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Wanderer auf den Spuren des Ersten Weltkrieges

Der Grazer Kinder-Hämato-/Onkologe Martin Benesch ist beruflich fast täglich mit Kindern und deren Familien in Ausnahmesituationen konfrontiert. In seiner Freizeit beschäftigt er sich – lesend wie wandernd – intensiv mit einer historischen Ausnahmesituation: dem Ersten Weltkrieg.

U. Jungmeier-Scholz

Sein Großvater hat ihn erlebt, den Ersten Weltkrieg. Inklusive sieben Jahre russischer Kriegsgefangenschaft ab Sommer 1914, also unmittelbar nach Kriegsbeginn. Hätte er nicht auf abenteuerlichen Wegen von Sibirien nach Graz zurückgefunden, gäbe es Martin Benesch heute nicht. Aber es ist nicht nur der familiäre Bezug, der Benesch inspiriert hat, sich in seiner Freizeit – schon lange vor dem heurigen Gedenkjahr – so intensiv mit dem Ersten Weltkrieg auseinanderzusetzen: „Auch wenn der Begriff bereits vielfach strapaziert wurde, es geht mir dabei um ‚die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts ´.“

Heimatnahe Schauplätze

Schon zu Schulzeiten interessierte sich Benesch, der heute am Grazer Uniklinikum die Abteilung für Pädiatrische Hämato-/Onkologie leitet, für Geschichte. Auch die Antike, insbesondere antike Bauten, faszinieren ihn, denn „diese architektonische Harmonie gibt es heute fast nicht mehr“. Aber sein Hauptaugenmerk gilt dem Ersten Weltkrieg, vor allem den heimatnahen Schauplätzen der damaligen Front im heutigen Slowenien und in Oberitalien: Vom Monte Grappa über den Plöckenpass bis zum Isonzotal, dem heutigen Soča-Tal. Jahrelang las er unermüdlich zum Thema. „Und aus dem Lesen ist dann das Wandern entstanden.“ Beim Abendessen mit Freunden hatte sich herauskristallisiert, dass hier drei am Ersten Weltkrieg Interessierte an einem Tisch saßen, die auch allesamt gerne wandern. Und so erkundet Benesch in dieser Dreierrunde seit mehr als einem Jahrzehnt einen Frontabschnitt nach dem anderen und sucht dort nach persönlichen Impressionen und materiellen Überresten. „Aber ohne Metall-Detektor. Ich nehme gelegentlich mit, was ich beim Gehen zufällig finde.“ Und er behält auch den Erholungswert derartiger Expeditionen stets im Auge. „Reisen nach Slowenien und Oberitalien lassen sich auch ganz gut mit Weinverkostungen kombinieren“, erzählt er mit einem Lächeln.

Spezielle Landkarten

Fundstücke wie Granatsplitter oder gar eine intakte Granathülse sowie Patronenhülsen nimmt Benesch mit nach Hause, aber auch Erinnerungen an besondere Orte: „Es gibt einen Forstweg, der zur Heiligengeistkirche Javorca führt, die österreichisch-ungarische Soldaten zum Gedenken an die in der Region gefallenen Kameraden erbaut haben. Und auf diesem finden sich, quasi als Leitplanken, alte Schienen, die mit ,Graz 1907´ punziert sind.“

Abgesehen von „Graz“ sind die Ortsangaben bei Wanderungen auf den Spuren der Historie durchaus eine Herausforderung, heißen die Orte, Berge und Flüsse doch heute ganz anders als zu Zeiten der k. u. k. Monarchie. Beim Zurechtfinden helfen Benesch und seinen Wanderfreunden spezielle historisch-touristische Landkarten, die gezielt zu Schauplätzen einstigen Kriegsgeschehens lotsen und die wichtigsten Daten dazu gleich mitliefern.

Informationen zum Ersten Weltkrieg sammelt Benesch bereits seit Jahrzehnten und ein Ende ist nicht absehbar. Erst kürzlich hat er zwei neue Bücher erstanden: „Mit fünfzehn Jahren an die Front“ und „Überlebe ich, so schreibe ich weiter: Feldpost aus dem Ersten Weltkrieg“. Dabei liest er durchaus selektiv. „Die Sekundärliteratur ist ja längst unüberschaubar. Natürlich habe ich auch Übersichtswerke studiert, aber mein Hauptinteresse gilt den überlieferten Zeitzeugenberichten der einfachen Soldaten.“ Benesch ortet durchaus eine Entwicklungstendenz bei der veröffentlichten Literatur. „Wurden nach dem Krieg zunächst heroisierende und nationalistisch gefärbte Berichte gedruckt, kann man heute auch nachlesen, wie es jenen ergangen ist, die ganz vorne an der Front gekämpft haben.“

