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Lehrmeister des medizinischen Chatbots

Schon als Schüler wollte Michael Koppitz etwas erfinden und baute unbemannte Flugobjekte. Mit dem weltweit ersten von einem Arzt entwickelten Chatbot, einer sprachgesteuerten Erste-Hilfe-App, hat der Neurologie-Assistenzarzt und Absolvent der TU Graz nun ein Etappenziel erreicht.

U. Jungmeier-Scholz

„Meine Gesprächspartnerin ist auf dem Weg in die Ordination gestürzt – was soll ich tun?“, spricht Michael Koppitz in sein Smartphone. Eine freundliche Frauenstimme fragt daraufhin, zu welcher Art von Verletzung es gekommen ist und schlägt Varianten wie Prellung, Schürfwunde oder Knochenbruch vor. „Ich glaube, sie hat sich den Arm gebrochen“, gibt Koppitz an. Und schon erklärt die virtuelle Dame, wie nun vorzugehen sei, vom Alarmieren der Rettung – gleich über die App via Notruf-Button – bis hin zur fachgerechten Erstversorgung der Verletzten.

„In der App enthalten sind alle Erste-Hilfe-Diagnosen, bei denen ein Laie sinnvoll reagieren kann, und die Handlungsanweisungen entsprechen stets dem aktuellen Stand medizinischen Wissens“, betont der „Lehrmeister“ jenes Chatbots, der dieses Gespräch möglich macht. „Sie sind nach den ERC-Guidelines erstellt und zusätzlich von Kollegen validiert.“ Sollte dennoch ein Fehler gefunden werden, wäre es möglich, binnen 45 Sekunden per Laptop eine Korrektur zu programmieren, die weltweit gleich bei jedem Neustart der App berücksichtigt würde. So funktionieren auch die Updates. Vieles programmiert Koppitz selbst – denn er ist nicht nur Arzt, sondern auch Absolvent der TU Graz im Zweig Biomedizinische Technik. Und für die Entwicklung seiner App AMI (artificial medical intelligence) hat er zudem eine Programmiersprache gelernt.

Bierdosenpropeller und Bauchgefühl

Schon als kleiner Bub wollte Koppitz etwas erfinden. Seine ersten Versuche waren – gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Andreas – neuartigen Flugobjekten gewidmet: konstruiert aus penibel gefaltetem Papier, mit Bierdosenpropeller ausgestattet und angetrieben mit allem, was ein Chemiebaukasten zur Verfügung stellt. Mit diesem Erfahrungsschatz begann Koppitz 1997 an der Grazer TU sein Studium der biomedizinischen Technik. Über seine Diplomarbeit, in deren Rahmen er zusammen mit einem Kollegen die ISO-Zertifizierung des Feldbacher MR vorbereitet hat, schnupperte Koppitz Klinikluft – und war sofort begeistert. „Da habe ich gewusst, das Technische allein ist mir zu wenig, ich möchte am Bett arbeiten.“ So will er es auch nach dem Ende seiner Facharztausbildung halten: forschen, aber dabei immer im direkten Patientenkontakt bleiben.

Weil er Begonnenes prinzipiell auch beendet, schloss Koppitz sein Technik-Studium planmäßig ab. Um gleich darauf an der nächsten Universität – der Meduni – zu inskribieren. „Eine nach Bauchgefühl getroffene Entscheidung.“ Seine Eltern unterstützten sein Vorhaben; trotzdem arbeitete er neben dem Medizinstudium: im Lager einer Bäckerei ebenso wie bei der statistischen Auswertung von MR-Daten der Universitätsklinik für Psychiatrie. „Ich habe mein Technik-Studium immer als wertvoll empfunden und es hat mir auch in der Medizin viele Türen geöffnet.“ Eine davon war die zur eben erst angetretenen Assistenzarzt-Stelle für Neurologie. Drei Jahre musste Koppitz nach dem jus practicandi darauf warten, drei Jahre, die er zum Aufbau einer Wahlarzt-Ordination mit Schwerpunkt Schmerztherapie des Bewegungsapparates, aber auch zu einer Tätigkeit als Arbeitsmediziner genutzt hat. Wichtiges Alleinstellungsmerkmal bei seinem arbeitsmedizinischen Engagement: wieder einmal seine technische Ausbildung.

