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Fake Journals: Schwarze Publikations-Schafe

Unseriöse Fachjournale gefährden den Ruf darin publizierender Ärztinnen und Ärzte. Auch Patienten berufen sich auf solche Artikel.

U. Jungmeier-Scholz

Tarnen und Täuschen ist ihr Spezialgebiet: Fake journals oder predatory journals, zu Deutsch Raubtierjournale, drängen zunehmend auf den Markt und publizieren, wie das im Open Access-Bereich üblich ist, gegen Geld, die sogenannte „article processing charge“, (schein-)wissenschaftliche Artikel. Häufig werden die eingereichten Texte nach ungewöhnlich kurzer Vorlaufzeit veröffentlicht – auf Kosten der Qualitätssicherung durch Peer Reviews. Manche Veröffentlichungen sind auch nur kurzfristig abrufbar. Viele dieser Zeitschriften tragen Namen, die denen etablierter Fachjournale ähneln, etwa „British Journal of Science“, „International Journal of Pediatrics“ oder „Journal of Medical Research and Practice“.

Selbst wenn der eigene Artikel fachlich exzellent ist, schädigt eine Veröffentlichung in einer unseriösen Zeitschrift den wissenschaftlichen Ruf. „Wer in einem predatory journal publiziert, tut es zumeist aus Unwissenheit. Selbst ernannte ͵Wissenschafterʹ veröffentlichen aber manchmal auch exzessiv zu einem klinisch nicht getesteten Produkt“, berichtet der junge Grazer Mediziner und Experte für fake journals, Georg Richtig .

Beall´s List

Erstmals öffentlichkeitswirksam auf das Problem aufmerksam gemacht hat der US-amerikanische Bibliothekar Jeffrey Beall aus Denver/Colorado, als er vor zehn Jahren eine Liste mit zahlreichen fragwürdigen Publishern erstellt hat. Konfrontiert mit Drohungen und Gerichtsverfahren nahm er die Liste im Jänner 2017 aus dem Web; alte Versionen sind jedoch noch einsehbar.

In Graz stieß Richtig vor drei Jahren auf das Thema, nach der Lektüre eines Artikels in einem Fachjournal. Seitdem beschäftigt er sich in seiner Freizeit mit Raubtierjournalen und hat auch schon dazu publiziert (Reviewed im Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology, doi: 10.1111/jdv.15039).

Ob seriös oder nicht, lässt sich nicht immer hinreichend unterscheiden, wie auch Rolf Kreienberg, Präsident der deutschen Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), im Interview mit aerzteblatt.de betont: „Für die Identifikation von Pseudojournalen gibt es keine hundertprozentig treffsicheren Kriterien.“

Selbst überprüfen

Das Publikationsservice der Universitätsbibliothek der Karl-Franzens-Universität rät zu folgenden Schritten: Erstens ein Check, ob die Zeitschrift in Scopus, Web of Science oder dem DOAJ (Directory of Open Access Journals) zu finden ist und ob der Verlag in der OASPA-Liste (Open Access Scholarly Publishers Association) aufscheint.

Zweitens – falls die Zeitschrift in den genannten Datenbanken nicht zu finden ist, wie es gerade bei jungen, durchaus qualitätvollen Journalen der Fall sein kann – eine eigene Überprüfung anhand folgender Merkmale: Schon das Anschreiben per E-Mail kann verräterisch sein – durch eine nicht personalisierte Anrede, verdächtige Kontaktdaten wie inexistente Postadresse oder E-Mailadressen von Gratis-Providern oder dadurch, dass das anfragende Journal nicht zum eigenen Fachgebiet passt.

Sehr allgemein gehaltene Zeitschriften-Titel, ein breites Themenspektrum, minderwertiges Layout, nicht existierende ISSN (International Standard Serial Number) oder erfundene Impact-Faktoren sollten ebenfalls alarmieren. Zweifelhafte Impact-Faktoren finden sich unter predatoryJournals.com/metrics . Auch fehlerhafte Grammatik oder ein schlechtes Layout der Website sollten zu denken geben.

Drittens rät die UB im Zweifelsfall zum Nachverfolgen von Fachcommunity-Diskussionen im Web zum entsprechenden Journal sowie zur Abklärung, ob vielleicht schon ein Gerichtsverfahren gegen den Herausgeber läuft.

