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Behutsam mit Wort & Skalpell

Selman Uranüs, Leiter der chirurgischen Forschung am Uniklinikum Graz, verfügt auch über ein abgeschlossenes Dolmetsch-Studium. Er vermittelt zwischen Menschen – nicht nur über sprachliche Barrieren hinweg, sondern gibt leidenschaftlich gerne sein Wissen weiter.

Aus der ganzen Welt finden erfahrene Chirurginnen und Chirurgen den Weg nach Graz, um sich hier fortbilden zu lassen: im Rahmen der beiden Praxis-Workshops, die Selman Uranüs ins Leben gerufen hat, zur Traumachirurgie und zur Akutchirurgie . All das sei nur mit Unterstützung der Meduni und der Klinikleitung möglich gewesen, betont Uranüs bescheiden. Er leitet seit dem Jahr 1996 die Sektion für Chirurgische Forschung am Grazer Klinikum. Ohne Prunkbau – seine Forschungseinheit residiert auf der ersten Tunnelebene unter der Klinik –, aber mit erstklassiger Geräte-Ausstattung, die die Weiterentwicklung von Operationsmethoden erst ermöglicht.

Dass Uranüs ausgerechnet in Graz Karriere macht und sich Chirurgen verschiedenster Länder gerade hier weiterbilden, resultiert, so ungewöhnlich das klingen mag, letztlich aus seiner Vorliebe für Speiseeis. „Nach der Volksschule war es meinen Eltern wichtig, dass ich eine Schule mit Englisch oder Deutsch als Unterrichtssprache besuche, um auf hohem Niveau eine Fremdsprache zu erlernen“, erzählt Uranüs. Mehrere standen zur Wahl, der Zehnjährige durfte sich selbst entscheiden. „Dass meine Wahl auf das St. Georgs-Kolleg gefallen ist, lag zu einem nicht unwesentlichen Teil daran, dass sich ganz in der Nähe eine italienische Konditorei befand, die ein exzellentes Eis angeboten hat.“

Klare Perspektive

Ohne Deutsch-Vorkenntnisse absolvierte Uranüs an der österreichischen Schule in Istanbul zunächst ein intensives Jahr Deutschunterricht in lediglich vier Fächern. Dann startete das Gymnasium. Welchen Beruf er im Anschluss an die Matura ergreifen wollte, stand zu diesem Zeitpunkt längst fest. „Ich war schon als kleines Kind mit einer improvisierten Arzttasche unterwegs, um den Menschen den Puls zu fühlen, Rezepte auszustellen und medizinische Ratschläge zu erteilen.“

Auch die ärztliche Fachrichtung hatte er längst gewählt. „Zwar war auch mein Vater Chirurg, er stand meiner Berufswahl aber ganz neutral gegenüber.“ Die Maturareise führte die Klasse nach Österreich – nach Wien, Salzburg, Klagenfurt und Graz. „Graz fand ich sofort sympathisch, weil es hier viel Grün gibt, aber auch wegen der überschaubaren Größe.“ Außerdem war Wolfgang Pucher , zuvor Erzieher im Internat des St. Georgs-Kollegs, mittlerweile Pfarrer in Graz-St. Vinzenz geworden. Und so überredete Uranüs seine Eltern, ihn zumindest ein Jahr lang in Graz Medizin studieren zu lassen. In Etappen wurden Vater und Mutter immer wieder überzeugt – bis zur Facharztausbildung. Inzwischen hatte Uranüs auch seine zukünftige Frau, ebenfalls Ärztin, kennengelernt und es war klar, dass das Paar vorerst in Graz bleiben würde.

Einem Ruf, ärztlicher Leiter des Österreichischen Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern in Istanbul zu werden, folgte er nach kurzem Überlegen doch nicht. „Das wäre das Ende meiner wissenschaftlichen Karriere gewesen. Außerdem hätte meine Frau ihren Beruf nicht weiter ausüben können.“

Mittler zwischen den Welten

Als Mittler zwischen den beiden Welten und Sprachen, die Uranüs vertraut sind, ist er dennoch bis heute tätig: als Erasmus-Beauftragter der Universität Istanbul sowie als gerichtlich beeideter Dolmetsch – allerdings ausschließlich für medizinische Belange, beispielsweise zur Übersetzung komplexer Befunde. „Nach Beendigung meines Medizinstudiums wollte ich nicht so recht akzeptieren, dass mein Studentenleben nun zu Ende sein würde und habe noch ein Dolmetschstudium angeschlossen“, erzählt er. Dabei ging es mitnichten darum, unbeschwert in den Tag hineinzuleben. Uranüs hatte sein Medizinstudium in elf Semestern abgeschlossen und arbeitete neben dem Zweitstudium als Assistent auf der Pathologie. Im Vordergrund stand die Freude am Wissenserwerb und das Bedürfnis, sich noch intensiver mit Sprache zu beschäftigen. Denn Uranüs wählt auch im Alltag seine Worte mit viel Bedacht. Man könnte sagen, er setzt sie so behutsam und wohlüberlegt ein, als führe er das Skalpell. Auch bei seiner Tätigkeit als Chirurg bevorzugt er minimalinvasive Methoden und ist Vorreiter organerhaltender Operationen im Falle von Milzverletzungen.

