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„Sterbekultur ohne Tötung“

Der Grazer Moraltheologe Walter Schaupp ist auch promovierter Mediziner. Er warnt vor einer sozialen Normalisierung der Tötung auf Verlangen und befürchtet eine geheime Komplizenschaft zwischen Gesundheitsökonomie und den Befürwortern des humanen Sterbens.

Wurden Sie schon von Ärzten um Rat gefragt, weil sie von Patienten um Unterstützung bei einem Suizid gebeten wurden?
Schaupp: Ja, zwei, drei Mal.

Und was haben Sie geraten?
Schaupp: Das war ein Gespräch im Sinne einer gemeinsamen Reflexion. Ich habe meine Meinung dazu gesagt. Ärzte haben das Bedürfnis, mit jemandem Fragen des Lebensendes zu besprechen, der in der Ethik beheimatet ist.

Was waren die Themen?
Schaupp: Als Moraltheologe und Ethiker ist man geübter, Prinzipien und Kriterien präsent zu haben. Dadurch wird das Gespräch systematischer und analytischer. Das trägt zur Klärung bei. Als Moraltheologe mit christlichem Hintergrund kann man auch die Spannbreite der möglichen Entscheidungen darstellen. Was ist verträglich, was ist vertretbar? Nicht alles lässt sich einfach mit ja oder nein beantworten, vieles ist fallbezogen.

Der Druck aus der Bevölkerung, aus der Politik steigt bei diesem Thema. Diejenigen, die Tötung auf Verlangen ablehnen, halten stand, aber sie scheinen in der Defensive zu sein. Warum hat die Diskussion diese Dynamik?
Schaupp: Die internationale Entwicklung stellt einen großen Druck dar. Das Faktum der Legalisierung in den Niederlanden und in Belgien, die Zulassung des assistierten Suizids in der Schweiz, die Freigabe in einigen US-Bundesstaaten sowie die Diskussion in Deutschland haben dazu geführt, dass man das Thema aufgreifen möchte. Es ist das Image einer modernen, liberalen und innovativen Entwicklung entstanden. Die Diskussion in der Bioethikkommission hat sich daran und an Einzelfällen hierzulande festgemacht, wo Österreicher in die Schweiz ausgewichen sind. Daraus ist eine Dynamik entstanden. Bei einer Tagung in Graz hat ein belgischer Soziologe auch auf die über die Medien transportierten Vorbildgestalten hingewiesen, bekannte Persönlichkeiten, die sich zu einem assistierten Suizid entschließen, die auch etwas heroenhaft dargestellt werden.

Es gab ein Mehrheitsvotum in der Bioethikkommission für eine gesetzliche Entkriminalisierung. Andere, darunter Sie, haben sich dagegen ausgesprochen. Ist die Entkriminalisierung tatsächlich der erste Schritt zu einer holländischen Situation?
Schaupp: Es gab mehrere Gründe für unser abweichendes Votum. Ein Grund ist, dass die Grenzziehung sehr schwierig wird, wenn es zu einer Öffnung kommt. Das erschien uns als sehr gravierendes Problem. Wenn man Ausnahmen ins Gesetz hineinschreibt, ist es schwierig, sie nur auf Härtefälle zu begrenzen.

Ein zweiter Punkt, der uns motiviert hat, war, dass die konkrete Umsetzung wenig diskutiert wurde. Es wurde nur gesagt, dass die Tötung zugelassen werden soll, nicht aber, wer es wie überprüft. Damit Härtefälle nicht strafrechtlich verfolgt werden, würde es genügen, die Richtlinien für die Staatsanwaltschaften so zu ändern, dass bestimmte Fälle nicht weiterverfolgt werden. Das könnte viel Druck herausnehmen.

Die Erlaubnis zur Tötung durch den Arzt hat die Zahlen in den Niederlanden in die Höhe schnellen lassen. Deutet das auf ein gesellschaftliches Bedürfnis hin? Wir unterstellen ja nicht, dass die Ärztinnen und Ärzte in den Niederlanden es betreiben – sie sind mit diesem Wunsch konfrontiert.
Schaupp: Die Zahlen sind in den Niederlanden weniger stark, in Belgien steigen sie noch dramatisch. Die Zustimmung steigt in Belgien auch sehr stark, in den Niederlanden dagegen ist sie konstant. Hier ist eine gewisse Sättigung erreicht. Es gibt dafür den Begriff der „sozialen Normalisierung“. Es ist ein Zirkel aus sozialer Entwicklung und Akzeptanz in der Bevölkerung. Es wird zunehmend als reguläres Institut akzeptiert und immer weniger hinterfragt. Über die Bedürfnisse hinaus entsteht eine Kultur des Sterbens.

Dabei geht es nicht nur um unbeherrschbare Schmerzen, sondern sehr oft auch um mangelnden Lebenswillen, schwere Depressionen, ungelöste Probleme.

Umfragen zeigen, dass es nicht nur die Angst vor Schmerzen gibt, sondern vermehrt auch vor Kontrollverlust. Allerdings: Palliativmediziner erleben immer wieder, dass Menschen, die sagen, die Tötung wäre für sie die richtige Möglichkeit, in der konkreten Situation dann sehr wohl leben wollen.

Es besteht die Hoffnung, dass der Wunsch, getötet zu werden, durch bessere palliativmedizinische Angebote eingedämmt werden kann. Ist das realistisch?
Schaupp: Vollständig wird das nicht möglich sein. Natürlich ist der Ausbau palliativmedizinischer Angebote dringend nötig und wird auch Druck aus der Debatte nehmen. Aber die Debatte speist sich nicht nur aus den unbehandelbaren Schmerzen. Ein Beispiel ist die Demenz. Das hat nichts mit unbehandelbaren Schmerzen zu tun, sondern mit Persönlichkeitsveränderung.

