrung ist nur eine in einer langen Liste. Nicht nur die Vergangenheit wird leicht verklärt, auch Risiken werden über- oder unterschätzt. Das Risiko einer Impfnebenwirkung wird leicht überschätzt, weil viel darüber geredet wird. Das Krankheitsrisiko wir unterschätzt, weil Krankheiten, gegen die es wirkungsvolle präventive Maßnahmen (eben das Impfen) gibt, kaum mehr bedacht werden (müssen) – die Krankheit ist für das Gedächtnis kaum mehr verfügbar. Das ändert sich erst, wenn es doch zu einem Ausbruch kommt. Dann ist es aber für diejenigen, die sich bereits infiziert haben, schon (zu) spät.

Es gibt aber auch gute Nachrichten, wie ein Experiment aus dem Jahr 1965 an der Yale-Universität beweist: Studierende hörten einen Vortrag über die Gefahren von Tetanus und die Wichtigkeit der Schutzimpfung. Die meisten wollten sich am Ende des Vortrags tatsächlich impfen lassen. Aber nur drei Prozent setzten den Vorsatz um. Bei denen, die aber zusätzlich eine schriftliche Wegbeschreibung bekamen, waren es 28 Prozent – neun Mal so viele.

Fazit: Gutes, begleitendes Service wirkt.

Die Tücken der Statistik

Die Steiermark hat ein exzellentes Impfstatistik-System. Impfquoten können bis zu kleinsten Einheiten herunter erhoben werden. Aber eine Frage ist immer zu klären: Was wird gemessen? Nehmen wir eine Impfquote von 86,6 Prozent. Die haben wir in der Steiermark, bezogen auf 2016 Geborene. Diese Quote betrifft nur die erste Teilimpfung, die Werte für die zweite Teilimpfung zu erheben, wäre sinnlos, weil die Kinder dieses Jahrgangs noch zu jung sind. Wie stark Werte differieren, zeigt sehr drastisch die Darstellung der deutschen MMR-Impfquote im „ Epidemiologischen Bulletin “ 1/2016 des Robert-Koch-Instituts: Für die 1. Dosis (Teilimpfung) des Geburtenjahrgangs 2012 betrug die Impfquote 15 Monate nach der Geburt 86,6 Prozent, 36 Monate nach der Geburt dagegen 97,6 Prozent. Für die zweite Dosis betrug sie nach 24 Monaten 71 und 36 Monate nach der Geburt 84,8 Prozent. Dazu kommen signifikante Unterschiede zwischen den Regionen: Bei der zweiten Dosis (nach 24 Monaten) 67,2 Prozent in Brandenburg, aber 78,4 Prozent in Sachsen-Anhalt. Das Bundesland Sachsen hat im deutschen Bundesländer-Ranking für die zweite Teilimpfung immer dramatisch schlechte Werte – für den Geburtenjahrgang 2012 zum Beispiel 21,9 Prozent (Deutschland-Durchschnitt 71,3 Prozent). Aber nicht, weil in Sachsen nicht geimpft, sondern weil die zweite Teilimpfung dort – und nur dort – erst ab dem fünften Lebensjahr empfohlen ist. Bei der Interpretation von Impfstatistiken gilt es also immer, sehr genau darauf zu achten, dass Gleiches mit Gleichem verglichen wird …

AERZTE Steiermark 02/2019
 

Foto: AdobeStock

Grafiken: Conclusio, ELGA




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