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AERZTE Steiermark 11/2022

 

Eine andere Art, Leben zu retten

Opiatabhängige Menschen im Substitutionsprogramm sind auch abhängig von der Behandlung und Betreuung durch entsprechend ausgebildete Ärztinnen und Ärzte – die in der Steiermark derzeit rar gesät sind. Im März 2023 startet neuerlich eine Basisausbildung zur Substitutionsbehandlung.

Die suchtmedizinische Behandlung und Begleitung drogenabhängiger Menschen verlangt eine Portion Idealismus, das betonen auch jene, die ihren Beruf mit Enthusiasmus ausüben. Auf der anderen Seite erleben Ärztinnen und Ärzte im Rahmen des Substitutionsprogrammes durchaus ermutigende Erfolge. Wie im Fall einer jungen Steirerin, die, durch eine toxische Partnerschaft und eine schmerzhafte Autoimmunerkrankung belastet, nur mehr das Bedürfnis verspürte „mich zu betäuben“. Der ständige Stress, zu neuem Stoff zu kommen, wurde ihr schließlich zuviel. „Ich bin dann im Internet auf die I.K.A. (die Interdisziplinäre Kontakt- und Anlaufstelle, Anm. d. Red.) gestoßen“, erzählt sie. „Wir sind zu dritt hingefahren und haben eine halbe Stunde auf der anderen Straßenseite gewartet, bevor wir uns hineingetraut haben.“ Der schwierige Schritt war der richtige: Nach zwei Jahren im Substitutionsprogramm besucht sie das Abendgymnasium, ist gerade beim Ausschleichen der Ersatzdroge und hat ein festes Ziel vor Augen: zu studieren und an einem Früherkennungstest für ihre Autoimmunerkrankung mitzuforschen.


„Geht nicht ohne Hilfe“

„Man muss es selber wollen“, betont ein I.K.A.-Klient, der bereits Anfang 50 ist. „Rückfallgedanken kommen schon häufig, da muss man sich dann selbst motivieren können.“ Er hatte in Jugendjahren mit dem Konsum von Haschisch begonnen, daraus wurden Ecstasy und schließlich Heroin. Es folgte der totale Absturz. Freunde und Familie brachten ihn zur I.K.A.. „Manchmal geht es nicht ohne Hilfe, auch wenn das damals für mich schwer einzusehen war.“ Die Wahl des Substitutionspräparates wurde gemeinsam besprochen, was ihm sehr wichtig war. Nun senkt er die Dosis bereits ab und will in einem Jahr „ganz raus sein“.

„Ich nehm es, damit ich arbeiten gehen kann“, erzählt ein weiterer I.K.A.-Klient. Er hatte nach der Scheidung seiner Eltern mit dem Drogenkonsum begonnen, einen Entzug geschafft und nach einem Unfall, auf den eine Schmerztherapie mit Morphium folgte, einen Rückfall erlitten. Vor gut einem Jahr wandte er sich an die I.K.A. Seitdem bemüht er sich mit professioneller Unterstützung, auch noch von der Ersatzdroge wegzukommen.


Mit Respekt begleiten

In der I.K.A. in Graz wird niederschwellig ein kostenloser Zugang für opiatabhängige Menschen zu medizinischen, pflegerischen, psychologischen und sozialarbeiterischen Angeboten geschaffen. Rund 350 Menschen pro Jahr werden dort mit Respekt durch ihren Alltag begleitet. „Viele öffnen sich bei uns, weil sie merken, dass sie hier wertfrei empfangen werden“, erzählt Ordinationsassistentin Christina Neuhold, die seit zehn Jahren im Team mitarbeitet.

