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AERZTE Steiermark 04/2023

 

„Holt´s den Pfarrer!“

Erst im zweiten Anlauf wagte sich Horst Pilgram an ein Medizinstudium. Das zuvor absolvierte Theologiestudium prägte ihn als Mensch und führte ihn auf verschlungenen Wegen zur Palliativmedizin. Im AERZTE Steiermark-Interview sprach er aber auch über Bügeln und Tattoos.

Ursula Scholz

„Habe nun, ach! Philosophie, / Juristerei und Medizin, / und leider auch Theologie /durchaus studiert, / mit heißem Bemühn.“ Wohl nur auf wenige Menschen trifft der Monolog von Goethes Faust, jene Verse vor dem berühmten Zitat „Da steh‘ ich nun, ich armer Tor, / und bin so klug als wie zuvor!“, so zu wie auf Horst Pilgram. Nach einem nahezu abgeschlossenen ersten Studienabschnitt in Rechtswissenschaften wechselte er zur katholischen Theologie. Erst nach Beendigung dieses Studiums fühlte er sich, bestärkt durch seine Frau, reif für die eigentlich stets angestrebte Ausbildung zum Arzt. Finanziert hat er das Zweitstudium über weite Strecken durch einen Halbtagsjob in einem Verlag und später an der Grazer Universitätsbibliothek.

„Meine Eltern haben mir Humor und Lebensfreude mitgegeben. Katholisch wurde ich in meiner Herkunftsfamilie aber eher nur peripher besprengt“, erzählt Horst Pilgram, mittlerweile Primar der Abteilung Medizinische Geriatrie und Hospiz in den Geriatrischen Gesundheitszentren Graz. Ein Theologiestudium lag daher nicht unbedingt auf der Hand.

Als Student gelangte er über Freunde zur Theologie. „Erst in dieser Lebensphase hat sich mein Glaube zu einer lebendigen Beziehung zu Gott entwickelt. Seitdem fühle ich mich getragen und es kann mich nicht wirklich etwas erschüttern.“

 

Die großen Fragen

Konkrete Berufsvorstellungen gingen mit Pilgrams Theologiestudium, das er in Graz und Salzburg absolvierte, nicht einher. „Ich wollte weder Priester noch Religionslehrer werden. Ich selbst habe im Religionsunterricht immer Hausübungen gemacht und damit meinen Religionslehrer verärgert. Dieses Studium war purer Luxus, sozusagen das um seiner selbst gesuchte Wissen im Humboldt´schen Sinn.“ Und doch prägt es heute seine berufliche Herangehensweise als Arzt: „Von den Themen damals zehre ich immer noch im klinischen Alltag. Schließlich finden wir uns in der Medizin wie in der Theologie auf die großen W-Fragen zurückgeworfen: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Warum gibt es Leid? Warum trifft es mich?“

Dass Pilgram heute nach diversen ärztlichen Stationen, nach dem Turnus in Villach, einer Geriatrieausbildung in Salzburg, Notarzttätigkeit in Kärnten und der Facharztausbildung zum Internisten am Grazer Universitätsklinikum, mit Palliativmedizin befasst ist, verdankt er in nicht unwesentlichem Maße den Zuschreibungen seiner Kolleg:innen, die um sein Theologiestudium wussten. „Als bereits älterer Turnusarzt und Theologe wurde ich oft gerufen, wenn Angehörige über einen Tod informiert werden mussten, aber auch, wenn ein Kind gleich nach der Geburt gestorben ist. Diese Gespräche wollte niemand führen. Es hieß dann auch oft ,Holt´s den Pfarrer!´, womit ich gemeint war.“

 

„Wie in einer WG“

Während das ärztliche Umfeld ihm aufgrund der religiösen Einstellung ein besonderes Gespür für palliative Situationen zutraute, glaubt Horst Pilgram selbst, dass eher der Umstand, spätes Kind alter Eltern gewesen zu sein, ihm den Zugang zur älteren Generation erleichtert habe.

Schon während seiner Facharztausbildung, in der er der Onkologie zugeteilt war, baute er das Mobile Palliativteam Graz und Graz-Umgebung mit auf und lernte so den extramuralen und den intramuralen Versorgungsbereich mit den jeweiligen Herausforderungen kennen.