„Schlachtfeld-Archäologe“

Auch die Gebiete der einstigen Westfront möchte Benesch einmal bereisen, jedenfalls Verdun, die Regionen an der Somme und vielleicht auch einmal Flandern. „Heuer gab es dort die Möglichkeit für Laien, unter der Anleitung professioneller Historiker Grabungen durchzuführen. Aber ich habe zu spät davon erfahren und hätte wahrscheinlich auch nicht wirklich ausreichend Zeit dafür gehabt.“ Benesch widmet sich dem Ersten Weltkrieg ausschließlich im individuellen Kontext; er ist kein Mitglied eines Vereins oder einer entsprechenden Organisation. „Aber nach der Pensionierung werde ich Schlachtfeld-Archäologe“, prognostiziert er scherzhaft. Seine Frau nimmt er oft mit auf seine historischen Touren, vor allem, wenn es in die Gegend des Isonzotales geht.

Fokus Palliativmedizin

Mit seinem Arztberuf führt Benesch eine Familientradition weiter. Sein Großvater war nicht nur Zeitzeuge des Ersten Weltkrieges, sondern auch Arzt – Professor für Augenheilkunde an der Grazer Klinik. Dessen Sohn leitete ein Vierteljahrhundert lang die Abteilung für Innere Medizin am LKH Rottenmann. Der Wunsch, Arzt und insbesondere Onkologe zu werden, entstand, nachdem ein nahes Familienmitglied innerhalb weniger Wochen an Krebs verstarb. Benesch studierte von 1984 bis 1992 an der Karl-Franzens-Universität Graz Medizin. „Der damalige Leiter der Abteilung, Christian Urban, bei dem ich Turnusarzt war, förderte mich und bahnte mir den Weg in die Kinderheilkunde, beziehungsweise in die Pädiatrische Hämato-/Onkologie, die es uns heute ermöglicht, rund drei Viertel aller Kinder mit bösartigen onkologischen Erkrankungen zu heilen.“ Nach der Facharztausbildung folgte ein durch ein Max Kade Stipendium finanzierter Forschungsaufenthalt in Seattle am Fred Hutchinson Cancer Research Center. Heute ist Benesch der nationale Koordinator für Hirntumor-Studien. Und nicht zu vergessen: auch ein Mitbegründer des mobilen Kinderpalliativteams an der Medizinischen Universität Graz.

Zu seiner Arbeit gehört daher auch die Konfrontation mit dem Tod. Ungewöhnlich, dass er sich dann zum Ausgleich zu dieser Arbeit eine weitere – wenn auch anders geartete – Beschäftigung mit dem Tod gesucht hat. Danach gefragt, warum er diese Kombination gewählt habe, meint er nur: „Eine gute Frage.“ Eine, die unbeantwortet bleibt. Denn was ihn viel intensiver beschäftigt als die Antwort darauf, ist, wie dem Sterben im Leben ein würdiger Rahmen gegeben werden kann. Erst in den letzten Jahren wurde durch die intensive und offene Beschäftigung mit Palliativmedizin, auch pädiatrischer Palliativmedizin, der nahende Tod enttabuisiert. Zuvor waren oft weder Patient noch Angehörige auf einen nahen Tod vorbereitet worden.

„Da bleiben“

Diese Erfahrung möchte er niemandem zumuten. „Für mich ist es wichtig, den Lebensabschnitt, in dem keine Heilung mehr möglich ist, bewusst zu gestalten, Sterbende zu begleiten und für die Angehörigen auch über den Tod hinaus da zu sein.“ Im mobilen Kinderpalliativ-Team wird den Familien der Verstorbenen genau dieses Angebot gemacht – inklusive psychologischem und seelsorgerischem Beistand. Aber auch Benesch selbst ist gelegentlich in der Lebensendphase von Kindern, die er zuvor über Jahre hinweg betreut hat, dabei. „Für den Patienten da sein, ihn auch angreifen, wenn das Leben zu Ende geht – und nur ja nicht kurz vor dem Sterben alleine lassen“, hält Benesch für eine der wichtigsten Aufgaben im ärztlichen Handeln.

In seinem Berufsethos wie seinem historischen Spezialgebiet sieht er eine Gemeinsamkeit: „Den Ersten Weltkrieg hätte man möglicherweise verhindern können, wenn die Entscheidungsträger bereit gewesen wären, sich in einer Krise zurückzunehmen, den Dialog zu suchen und auf einer friedlichen Lösung zu bestehen. Auch in einer Leitungsfunktion sind ausgleichender Dialog und Gesprächsbereitschaft Grundvoraussetzungen für ein kollegiales Arbeitsklima.“

Fotos: Benesch

AERZTE Steiermark 12/2018




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