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AERZTE Steiermark 05/2018

„Ich reise jeden Tag in ein anderes Land“

Fremde Sprachen und Kulturen faszinieren David Kaufmann seit seiner Jugend. Den Großteil seines beruflichen Alltags verbringt der Allgemeinmediziner in einer speziellen kommunikativen Welt, nämlich jener der Gebärdensprache.

„… und vor der Untersuchung bekommen Sie ein Kontrastmittel gespritzt.“ Dieser banale kleine Teil eines ärztlichen Gesprächs erfordert höchste Kreativität des Sprechenden, wenn er die Botschaft an den Patienten in Gebärdensprache formulieren muss. Denn für „Kontrastmittel“ gibt es zwar eine Gebärde, aber teilweise ist diese noch nicht im Vokabular des einzelnen Gehörlosen vorhanden. Der Terminus muss also umschrieben werden – in seiner konkreten Anwendung und seinen möglichen Folgen.

Dass David Kaufmann, Allgemeinmediziner und Leiter der Gehörlosenambulanz der Barmherzigen Brüder Graz , bei dieser Paraphrase die Kreislaufschwäche als mögliche Nebenwirkung auch gleich mimisch darstellt, während seine Handbewegungen den Vorgang skizzieren, mag den Hörenden verwundern. Für seine Patientinnen und Patienten ist diese optische Zusatzinformation jedoch ganz normaler Bestandteil der Kommunikation. „Die Mimik ist in der Gebärdensprache ein unverzichtbares linguistisches Element“, erläutert Kaufmann und seine Begeisterung für diese lautlose, aber höchst komplexe und vollwertige Sprache wirkt richtig ansteckend. Diese Komplexität beinhaltet übrigens auch regionale Besonderheiten, soziale Register und generationenspezifische Gesten. „Es gibt in der Gebärdensprache beispielsweise einen Jugend-Slang. Und unsere Kärntner Patientinnen und Patienten verwenden auch wieder eigene Ausdrücke.“

Sprachen als Lebenselixier

„Sprachen waren in Zeiten des teils trockenen Medizinstudiums schon immer mein Lebenselixier“, erzählt Kaufmann. Deshalb hat der heute 40-Jährige in seiner Berufswahl – neben dem Bubentraum des Veterinärmediziners – durchaus auch einmal ein Dolmetsch-Studium für Italienisch und Kroatisch in Erwägung gezogen. Den Ausschlag für die Medizin hat letztlich die Vielfalt der Herausforderungen von der psychosozialen Unterstützung der PatientInnen bis hin zum wissenschaftlichen Arbeiten gegeben, aber auch das Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu bewirken. Und so lernte er eben nur für sein privates Vergnügen weitere Sprachen, unter anderem noch Afrikaans, Spanisch und Niederländisch. Letzteres war die Voraussetzung für seinen Auslands-Studienaufenthalt in den Niederlanden. Am Beginn des dritten Studienabschnittes verbrachte Kaufmann dort ein Jahr in verschiedenen Krankenhaus-Abteilungen. „Die Holländer hatten ein komplett anderes, deutlich praxisorientierteres Ausbildungssystem. Da wurde die Theorie schon parallel zur Praxis erarbeitet“, erzählt Kaufmann. Sein erster Einsatzort war die Psychiatrie in Leeuwarden gewesen – und dazu musste er wirklich fließend Niederländisch sprechen. „Ich habe Niederländisch immer schon geliebt. Es fehlen mir aber natürlich die feinen Nuancen“, betont er und lässt dabei einen Hang zum Perfektionismus erahnen. Da in der Region um Leeuwarden jedoch als zweite Amtssprache auch Westfriesisch gesprochen wird, musste er auch dieses zumindest rezeptiv beherrschen. „Am Ende meines Aufenthaltes war mir das Westfriesische dann so vertraut, dass ich einmal für einen Amsterdamer Pharmavertreter gedolmetscht habe.“

Holländischer Hausarzt in Graz

Das niederländische Gesundheitssystem hat auch in seinem ärztlichen Selbstverständnis Spuren hinterlassen: „Was ich daran besonders schätze, ist die Rolle des Allgemeinmediziners, der in Holland prinzipiell der erste Ansprechpartner in gesundheitlichen Fragen ist.“ Der Gatekeeper sozusagen. „Hausärzte sind dort sehr angesehen und begleiten einen Menschen durch das gesamte Gesundheitssystem. Dabei läuft alles sehr strukturiert ab und die Hausärzte sind trotzdem nicht überrannt.“

Beim Aufbau der Grazer Gehörlosenambulanz ließ sich Kaufmann vom niederländischen System inspirieren. „Ich arbeite hier wie ein holländischer Hausarzt“, erzählt er mit einem Lächeln. Und eigentlich würde er die Ambulanz ja lieber „Gesundheitszentrum für Gehörlose“ nennen, aber als viertes österreichisches Zentrum nach Linz, Wien und Salzburg, hat das Grazer den bereits etablierten Titel der anderen einfach übernommen.