Das scheint eine tiefgehende Diskussion der Frage erforderlich zu machen, welches Leben lebenswert ist. Utilitaristische Ethiker neigen dazu, dass ein Leben mit Demenz weder den Betroffenen, noch den Angehörigen etwas bringt, und dass es der Gesellschaft Kosten verursacht. Sie übersehen dabei, dass die Pflege eines Menschen, den man liebt, auch sehr erfüllend sein kann. Es geht auch um den Beziehungsaspekt von Würde. Das müsste man stärker sehen. Es wird auch Erfahrungsberichte brauchen, dass die Pflege etwas Befriedigendes sein kann, dass die Ängste nicht der Realität entsprechen.

Ein Argument gegen die Freigabe der Tötung auf Verlangen, ist die Sorge, dass, so wie im Nationalsozialismus, das System entscheidet, welches Leben unwert ist. Das Argument scheint aber in der breiten, gesellschaftspolitischen Diskussion keine große Rolle zu spielen.
Schaupp: Faktisch besteht ein Unterschied zwischen den Niederlanden bzw. Belgien und Deutschland. In Deutschland ist die Grundhaltung viel vorsichtiger, das bringen die meisten mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Verbindung. Die Holländer sagen sehr lautstark, das sei ein deutsches Problem. Damit sei nicht gesagt, dass jede Gesellschaft diesen Weg gehen muss und beanspruchen für sich, dass sie einen liberalen Grundkonsens besitzen, der sie vor dem Abgleiten schützt.
Das ist aber natürlich ein Dammbruch-Argument, dass mit einem kleinen Schritt eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, die sich nicht mehr stoppen lässt. Die Überprüfung dieser Argumente ist sehr schwierig, es ist eine Extrapolation für die Zukunft. Aber während in Belgien die Zahlen weiter steigen, tun sie das in den Niederlanden eben nicht mehr. In der Schweiz hat der erlaubte assistierte Suizid nicht zum Wunsch nach aktiver Tötung auf Verlangen geführt. Man kann also nicht so einfach vorhersagen, wie eine Gesellschaft längerfristig mit dieser Frage umgeht. Auch in den USA ist die Situation eher stabil. Größere Ängste müsste vielleicht die ökonomische Dimension im Hintergrund hervorrufen. Wenn man sich vor Augen führt, wie viel Menschen am Lebensende dem Gesundheitssystem kosten, ist erstaunlich, dass nicht schon mehr darüber diskutiert wird.
Im Hintergrund wird mit Sicherheit schon gerechnet, ob man das nicht auch billiger haben könnte. Manche sagen, es gibt eine geheime Komplizenschaft zwischen Gesundheitsökonomie und der gesellschaftlichen Bewegung für humanes Sterben. Sicher steht die Ökonomie nicht hinter dem Wunsch nach Tötung auf Verlangen. Aber ob es nicht dennoch eine Koalition gibt, ob nicht die Politik ein geheimes Interesse an einer Liberalisierung hätte, ist zu fragen. In Österreich sehe ich aber keine Anzeichen dafür. In der angloamerikanischen utilitaristischen Ethik gibt es aber sehr klare Vorstöße in diese Richtung, hier fehlt die Scheu, das zu thematisieren.

Ältere Menschen, die psychisch vulnerabel sind, stellen sich sehr schnell die Frage, ob sie es ihren Angehörigen und der Gesellschaft zumuten können, sie zu pflegen, vor allem wenn zusätzlich gesellschaftlicher Druck aufgebaut wird. Andererseits ist der assistierte Suizid eher eine Sache der intellektuell Gebildeten, also jener, die auf ein selbstbestimmtes Leben pochen.

Kürzlich wurden erste Daten einer Studie der Medizinischen Universität Graz veröffentlicht, die das zu bestätigen scheinen.
Schaupp: Die Studie von Professor Stronegger zeigt zwar eine erschreckend hohe Zustimmung. Er hat aber dargestellt, dass sie in Wirklichkeit stabil ist, sie hat sich in den letzten fünf, sechs Jahren nicht verändert. Wenn man genauer fragt, stellt man auch fest, dass diese hohe Zustimmung auch nur für nicht beherrschbare Schmerzen am unmittelbaren Lebensende gilt.

Für andere Situationen, wie psychische Erkrankungen, sinkt die Zustimmung dramatisch ab. Die Mehrheit denkt nur an die nicht behandelbaren, unerträglichen Schmerzzustände. Hier kann aber die Palliativmedizin heute plausibel sagen, dass sie es in den Griff bekommt. Über 90 Prozent der Schmerzen lassen sich bekämpfen, für fünf bis sechs Prozent, die sich nicht bekämpfen lassen, gibt es die palliative Sedierung. Man kann mit der Schmerzbekämpfung, der Sedierung und der Nichtbehandlung die Sache befriedigend lösen.

Die assistierte Tötung hat für Angehörige auch etwas Traumatisierendes. Auch für Ärzte ist die Tötung auf Verlangen belastend. In den Niederlanden hat man jetzt ein mobiles Euthanasie-Team gebildet – aus Ärzten, die nichts anderes tun, als herumzufahren und zu töten. Diese Symbolik lässt sich nicht beliebig umkodieren. Es gibt in den Niederlanden jetzt auch eine Sterbeklinik, weil viele Krankenhäuser und Ärzte nicht so einfach mitmachen.

In meinen Augen ist eine Sterbekultur ohne Tötungshandlung, ohne Gewalt, langfristig gesehen sicher humaner.

 

Das Gespräch führte Martin Novak.

 


Fotocredit: Schiffer

Symbolbild 1
 



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