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Im Gleichgewicht zwischen Strahlen und Malen

Radioonkologe Manfred Öttl malt seit seiner Schulzeit. Während seiner Berufsjahre fand er an der Staffelei den
nötigen Ausgleich und Abstand zu den vielfachen Begegnungen mit Leiden und Tod.

U. Jungmeier-Scholz

Gemalt hat Manfred Öttl schon als Schulbub. Ähnlich tief wurzelt sein Wunsch, Arzt zu werden: „Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt an Krebs. Daher war es für mich bereits im Volksschulalter klar, dass ich Arzt werden und heilen können möchte.“ Dazu brauchte der Südtiroler Hotelierssohn aus Meran die Matura. Und so verließ er, unterstützt von seinem Vater, mit 14 Südtirol, um in Innsbruck ins Internat zu gehen. Inspiriert durch die 68er-Bewegung entdeckte er ein paar Jahre später seine Neigung zum bildungspolitischen Aktionismus – und musste letztendlich als Externist in Salzburg die Reifeprüfung ablegen. Damit war seine Reise durch Österreich jedoch noch nicht zu Ende, denn sein Medizinstudium absolvierte er in Graz. „Ein Südtiroler Freund von mir wollte dort studieren und ich habe mich ihm angeschlossen.“ Graz sollte es dann bleiben – auch wenn er heute noch manchmal von einem Leben als Arzt in Afrika träumt.


Fach durch Zufall gefunden

In Graz inskribierte er an der medizinischen Fakultät – um dann die ersten drei Jahre seiner Studienzeit mehr mit Fotografieren zu verbringen als mit seinen Lehrbüchern. Das Malen trat zugunsten der Fotografie in den Hintergrund. Zwischendurch verdiente er sich ein Zubrot als Gehilfe eines bekannten Grazer Zahnarztes, dessen Arbeitszeiten optimal zu den Anforderungen des Studiums passten. Der Wunsch, Frauen zu helfen, die wie seine Mutter an Eierstockkrebs erkrankt waren, war jedoch letztlich stark genug, um Öttl zum Weiter- und Fertigstudieren zu motivieren.
Nach dem Turnus interessierte er sich für eine Facharztausbildung an der Frauenklinik. Doch in Zeiten der „Ärzteschwemme“ hätte er mindestens ein Jahr auf den Ausbildungsplatz warten müssen. Wieder folgte er einem Freund und Turnus-Kollegen, der sich unter anderem auf der Uniklinik für Radioonkologie und Strahlentherapie bewerben wollte. Schließlich war es Öttl und nicht der Kollege, der dort aufgenommen wurde. „Die Wahl meines Faches ist also ein Produkt des Zufalls, aber ich habe sie nie bereut.“ Helfer für Menschen, die wie seine Mutter an Krebs erkrankt waren, ist er letztlich doch geworden, wenn auch nicht über das Fach der Gynäkologie. 35 Jahre war er strahlentherapeutisch tätig – Jahre, in denen die technischen Entwicklungen enorm waren –, bevor er sich 2014 in den Ruhestand begab.


Das Bad war besetzt

Wer nun glaubt, Öttl hätte nach seinen schulischen Anfängen erst in der Pension wieder zu malen begonnen, der irrt. „Obwohl ich jetzt naturgemäß mehr Zeit habe, verbringe ich nicht mehr davon beim Malen als früher.“ Von der Fotografie zur Malerei zurückgekehrt ist er nämlich schon Jahrzehnte zuvor – aus einem zutiefst praktischen Grund: „Als die erste meiner beiden Töchter auf die Welt kam, konnte ich nicht mehr ungestört im Badezimmer meine Filme entwickeln.“ Also stellte sich Öttl wieder an die Staffelei, wo er Ausgleich und Abstand zum emotional fordernden Job fand.
Tausende Patientinnen und Patienten hat er in seiner Zeit als Strahlentherapeut betreut; viele davon in seinem Spezialgebiet, den HNO-Tumoren. Viele dieser Menschen befanden sich im Endstadium ihrer Krebserkrankung. Ein paar Tennisarme, Arthrosen und Narbenkeloide hat er auch behandelt, aber bei den meisten Patientinnen und Patienten konnte er nur in der noch verbleibenden Lebenszeit Beschwerden lindern und für ein Sterben in größtmöglicher Würde sorgen. Dabei muss man sich als Arzt in Demut üben. „Ich habe gelernt, mich mit kleinen Erfolgen zufrieden zu geben. Wenn ein Mensch in den letzten drei Monaten seines Lebens wieder gehen kann, obwohl er davor bereits im Rollstuhl gesessen ist, wenn eine Patientin mit Gehirnmetastasen wieder sprechen kann oder die Strahlentherapie auch nur bewirkt, dass jemand seine Grundbedürfnisse länger selbständig befriedigen kann, dann sind das Erfolge.“ Großer Heiler kann in diesem Fachbereich niemand sein. Der Tod ist allgegenwärtig – und so findet er vereinzelt auch Eingang in Öttls Malerei.