Erst im heurigen Frühjahr stieß die ärztliche Leiterin Elke Steinecker dazu; über ihre Lehrpraxis bei Michael Adomeit, der neben seiner Tätigkeit als Hausarzt auch Obmann der Wissenschaftlichen Akademie für Vorsorgemedizin WAVM ist, dem Trägerverein der I.K.A. „Manche kommen nur wegen des Substitutionsrezeptes zu mir, viele haben aber auch hausärztliche Themen, die sie mit mir besprechen“, erzählt sie aus ihrem Berufsalltag. „Die Arbeit ist sehr vielseitig – man weiß in der Früh nie, was einen an diesem Tag erwartet. Viele zeigen ihre Dankbarkeit für unsere Unterstützung, das gibt mir gute Energie für die herausfordernde Arbeit.“ Mit der Suchtmedizin müsse man sich identifizieren können und dürfe sich nicht von der Bürokratie abschrecken lassen, rät sie zukünftigen Substitutionsärztinnen und -ärzten.


Ressourcen identifizieren

Die Psychologin Elisabeth Weingartmann sucht in der I.K.A. mit den Klient*innen deren Ressourcen und stärkt ihr Selbstbewusstsein: „Zu uns kommen Menschen in einer akuten Notlage, die etwas in ihrem Leben ändern möchten. Da braucht es den Blickwinkel verschiedener Professionen – und das decken wir gut ab.“ Ärztinnen und Ärzten, die erwägen, eine Substitutionsausbildung zu machen, rät sie, einmal zum Schnuppern in die I.K.A. zu kommen, um Berührungsängste abzubauen. „Ein Mensch in Not ist oft schwierig im Umgang, lauter, ungeduldiger. Dafür muss man Verständnis entwickeln.“ Auch Sozialarbeiter Bernhard Hatzl leistet vielfältige Hilfe: Er kümmert sich um Antragstellungen, Wohnungssuche, Schuldnerberatung, Arbeitssuche oder Unterbringung in einer Tagesstruktur. Begleitung zu Behörden und Haftbesuche gehören ebenfalls zu seinem Bereich – und mittlerweile die Unterbringung im Alter. „Viele Einrichtungen trauen sich nicht drüber, obwohl der oder die Betroffene schon jahrelang stabil eingestellt im Programm ist.“ Da ist noch viel Bewusstseinsarbeit notwendig.


Dringend gesucht

Substitutionsärztinnen und -ärzte verhelfen ihren Patient*innen im besten Fall zu einem „normalen“ stabilen Leben. Sie holen sie aus dem gefährlichen Bereich der Illegalität heraus und begleiten sie oft über Jahre. „Die Substitutionstherapie und Betreuung durch die I.K.A. wirken sich auf das gesamte Leben der Menschen positiv aus“, betont Michael Adomeit, Obmann der WAVM. „So hat sich die Erwerbstätigkeit der Betreuten ab Beginn des Betreuungsverhältnisses bis zum 4. Quartal 2021 um über 14 Prozent erhöht. Und war zu Betreuungsbeginn noch jeder und jede Zehnte in einer ungesicherten Wohnsituation, waren es Ende 2021 weniger als sechs Prozent.“

Derart erfreuliche Entwicklungen sind nur mit tatkräftiger Unterstützung aller helfenden Berufe möglich. „Im Frühling 2023 startet die nächste zweitägige Basisausbildung für Substitutionsbehandlung. Wir suchen dringend Ärztinnen und Ärzte, die diese verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen wollen“, appelliert Adomeit.


Reloaded: Online-Ausbildung für Substitutionsmedizin

Die Ärztekammer Steiermark, das Zentrum für Suchtmedizin am LKH Graz II, Standort Süd, sowie die WAVM bieten am Freitag, 10. März und Samstag, 11. März 2023 ein Webinar zur Substitutionsbehandlung an (9.00 bis 19.00 Uhr). Die Kursleitung liegt bei Primar Johann Sailer, die Kursorganisation bei OÄ Christina Pillich und WAVM-Obmann Michael Adomeit.

Das Basismodul umfasst neben den 20 Präsenz- oder Webinar-Einheiten weitere 20 Einheiten E-Learning. Neben Basiswissen zu illegalen Substanzen werden die Aufgaben des Amtes, psychiatrische Grundlagen, Behandlungsmöglichkeiten sowie Grundlagen zur ambulanten Behandlung Opiatabhängiger und die praktische Durchführung unter Beachtung der Begleiterkrankungen gelehrt.

 

Anmeldung zur Ausbildung

 

Foto: Adobe Stock




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