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Den Weg in die Praxis ebnen

Mit Anfang 2016 sind ärztliche Ordinationen nach Möglichkeit barrierefrei zu gestalten. Damit ist allerdings nicht nur Schwellenlosigkeit gemeint, sondern etwa auch die Erreichbarkeit und Nutzbarkeit der Praxis für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen. Um bestmögliche Lösungen zu finden, sollten barrierefreie Umbauten mit Fachleuten gemeinsam geplant werden.

Im Jahr 2005 legte das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz (BGStG) fest, dass alle für die Öffentlichkeit bestimmten Güter und Dienstleistungen auch für Menschen mit Behinderung nutzbar gemacht werden sollen, sonst liege Diskriminierung vor. Während Ordinationsneubauten bereits seit 2006 barrierefrei gestaltet sein müssen, impliziert die Bestimmung für bestehende Praxen, dass Menschen mit Behinderung, die sich durch mangelnde Barrierefreiheit diskriminiert sehen, sich ab Jänner 2016 für ein Schlichtungsverfahren ans Bundessozialamt wenden können. Ausnahme: Wenn die Beseitigung von Barrieren rechtswidrig wäre, wenn das Gebäude, in dem sich z.B. eine Arztpraxis befindet unter Denkmalschutz steht, oder auch wenn die Beseitigung der Barrieren einen unverhältnismäßig großen Aufwand bedingen würde. Nutznießer von barrierefreiem Zugang sind aber nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Eltern von Kleinkindern oder Patientinnen und Patienten, die vorübergehend – beispielsweise nach einer Knie- oder Augen-OP – in ihrer Mobilität oder Sinneswahrnehmung eingeschränkt sind.

Erster Gedanke: Lift
Die erste Assoziation, die der Begriff Barrierefreiheit weckt, ist wohl das Umgehen von Stufen durch Liftanlagen und Rampen. Diese Maßnahme verursacht oft die höchsten Kosten und wirft die brennendsten bautechnischen Fragen auf. „Hier ist Kreativität gefragt“, betont Robert Jansche, Leiter des Bereiches Bautechnik und Gestaltung beim Land Steiermark. „Manchmal lässt sich ein Hintereingang stufenlos umbauen, ein Lift im Treppenauge installieren oder ein Treppenplattformlift, ähnlich einem Schrägaufzug, errichten. Um gute Lösungen zu finden, muss man sich die Gegebenheiten vor Ort anschauen.“

Erreichen Menschen im Rollstuhl – und das sind bundesweit immerhin 50.000 –, mit Rollatoren oder Kinderwagen einmal die Ordination, erfordert ihre spezielle Situation auch erweiterte Türbreiten, Raum zum Rangieren des Kinderwagens oder Rollstuhls sowie entsprechende Abstellplätze. An der Rezeption sorgt ein abgesenkter, unterfahrbarer Bereich für problemlose Kommunikation mit kleinen Menschen oder Rollstuhlfahrenden. Ein Freiraum für Rollstühle im Warteraum signalisiert: Hier ist Platz für mich.

Nächster neuralgischer Punkt: Das WC. Damit es RollstuhlfahrerInnen benutzen können, braucht es nicht nur einen erhöhten Sitz und ein unterfahrbares Waschbecken, sondern auch Mindestmaße von 165 mal 215 cm. „Platz für ein Behinderten-WC kann auch dadurch geschaffen werden, dass WC und Waschraum zusammengelegt werden“, schlägt Jansche vor.

Fachrichtung bedingt Ausstattung
Rollstuhltauglichkeit allein macht eine Ordination allerdings noch nicht barrierefrei. Dazu gehören auch Erleichterungen für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigung. Die Mehrzahl dieser Anpassungen ist sogar relativ einfach und kostengünstig umzusetzen: beginnend mit der kontrastreichen Beschilderung in großer Schrift, über den ausreichenden farblichen Unterschied zwischen Boden und Wand, bis zur Kenntlichmachung von Glaswänden. Die erforderlichen Kontrastpunkte an hellen Wänden wurden vermutlich schon intuitiv installiert – durch das Aufhängen von Bildern. Derartige Maßnahmen sind kein Minderheitenprogramm: Immerhin leben in Österreich 300.000 Menschen mit einer Sehbehinderung.