Noch immer operiert Uranüs Banales wie Komplexes, betreibt auch eine Privatpraxis, aber einen beachtlichen Teil seiner Arbeitszeit investiert er in die chirurgische Forschung. „Meist handelt es sich um interdisziplinäre Projekte in Zusammenarbeit mit mehreren Kliniken.“ Aktuelle Projekte beschäftigen sich mit Pankreaschirurgie, der Entwicklung einer neuartigen Nervenprothese, innovativen Herzklappen und Verbesserungen in der Transplantationschirurgie.

Selbst auf dem Gebiet der Forschung möchte er keinen Erfolg für sich allein verbuchen – er sieht sich stets als Teil des Teams. Zahlreiche angehende ebenso wie erfahrene Chirurginnen und Chirurgen haben bereits in seiner Gruppe mitgearbeitet. Sie alle sind in Uranüs´ Bildergalerie gleich neben dem Experimentier-OP verewigt. Von der Erasmus-Studentin, Sandspielfreundin seiner jüngeren Tochter, bis zum chinesischen Gastprofessor.

Auf allen Kontinenten

Uranüs selbst ist auf allen fünf Kontinenten als Gastprofessor tätig – mit großer Leidenschaft: Von New York und Shanghai über Johannesburg und Newcastle in Australien bis hin zu Prag, Los Angeles, Pittsburgh und Philadelphia. Aber auch das Wahlfach „Chirurgische Operationslehre“, das er 1984 übernommen hat und das immer noch angeboten wird, unterrichtet er mit Passion. Da lernen die Studierenden am Plastikbrettchen mittels widerspenstiger Kunststoffschläuche, wie es sich anfühlt, unter Spannung chirurgische Knoten zu setzen. Uranüs lehrt sie die Theorie und Praxis der Wundbehandlung, unter anderem wie man die Haut eines Wundrandes so vorsichtig mit der Pinzette erfasst, dass man keinen zusätzlichen Schaden zufügt. Ein Blick auf seine feingliedrigen Hände lässt erahnen, wie behutsam er selbst dabei vorgeht. Obwohl es sich dabei um ein Wahlfach handelt und das aktuelle Curriculum ein ähnliches Pflichtfach beinhaltet, warten die Studierenden zwei bis drei Semester, um einen Platz in Uranüs´ Lehrveranstaltung zu bekommen.

Graz als Vorreiter

Internationale Wartelisten werden alljährlich auch für seine beiden postgradualen Workshops zur Traumachirurgie und zur Akutchirurgie geführt, obwohl die Teilnehmerzahl von anfangs 15 mittlerweile auf 40 hinaufgesetzt wurde. „Mehr geht nicht, denn die praktischen Übungen sind schließlich das Wichtigste.“ Über die Hälfte der Teilnehmenden kommt aus dem Ausland. Seit gut 20 Jahren findet diese traumachirurgische Fortbildung bereits statt, wobei damals – 1996 – Graz weltweit das erste derartige Angebot gemacht hat. Wenige spezialisierte Zentren haben inzwischen nachgezogen. Bei den Teilnehmenden handelt es sich durchwegs um ChefärztInnen und fortgeschrittene FachärztInnen. Sie trainieren – am Simulationsobjekt, an Gewebeteilen, aber auch im Tierexperiment – für Situationen, in denen wenige Sekunden über Leben und Tod entscheiden. Im beruflichen Alltag lassen sich diese Eingriffe nicht üben, da muss immer derjenige aus dem Team Hand anlegen, der die meiste Erfahrung und die größte Kompetenz hat. Uranüs hat sich zum Ziel gesetzt, zu operieren „solange ich keinem Menschen dadurch einen Schaden zufüge“. Dass mit 65, also in wenigen Jahren, Schluss sein sollte wie an der Meduni üblich, kann er sich noch nicht vorstellen. Gerade steht er kurz vor einem beruflichen Highlight: Im Herbst wird „sein“ Akutchirurgie-Workshop im Rahmen einer chirurgischen Fachtagung in Boston angeboten und soll danach in verschiedenen chirurgischen Zentren der USA übernommen werden.

Privat steckt sich der passionierte Schwimmer und Segler, der in Österreich bloß das Meer vermisst, ganz unprätentiöse Ziele: Mehr reisen möchte er später einmal, aber auch den Enkelkindern das Schwimmen beibringen. „Wie ich es schon bei meinen Töchtern getan habe.“

 

Fotos: Werner Stieber, beigestellt




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