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AERZTE Steiermark 12/2022

 

Mangel auf den Punkt gebracht

Es mangelt an vielem. Letztlich mangelt es aber nur an einem: ausreichender ärztlicher Versorgung im öffentlichen Gesundheitswesen.

Martin Novak

Der Ärztemangel ist seit weit mehr als einem Jahrzehnt ein Thema. Damals war es noch „ein zu erwartender Ärztemangel“, dem man mit langfristigen strukturellen Maßnahmen jedoch vorbeugen hätte können. Johannes Hahn, mittlerweile längst EU-Kommissar, war von März 2007 bis Jänner 2010 Bundesminister für Wissenschaft und Forschung: „Um die Versorgung sicherzustellen, benötige das Land bis 2030 jährlich 1000 bis 1500 neue Ärzte. Würden die drei österreichischen Hochschulen Bewerber aus dem Ausland uneingeschränkt zum Medizinstudium zulassen, blieben nur 350 bis 400 Absolventen pro Jahrgang übrig, die auch tatsächlich in Österreich arbeiten wollen, so die Berechnungen des Ministeriums“, zitierte ihn das deutsche Ärzteblatt damals.

Aber das ist vergossene Milch. Hätte man vor 15 Jahren alles richtig gemacht, wäre zwar manches anders gelaufen. Aber die realen Probleme im Jahr 2022 werden so nicht geringer. Eine Zeitmaschine, um in die Vergangenheit zu reisen und Fehlentscheidungen zu korrigieren, gibt es leider nicht.

Was können wir 2022 machen gegen einen Mangel, der als Ärzte- oder Pflegemangel erscheint und immer ein Mangel an medizinischer Versorgung im öffentlichen Gesundheitssystem ist? Das Wichtigste ist, diesen Mangel anzuerkennen. Was manche immer noch nicht tun, um stattdessen Nebelbomben zu werfen. Ja, es ist richtig, dass nicht die Zahl der Beschäftigten das Problem ist, sondern deren Arbeitszeit. Halbtagsbeschäftigte arbeiten nur halb so viel wie Vollzeitarbeitskräfte.

Ein Beispiel aus der KAGes: Für das Jahr 2015 wies das Unternehmen 17.547 Beschäftigte aus, 2021 waren es 18.172 – ein Plus an Menschen von 3,6 Prozent. Unter den  17.547 Beschäftigten im Jahr 2015 waren aber nur 15.096 Vollzeitkräfte, im Jahr 2021 waren es 15.317. Das Plus schrumpfte um mehr als die Hälfte, auf 1,5 Prozent. Und von der Zahl der Köpfe haben weder die Kolleg*innen noch die Patient*innen etwas. Sie müssen – so weit sie das können – die Arbeit der Fehlenden miterledigen oder leiden unter dem Versorgungsmangel. Denn Tatsache ist, dass allein am LKH-Universitätsklinikum Graz in der letzten Novemberwoche nach offiziellen Angaben 226 stationäre Betten wegen fehlendem Pflegepersonal gesperrt waren – davon 38 Intensivbetten. KAGes-Vorstandsvorsitzender Gerhard Stark drückte es in anderem Zusammenhang so aus: „Die Menschen wollen keine Wochenenddienste und Nachtschichten mehr haben und immer mehr arbeiten Teilzeit. Das führt dazu, dass man mehr Personal benötigt.“
Oder anders formuliert: Wenn die einzelne Person weniger arbeitet, braucht es mehr Personen.

Mehr Bedarf

Dann gibt es noch den Bedarf: 2021 gab es in den KAGes-Spitälern 208.991 stationäre und 943.456 ambulante Patient*innen. 2020 waren es 197.637 bzw. 855.000. Also ein Zuwachs von fast sechs bzw. mehr als 10 Prozent. Auch die Pflegetage gingen um mehr als fünf Prozent hinauf. In diesem Vergleichszeitraum gab es beim Personal eine Entwicklung, die man bestenfalls als „rote Null“ einstufen kann. Also: mehr Arbeit, verteilt auf eine stagnierende bzw. sogar sinkende Zahl von Beschäftigten.

Was also tun? Ein Weg, darüber sind sich die meisten einig, wäre es, Patient*innen zu niedergelassenen Haus- und Fachärzt*innen umzulenken. Weil ja viele in den Ambulanzen als „Nicht-Notfälle“ fehlalloziert sind. Nur – dass es im Bereich der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte ebenfalls Mängel gibt – und zwar in dreifacher Hinsicht: Einerseits ist der Leistungskatalog, der aus dem Pflichtversicherungssystem heraus finanziert wird, begrenzt. Andererseits gibt es bisher eine Stagnation der kassenärztlichen Stellen, während die Bevölkerung wächst – und damit der Bedarf an medizinischer Versorgung. Und nicht einmal alle vorhandenen Stellen können derzeit besetzt werden. Aus der ÖGK kommt zwar immer wieder die Versicherung, dass im Vergleich zu den vorhandenen nur wenige Stellen offen sind. Diese Darstellung ist zwar nicht falsch, verschweigt aber, dass es nicht nur wenige Prozente sind, wenn man sich die letzten Jahre ansieht, und dass sich das Problem vor allem auf die Allgemeinmedizin, die Kinder- und Jugendheilkunde und die Gynäkologie konzentriert. So betrachtet, sind die Versorgungslücken weit prekärer als in der Gesamtsicht.