„Auf welche Weise die Barrierefreiheit umzusetzen ist, hängt natürlich auch von der Art der Ordination ab“, erklärt der Experte des Landes Steiermark: „In einer augenärztlichen Praxis wird ein Leitsystem für stark Sehbehinderte erforderlich sein.“ Bei den meisten anderen Arztpraxen reicht es, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter aktiv Hilfe anbietet und die betroffene Person auf Wunsch durch die Räumlichkeiten begleitet.

Hörbehinderte können im Warteraum abgeholt statt aufgerufen werden. Nur bei hohem Aufkommen an vermindert hörfähigen Patientinnen und Patienten empfiehlt es sich, eine induktive Höranlage zu installieren. Nicht alles muss technisch gelöst werden, um dem Gesetz Genüge zu tun: oft finden sich auch menschliche Lösungen.

Selbst Kleinigkeiten helfen
Kleinigkeiten, wie Garderobenhaken in verschiedenen Höhen, ein Ständer zur Aufbewahrung von Krücken, ausreichend hohe Sessel mit Armlehnen oder Lampen, die auch Menschen in Sitzposition nicht blenden, sowie die Entfernung hinderlicher Kleinmöbel heben den Komfort einer Ordination. Hier Verbesserungen vorzunehmen zeigt, sich um die individuellen Bedürfnisse der Menschen zu kümmern. Auch Handläufe auf dem Weg in die Praxis – am besten jeweils für Erwachsene und Kinder – wirken einladend. Weit gefasst beginnt Barrierefreiheit sogar schon auf der Homepage – und das nicht nur durch die Verstellbarkeit der Schriftgröße. Hinweise auf die bestmögliche Erreichbarkeit der Ordination – etwa mit Öffentlichen Verkehrsmitteln –, Angaben zum Behindertenparkplatz oder die Information, dass Sehbehinderte auf Wunsch vom Haustor in die Praxis begleitet werden, können sich dort finden. Über die Homepage kann auch kommuniziert werden, welche Barrieren – Stufen oder zu enge WC-Anlagen – nicht beseitigt werden konnten. Denn manche Ordination lässt sich auch beim besten Willen nicht barrierefrei gestalten.

Wenn Hürden bleiben …
Mit Neujahr 2016 sollen also sämtliche österreichischen Arztpraxen barrierefrei erreichbar und ausgestattet sein. Und es steht jedem Menschen mit Behinderung dann frei, eine Schadenersatzklage wegen Diskriminierung einzubringen. Bevor ein solcher Fall jedoch vor Gericht gehen wird, hat der Gesetzgeber ein verpflichtendes Schlichtungsverfahren bei den Landesstellen des Sozialministeriumservice eingeführt. Dass Menschen mit Behinderung von ihrem Recht durchaus Gebrauch machen, zeigen Erfahrungen aus anderen Bereichen: Gegen Echtzeitinformationen über Öffentliche Verkehrsmittel ohne Angabe zur nächsten barrierefreien Reisemöglichkeit wurde bereits Einspruch erhoben.

Was tun, wenn sich die Praxis im dritten Stock eines Gründerzeithauses befindet, das Treppenhaus zu eng ist und ein Außenlift wegen Denkmalschutz nicht erlaubt ist? „Ausnahmen sieht das Gesetz dann vor, wenn die Beseitigung der Barriere rechtswidrig oder mit unverhältnismäßig hoher Belastung verbunden wäre“, erläutert Barbara Sima-Ruml vom Fachteam für Barrierefreiheit des Landes Steiermark. „Was genau unter unverhältnismäßig verstanden wird, kann allerdings erst die Rechtspraxis ab 2016 zeigen.“ Zuvor sollte jedoch alles unternommen werden, um kreative Lösungen zu finden. Das bedeutet konkret, zu allen Umbauten, Sanierungen oder Verbesserungen in der Ordination ArchitektInnen hinzuziehen, die sich auf Barrierefreiheit spezialisiert haben. Nicht nur, um Rechtssicherheit zu gewinnen, sondern vor allem, um den PatientInnen den Weg in die Praxis zu ebnen.
„Nutznießer sind nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Eltern von Kleinkindern oder PatientInnen, die vorübergehend in ihrer Mobilität oder Sinneswahrnehmung eingeschränkt sind.“

Beratung:
Fachbereich Bautechnik und Gestaltung, Land Steiermark: Tel. 0316/877-2545
Stadt Graz: Referat Barrierefreies Bauen, DI Constanze Koch-Schmuckerschlag: Tel. 0316/872 DW 3508




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