Besonders schätzt er die Begleitung von Menschen am Lebensende: weil hier viele Fassaden zusammenbrechen, sich die Menschen mit der Fragilität ihres Daseins konfrontieren und sich ihrer Endlichkeit viel bewusster sind. „Die Zeit mit den Mitbürgern im Hospiz erscheint mir wie das Leben in einer Wohngemeinschaft in einer ganz besonderen Zeit.“ Viele organisatorische Probleme im Krankenhausalltag verblassen da im Vergleich. Trotz jahrelanger Begleitung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase betont Pilgram jedoch: „Was das Sterben betrifft, bin ich reiner Theoretiker.“

Was die Auferstehung betrifft, ist er ein einfacher Gläubiger, verweist aber auch darauf, dass selbst Jesus im Wissen um seine Auferstehung nicht einfach vertrauensvoll und widerstandslos in seinen Tod eingewilligt habe. Noch am Kreuz habe er seinem Gefühl der Gottverlassenheit Ausdruck verliehen. Auferstehung bedeutet für Pilgram die Zusage Gottes, nicht verloren zu gehen – in welcher Form auch immer. Das Hinausgehen aus Raum und Zeit. Was damit genau gemeint ist? „Ich sag´s Ihnen dann …“, scherzt er. Mit seinen 60 Jahren möchte er dieses Wissen jedoch noch nicht allzu schnell erwerben.

 

„Ich bin der Arzt“

Ob ihm der Glaube an die Auferstehung in seiner Tätigkeit als Arzt helfe, beantwortet er mit einem spontanen Jein. „Das Leben ist nicht schwarz-weiß“, setzt er nach. Zweifel hegt er daran, als Arzt den Tod als Freund zu betrachten zu können, weil er den Schmerz besiegt. „Ich verstecke mich da lieber hinter Franz von Assisis Sonnengesang mit seinem Dank an den Bruder Tod.“

Die Grundaufgabe der Ärztinnen und Ärzte sieht er wie folgt: „Heilen – manchmal. Lindern – oft. Trösten – immer.“ Arzt und Theologe sieht er in sich untrennbar vereint: „Ich bin ja nicht schizophren. Ich spiele auch nicht die Rolle des Arztes, ich bin der Arzt.“ Und als solcher identifiziert er die Gemeinsamkeit des Arztes mit seinen Patientinnen und Patienten, in welcher Lebenslage und Stimmung auch immer sie sich gerade befinden mögen, im gemeinsamen Menschsein.

 

Wallfahren statt pilgern

Massenbewegungen misstraut er – nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen seiner Familie in der Zeit des Nationalsozialismus. Den Diskurs mit seinem Vater darüber möchte er rückblickend aber nicht missen. Und es ist ihm wichtig, nicht jedem Trend zu folgen: „Ich werde mich nicht tätowieren lassen“, betont er mehrfach. Um dann zu erzählen, dass er schon einmal eine Wette eingegangen sei, in die er als Wettschuld eingebracht habe, sich doch tätowieren zu lassen. Er muss sich beim Wetten seiner Sache sehr sicher gewesen sein. Nicht nur Massenbewegungen, sondern auch ganz anderen Formen von Bewegung kann er eher wenig abgewinnen: „Ich bin mehr für´s Wallfahren als für das Gehen“, erklärt er, dessen Nachname Pilgram eigentlich auch vom Pilgern abgeleitet werden kann.  Keine Tendenz zur Bequemlichkeit zeigt er allerdings bei der Hausarbeit: „Daheim machen wir alle alles. Ich oute mich: Ich bügle gerne. Nur das Kochen überlasse ich meiner Frau, weil sie so wunderbar kocht …“

 

Respekt predigen

„Ich drifte ab ins Predigen“, hat Pilgram einmal in einem Vortrag vor Notärzt:innen gesagt. Hätte er heuer die Chance gehabt, eine Osterpredigt vor Ärzt:innen zu halten, hätte er ganz einfach den „Respekt gepredigt, anzuerkennen, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als wir verstehen“. Die einzige Verpflichtung, an die er seine Mitmenschen dann auch erinnert hätte, ist jene zur Dankbarkeit.

 

Fotos: Furgler, beigestellt




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