Alte Sehnsucht geweckt

In diese Zeit des Wartens auf den Ausbildungsplatz fiel auch die Entwicklung seiner Erste-Hilfe-App, die im August 2017 fertiggeworden ist. „Ich habe mir für eine Reise an die Nordsee die Zeitschrift Der Spiegel gekauft“, erzählt er. „Darin war ein Artikel über einen Erfinder … und beim Lesen dieses Textes wurde meine alte Sehnsucht wieder geweckt. Dann habe ich nachgedacht, in welchen Bereichen ich über das nötige Know-how für eine Erfindung verfügen würde – und so wurde die Idee zur Erste-Hilfe-App geboren.“ Wichtig dabei war es für Koppitz, zukunftsweisende Technik zu verwenden. Und so wurde er zum weltweit ersten Arzt, der einen medizinischen Chatbot entwickelt hat. Allerdings nicht ganz allein, sondern zusammen mit einem US-amerikanischen Programmierer. „Den habe ich über Google gefunden – und noch nie persönlich getroffen.“ Kommuniziert wird via E-Mail – oder via Sachertorte. Die gab es nach vollendeter Entwicklungsarbeit als Dankeschön aus Österreich.

Dass bei AMI sämtliche Informationen per Sprachein- und -ausgabe erteilt werden können, liegt nicht nur an Koppitz´ Technikaffinität, obwohl es ihn durchaus freut, dass seine App Anfragen behandeln kann, auf die SIRI (Apples Sprachassistent), Alexa (die Sprachassistentin von amazon) oder der Google Assistant keine Antwort wissen. Aber es hat auch einen ganz pragmatischen Grund: Zum Helfen benötigt man beide Hände. Doch die App, die auch offline funktioniert, ist nicht nur für Akutsituationen gedacht, sondern vor allem für das Üben und Wiederholen des im Erste- Hilfe-Kurs gelernten Wissens. Um ihr auch eine spielerische Dimension zu geben, wurde sie mit einer Quiz-Funktion ausgestattet. „Sie wollen also ein Rätsel lösen“, tönt es aus dem Smartphone und die nette Dame zählt gleich die Leitsymptome eines Herzinfarkts auf. Der User muss die Diagnose erraten. Beim Programmieren war es Koppitz immer wichtig, den Nutzern klarzumachen, dass die Hilfe der App nur als Überbrückung der Zeit dient, bis professionelle Hilfe eintrifft. Daher erwähnt der Chatbot auch sofort, dass nun die Rettung zu verständigen sei. „Selbst wenn sich die künstliche Intelligenz rasant weiterentwickelt – einen Arzt wird sie nie ersetzen können“, ist Koppitz überzeugt.

Koppitz heilt Kinderkrankheiten

„Lieblingsstichwort der bisherigen Nutzer ist der Schlangenbiss“, verrät Koppitz. Ungeachtet seines seltenen Auftretens. Koppitz beobachtet das Nutzerverhalten („Schon mehr als 11.000 Kommunikationen“) und heilt sozusagen die Kinderkrankheiten seines Chatbots, indem er alle – anonymisiert – aufgezeichneten, nicht verstandenen Nutzereingaben sichtet. Handelt es sich um eine seriöse Anfrage, darf der Chatbot diese auch kontrolliert lernen. Dass die App auf Anhieb den Review der Qualitätskontrolle von Apple bestanden hat, war für Koppitz sehr motivierend. Das Produkt ist für Apple und Android unter dem Namen „Erste Hilfe – dein sprechender Assistent“ um 4,99 Euro erhältlich. Dazu kann im Abo die Erweiterung zum Thema Kindernotfälle erworben werden. Zu den Großkunden zählt die Energie Steiermark, die die App auf allen Diensthandys installiert hat; mit anderen namhaften Institutionen verhandelt Koppitz gerade.

Zielgruppe sind Einzelpersonen, Unternehmen und Versicherungen. „Immerhin hilft jede geglückte Erstversorgung dabei, enorme Folgekosten einzusparen.“ Apropos sparen: Nach einer nicht wie gewünscht verlaufenen Crowdfunding-Kampagne hat Koppitz die Entwicklung der App aus eigener Tasche vorfinanziert. „Ich bin begeisterter Arzt und auch Erfinder, aber das Marketing liegt mir gar nicht, das werde ich demnächst delegieren“, merkt er selbstkritisch an. Die App – ein teures Hobby, das ihm aber große Befriedigung verschafft. Wenn ihm neben der ärztlichen Tätigkeit – und den ersten Vorbereitungen für ein neues, noch ganz geheimes Nachfolge-Projekt – freie Zeit bleibt, kann er die Arbeit gut hinter sich lassen, spielt gerne Klavier, besteigt Berge oder begibt sich auf Reisen. Bekanntlich kommen ihm ja auf Reisen die kreativsten Ideen …

 

Foto: Furgler, beigestellt

Symbolbild 1
 



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