In der Gehörlosenambulanz, die vor genau zehn Jahren gegründet wurde, kooperieren Arzt, Diplomschwester, Sozialarbeiterin und Psychologin im Sinne eines biopsychosozialen Behandlungsmodells zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Für viele ist Kaufmann schon seit zehn Jahren der Hausarzt und seine Klientel reicht vom Baby bis zum Hochaltrigen. Er behandelt aber auch hörende Kinder gehörloser Eltern. Wesentlicher Bestandteil der medizinischen Versorgung durch die Gehörlosenambulanz ist auch die Gesundheitsvorsorge.

Werden Untersuchungen oder Behandlungen in anderen Abteilungen des Hauses vorgenommen, begleiten Mitarbeiter der Ambulanz die Hörbeeinträchtigten dorthin. Selbst bei stationärer Aufnahme: „Ich schleuse mich in den OP ein und bleibe, bis die Narkose wirkt. Danach erwarte ich den Patienten wieder im Aufwachraum“, erzählt Schwester Michaela. Im Falle einer Überweisung an einen externen Facharzt – oder bei rechtlich heiklen Angelegenheiten wie einem präoperativen Aufklärungsgespräch – wird jedoch ein geprüfter Gebärdensprachdolmetscher organisiert.

Von Österreich lernen

Selbstverständlich sprechen in der Gehörlosenambulanz alle, auch die Mitarbeiterinnen des Empfangs, Gebärdensprache. Denn viele Gehörlose haben Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, weil ihr Sprachverständnis nicht ausreichend entwickelt wurde; sie können nur in Gebärdensprache differenziertere Auskünfte geben. „Daher halten wir auch unsere medizinischen Fragebögen bewusst sehr einfach“, erklärt Kaufmann. Im Warteraum unterhalten sich die Patienten miteinander; da wird durchaus heftig diskutiert – wenn auch nahezu lautlos. Hier stößt man an eine Sprachbarriere, wenn man keine Gebärdensprache spricht.

Kaufmann selbst ist über eine Chorkollegin auf die Idee gekommen, Gebärdensprache zu lernen. „Sie meinte, auf dem Gebiet der ärztlichen Versorgung Gehörloser gebe es noch eine eklatante Unterversorgung. Und mich hat die Gebärdensprache einfach fasziniert.“ Kaufmann besuchte zwei Jahre lang an der Universität Kurse, dann lag sein Wissen eine Zeit lang brach. Im Turnus in Kirchdorf an der Krems wurde er in der Folge einmal zu einer Geburt hinzugezogen, um die gehörlose werdende Mutter in der Kommunikation mit den Geburtshelfern zu unterstützen. Nach dem Turnus arbeitete Kaufmann kurz als Stationsarzt auf der Inneren Medizin im LKH West, aber als er schließlich eher zufällig von der in Graz geplanten Gehörlosenambulanz erfuhr, war er begeistert von der Idee und bewarb sich sofort. „Das können nämlich die Holländer noch von den Österreichern lernen – die medizinische Grundversorgung der Gehörlosen.“ Lediglich in Frankreich gebe es flächendeckend vergleichbare Zentren – und auch die seien nach österreichischem Vorbild entstanden.

Unbewusste Gebärden

In seinem gewohnten Arbeitsumfeld der Ambulanz untermalt Kaufmann auch im Gespräch mit Hörenden so manchen Satz mit einer Gebärde, ohne sich dessen bewusst zu sein. Spricht er von Vergangenem, positioniert er die Hand so an seiner rechten Schulter, als würde er in Gebärdensprache eine Vorzeitlichkeit ausdrücken. Diese zusätzliche Kommunikationsebene bietet auch einen spannenden Input für jene Menschen, die ihn dort in seiner Funktion als Wahlarzt konsultieren, denn bis zum großen Ausbau des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in der Marschallgasse ist er darin auch mit seiner eigenen Praxis eingemietet. Als Wahlarzt kann er uneingeschränkt auf seine Kompetenzen als Psychotherapeut und Ganzheitsmediziner zurückgreifen, nutzt phytotherapeutische Ansätze und kombiniert sie mit Diagnoseformen der TCM.

Ob auf sprachlicher Ebene oder bei der Integration Chinesischer Medizin in die Westliche: Nach wie vor reizt David Kaufmann das Fremde, das Eintauchen in andere Kulturen. Ins Ausland möchte er allerdings nicht so schnell wieder gehen, ist doch seine Familie – Kaufmann ist verheiratet und Vater einer Vierjährigen und eines Achtjährigen – hier gut verwurzelt. „Aber eigentlich reise ich ohnehin jeden Tag in ein anderes Land, wenn ich zur Arbeit gehe.“

 

Foto: Maria Breitenbaumer

Symbolbild 1
 



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