„Das oberste Ziel ist es, Geld zu sparen. Finanziell gut dazustehen ist wichtiger als die Qualität in der Versorgung der Patienten zu erhöhen. Mit der Kassenreform sind noch mehr Leute ans Ruder gekommen, denen die Versorgung weniger wichtig ist als die Finanzen der Gesundheitskasse“, zitiert die sicher nicht ganz objektive Plattform kontrast.at (sie steht der Sozialdemokratie nahe) einen ehemaliger Mitarbeiter in der Sozialversicherung, der anonym bleiben möchte.

„Die Systeme müssen dazulernen“, ist der Präsident der Ärztekammer Steiermark, Michael Sacherer überzeugt, „und sie können das“, bekräftigt er.

Beispiele hat Sacherer: Seit die Anreize, notärztliche Dienste zu übernehmen erhöht wurden, sind die Klagen über unbesetzte Dienste in der Steiermark weitestgehend verstummt. Bereits akkordiert ist eine ähnliche Lösung für die so genannten Einspringerdienste, also kurzfristig für – meist krankheitsbedingt – übernommene Nachtdienste von Kolleg*innen in den steirischen LKHs. 

Geld nötig

Für die ÖGK-Medizin in der Steiermark soll es bis 2024 42,5 Millionen zusätzlich geben – um Tarife anzuheben und die Leistungskraft insgesamt zu heben. Diese in der Steiermark vereinbarten Verbesserungen brauchen allerdings noch die Zustimmung durch den Verwaltungsrat der ÖGK. Und auch wenn die Verbesserungen rasch greifen, sie können es erst, nachdem sie beschlossen und gesetzt wurden.

Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte könnten viel tun, „aber ihnen dürfen keine Steine in den Weg gelegt werden, sie müssen ihnen im Gegenteil aus dem Weg geräumt werden“, sagt Vizepräsident Dietmar Bayer, Obmann der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der Ärztekammer Steiermark.

Diese Erkenntnis scheine sich auch in der ÖGK immer mehr durchzusetzen – „hoffentlich nachhaltig“ schließt er (Bericht dazu ab Seite 45). 

Stipendienprojekte des Landes Steiermark

Auch das Land Steiermark ist nicht untätig: Für Absolvent*innen der Med Uni Graz gibt es zwei Stipendienmodelle, die bis zu 300 junge Ärztinnen und Ärzte in der Steiermark halten sollen. Auch wird die Lehrpraxisförderung verlängert und es sind neue Ausbildungsstellen vorgesehen. Das ist ein echter Fortschritt gegenüber der Kooperation mit der Wiener Sigmund-Freud-Universität, die sogar vor dem Verlust ihrer Master-Akkreditierung für das Medizinstudium stand. Diese im Februar 2022 angekündigte Stipendienkooperation sah aber – und das über mehrere Jahre – nur die Förderung von 20 Studierenden vor. Da klingt das Med Uni-Graz-Projekt schon gehaltvoller.

Unmittelbar wirksam und Langzeitlösungen

Kurzfristige Linderung der umfassenden Versorgungsengpässe machen aber Langzeitprojekte – so wichtig sie sein mögen – in keinem Fall möglich. Der Obmann der angestellten Ärztinnen und Ärzte in der Ärztekammer Steiermark, Vizepräsident Gerhard Posch, verlangt daher „die offenen Wunden sofort zu heilen und nach Möglichkeit unmittelbar wirksame Lösungen zu finden“.

Täglich berichten Medien über schwerwiegende Probleme: Ein Hotspot sind immer mehr Abteilungen in den Landeskrankenhäusern im Murtal (nur leider ist es nicht der einzige, ein anderes aktuelles Beispiel ist Bad Radkersburg).

Man kann etwas tun

Aber man kann etwas tun: Ein denkbarer Schritt sind Maßnahmen, um die Besetzung von Nachtdiensten zu maximieren, so wie das bei den notärztlichen Diensten ja gelungen zu sein scheint.

Viele Schrauben statt großer Show

Die Zeit drängt jedenfalls. „Es muss an allen denkbaren Schrauben gedreht werden, um die Versorgung in den Griff zu bekommen“, ist ÄK-Präsident Sacherer überzeugt: „Nur wenn sofort wirksame Maßnahmen und kluge Langzeitprojekte Hand in Hand gehen, kann es zu echten Entlastungen kommen.“

Die Devise müsse „Hingreifen“ heißen, ergänzt Sacherer,  es sei „besser etwas zu machen, das sich nur als begrenzt tauglich erweist, als nichts zu tun oder nur eine große Show für das mediale Publikum zu veranstalten“.

 

Fotos: Adobe Stock (3), Land Steiermark/Robert Binder, Schiffer




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