„Manche sind auf den ersten Blick erkennbar, bei anderen muss man viel Zeit und Wissen investieren, um sie als fake journals zu erkennen“, bekräftigt Richtig. „Wer sich unsicher ist, kann sich auch bei Fachkollegen erkundigen, die häufig publizieren.“

Graue und schwarze Schafe

Wobei zu unterscheiden bleibt, ob in einem Journal bloß nicht die Reviewing-Standards etablierter Journale eingehalten werden und ungeprüft Artikel erscheinen oder ob Menschen über scheinwissenschaftliche Fachverlage, an denen sie möglicherweise sogar finanziell beteiligt sind, abstruse Therapien etablieren wollen. Bekanntestes Beispiel dafür ist das im American Journal of Immunology propagierte GcMAF, ein Protein, das angeblich das Immunsystem stärken und gegen Krebs wirken soll. Aber auch gegen Akne, Autismus, Multiple Sklerose und Parkinson …

Österreichische Proben vermeintlichen GcMAFs enthielten teils nur Kochsalzlösung, teils sogar giftige Substanzen. Aber selbst die Wirksamkeit der Originalsubstanz wurde klinisch noch nicht nachgewiesen.

Neben derartigen Artikeln im selben Journal veröffentlicht, gerät auch eine seriöse Publikation in Verruf. Aber wie werden Forscherinnen und Forscher, die sauber arbeiten, auf derartige Journale aufmerksam? „Kliniker ebenso wie Grundlagenforscher werden permanent mit Einladungen zu Artikel-Einreichungen überhäuft“, erzählt Richtig. „Ich selbst erhalte pro Woche sicher an die hundert derartiger Mails.“

Tendenz steigend

Uneinigkeit herrscht darüber, wie bedeutsam das Phänomen für die wissenschaftliche Community ist. Laut Angaben der Karl-Franzens-Universität sollen quer durch alle Fachrichtungen weltweit rund 10.000 fake journals etwa 50.000 seriösen gegenüberstehen. Auf aerzteblatt.de wird eine Recherche des norddeutschen Rundfunks NDR erwähnt, wonach sich bei den fünf wichtigsten Raubverlagen die Publikationen in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht hätten, in Deutschland sogar verfünffacht. Das hält Georg Richtig für realistisch, „aber man muss bedenken, dass der Publikationsaufwand generell zunimmt – auch in seriösen Zeitschriften“.

Insgesamt mehr als 400.000 Forscherinnen und Forscher sollen laut Recherche von NDR, WDR und ORF bereits (teils unbeabsichtigt) in Raubverlagen publiziert haben. Davon lediglich 390 österreichische, also nur rund 1,4 Prozent des wissenschaftlichen Personals. Doch der zunehmende Druck, möglichst viel zu veröffentlichen, leistet den pseudowissenschaftlichen Verlagen Vorschub.

Bewusstsein schaffen

Georg Richtig sieht in der Verbreitung von predatory journals allerdings ein Problem, das sich auch auf die ärztliche Arbeit in der Praxis auswirkt: „Nicht selten präsentieren die online vorinformierten Patienten ihrem Arzt einen vermeintlichen Fachartikel und fordern die darin vorgeschlagene Therapie.“ Eine von ihm mit initiierte Umfrage unter österreichischen Dermatologinnen und Dermatologen hat ergeben, dass ein Drittel bis die Hälfte von ihnen bereits erlebt hat, dass PatientInnen selbst Fachartikel mitgebracht haben. „Viele befragte Ärzte wussten nicht, was predatory journals sind und konnten daher nicht angeben, wie häufig sie mit unseriösen Publikationen konfrontiert worden sind. Deshalb muss mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden.“

Aufgrund rechtlicher Schwierigkeiten mit Black Lists wie der Bibliothekar Beall eine erstellt hat – es drohen Anzeigen wegen Verleumdung und Gerichtsverfahren –, geht die Tendenz derzeit dahin, White Lists, also Nennungen seriöser Zeitschriften und Verlage, zusammenzustellen. „Aber auch die werden das Problem nicht lösen, sondern nur eingrenzen“, prophezeit Richtig.

 

Foto: Fotolia, beigestellt

AERZTE Steiermark 09/2018




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