Fehler entspannt sehen

Auf einem Bild trägt ein Mann ein Skelett huckepack. Der Mensch schlurft gebeugt dahin, das Skelett mit umgedrehter knallroter Baseballmütze auf dem Totenschädel wirkt geradezu gespenstisch fröhlich. „Manchmal muss ich mich auch über den Tod lustig machen“, erklärt Öttl.
Schwarz-weiß-rot ist eine häufige Kombination auf seinen Bildern, wobei meist nur wenige Details in Rot gehalten sind. Manchmal ersetzt auch Kobaltblau das typische Kirschrot. Der Tod als Motiv hingegen ist nicht wirklich typisch für seine Werke. Schließlich hat sich Öttl während seiner aktiven Berufszeit an die Staffelei gestellt, um einen Gegenpol zu seiner ärztlichen Tätigkeit zu finden. Eine Verbindung zwischen den beiden Tätigkeiten sieht er jedoch: die Anatomie. Seine medizinischen Kenntnisse helfen ihm dabei, beim Malen die richtigen Proportionen abzubilden. Öttl malt im Wesentlichen für sich selbst und seine Psychohygiene. Zwei Ausstellungen bei „Kunst und Handel“ hat er zwar gemacht, aber der Verkauf seiner Bilder stand nie im Vordergrund. Ein paar hat er verschenkt; viele hängen in seinem Haus. Vor einem halben Jahr hat er eine Website eingerichtet, auf der die acht bisher aufgelegten Kataloge zu sehen sind.
Nicht immer ist er mit dem Ergebnis seiner Malerei gleich zufrieden. Aber sein Zugang zu malerischen Fehlleistungen klingt sehr entspannt: „Häufig male ich Gesichter. Manchmal will mir die Augenpartie nicht gelingen – dann male ich einfach eine Brille darüber.“


Markenzeichen kleiner Rabe

Öttls Gesichter in Acryl haben ungewöhnliche Vorbilder: Bei den Frauenportraits orientiert er sich gerne an Parfumwerbung. „Da sind die Gesichter so wunderbar scharf fotografiert.“ Die unzähligen Tiergesichter malt er nach eigenen Fotografien. Tiger, Zebras und Affen blicken in seinem Haus von den Wänden; dafür Modell gestanden sind jene Tiere, denen Öttl auf seinen Fernreisen begegnet ist. Vor allem die Affen haben es ihm angetan. Öttls Affenbilder lassen Emotionen erahnen, die durchaus menschlich wirken.
Bis vor kurzem war er noch mit Zelt auf Reisen: Von Mali über Burkina Faso bis Südafrika. Auch wenn er mittlerweile bequemer logiert, lockt ihn weiter das Abenteuer. Für den Sommer 2016 plant er eine Reise nach Ruanda und Uganda zu den vom Aussterben bedrohten Berggorillas. Auch die Erinnerung an sie wird wohl mittels Acrylfarben auf Leinwand festgehalten werden. Begonnen hat Öttl zwar mit Aquarellen, auch mit Tusche-Feder gezeichnet, aber letztendlich ist er bei der Acrylmalerei gelandet. Seit vielen Jahren signiert er seine Bilder mit einem kleinen Raben. „Ich bin ein großer Fan von Paul Flora, der auch oft Raben gemalt hat“, erklärt Öttl. Direkt neben seiner Staffelei sitzt ein ausgestopftes Exemplar und beugt sich hinüber, als wolle er die Qualität von Öttls Arbeit überprüfen.
Auch seine Ahnen schauen ihm quasi über die Schulter: Sowohl sein Vater als auch sein Großonkel haben gemalt, die Bilder über Öttls Esstisch legen Zeugnis davon ab. Auch das Fotografieren liegt in der Familie. Keiner von ihnen hat die Kunst hauptberuflich ausgeübt, alle waren Autodidakten, wie Öttl selbst.
Obwohl er die Malerei als Gegenpol zur emotionalen Belastung seines Berufes gebraucht hat, fehlt Manfred Öttl nun die Arbeit auf der Klinik. „Ich vermisse die Patienten.“

„Ich bin ein großer Fan von Paul Flora, der auch oft Raben gemalt hat.“
Manfred Öttl


Foto: Harry Schiffer




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