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AERZTE Steiermark 11/2022

 

Information geben, Angst nehmen. Wie man der Chronifizierung von Schmerz vorbeugt

Janina Dieber, Anästhesie-Oberärztin und Leiterin der Schmerzambulanz am LKH Hartberg, gab beim 5. Elisabethinischen Schmerzsymposium Einblick in ihre Arbeit und Tipps zur Vermeidung von Schmerzchronifizierung.

Worte können verletzen, Worte können heilen. Ärztinnen und Ärzte, die ihren Patient*innen in der akuten Schmerzphase die nötige Erklärung zu ihrem Schmerzempfinden geben und gleichzeitig die aufgetretenen Ängste lindern, helfen längerfristig. Denn sie leisten bereits einen wesentlichen Beitrag, um einer Chronifizierung des Schmerzes vorbeugen.

Während beim Akutschmerz das sensorische Erlebnis im Vordergrund steht und Ängste erst aufkeimen, dreht sich dieses Verhältnis mit zunehmender Schmerzdauer um und der psychoemotionale Anteil gewinnt an Bedeutung, erklärte Janina Dieber, Leiterin der Schmerzambulanz am LKH Hartberg, in ihrem Vortrag beim 5. Elisabethinischen Schmerzsymposium in Graz.

Der Schmerzwert, den der Patient empfindet, entsteht auf der Strecke von der Verletzung ins Gehirn. Eine Einflussnahme ist daher auch auf der gesamten Strecke möglich: am Ort der Schmerzaufnahme (Gewebe, Knochen), am Ort der Schmerzweiterleitung (Nerven, Rückenmark) sowie am Ort der Schmerzverarbeitung (Gehirn). Bei der Schmerzverarbeitung im Gehirn werden manchmal auch benachbarte emotionale Zentren oder Zentren der Erinnerung mit stimuliert – sie können den empfundenen Schmerzwert noch steigern.


Die Summe der 5 %

Während der akute Schmerz eine Warnfunktion hat und die Aufmerksamkeit auf die meist zu erkennende Ursache lenkt, gehen diese Faktoren beim chronischen Schmerz verloren. Akuter Schmerz ist überdies selbstlimitierend und wird nach der Ausheilung vergessen. Er ist erinnerbar, kann aber nicht mehr nachempfunden werden. Der Akutschmerz ist überwiegend somatisch bedingt und wird von den Betroffenen meist als zur Verletzung gehörend akzeptiert. Sie erhalten eine Akutbehandlung und bei Bedarf ein Analgetikum.

95 Prozent aller Rückenschmerz-Erlebnisse heilen vollständig aus, die verbleibenden fünf Prozent jedoch summieren sich auf die Jahre gesehen in der Bevölkerung. Hier dauert der Schmerz über die erwartete Heilungszeit hinaus an, die Ursache ist oft nicht mehr feststellbar und der psychosoziale Anteil gewinnt an Bedeutung.

Begünstigend auf die Chronifizierung wirken sich sowohl neurobiologische Veränderungen aus – „Schmerz ist ein gelernter Vorgang“, so Dieber – als auch psychische und soziale Faktoren. Stress beispielsweise.


Stärken und motivieren

„Der diagnostische und therapeutische Ansatz in den ersten Wochen, wenn der Schmerz von der akuten in die subakute Phase übergeht, ist oft entscheidend“, betont Dieber. Wichtig sei auch die Kommunikation mit dem Patienten in positiver Sprache und zur Aktivität motivierend. „In dieser Phase ist es wichtig, bewusst negative Beispiele zu vermeiden, denn Ängste treiben die Chronifizierung voran.“

Während Ärzt*innen die Vorgeschichte der Patient*innen nicht beeinflussen können, haben sie wohl die Möglichkeit, deren Spirale von Angst und Vermeidung zu durchbrechen. Resultiert aus einer Schmerzerfahrung negative Affektivität, verändert sich die Grundeinstellung des Betroffenen und eine neue Schmerzerfahrung beginnt schon auf dem nächsthöheren Bewertungslevel; es entsteht ein Teufelskreis. Die Angst vor neuerlichem Schmerz führt zu Vermeidungsverhalten, zu Beeinträchtigung, Inaktivität und möglicherweise auch noch zu Depressivität. Gerade beim unspezifischen Rückenschmerz, anhand dessen Dieber in ihrem Vortrag Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie gab, sei es unbedingt notwendig, den heilenden Wert der Bewegung zu kommunizieren.

In der Diagnostik sollte, wenn die Wahrscheinlichkeit einer gefährlichen Erkrankung gering ist (red flags sind auszuschließen), auf Bildgebung und Labor verzichtet werden, um den Fokus nicht zu stark auf den Schmerz zu legen. Worte wie „Ich habe nichts Gefährliches gefunden. Es ist normal, dass es so wehtut, und der Schmerz kann auch noch andauern. Versuchen Sie, so gut es geht, Ihren Alltag weiterzuführen“ können beruhigen.

Wird ein Medikament verordnet, muss klar kommuniziert werden, wie oft und wie lange es anzuwenden ist – und wenn es bis dorthin nicht hilft, möge der Patient wiederkommen. Dieber rät von unklaren Empfehlungen wie „bei Bedarf einnehmen“ explizit ab.


Cut-off-Wert 6 Wochen

Kommt der Patient innerhalb von sechs Wochen wieder – sie sind der Cut-off-Wert für die Chronifizierung –, steht eine noch detailliertere Schmerzanalyse an. Bei Verbesserung der Situation, jedoch noch ohne Heilung, ist keine weitere Diagnostik nötig, wohl aber, wenn der Patient von progredientem Schmerz berichtet oder von starker Aktivitätseinschränkung. Dann sollte re-evaluiert werden, ob es sich wirklich um einen unspezifischen Rückenschmerz handelt.

Frühzeitig ist auch die psychosoziale Diagnostik zu beginnen. Erklärt sich der Schmerz aus Risikofaktoren wie einem kranken Kind oder einer eigenen schwierigen Lebensphase? „Diese yellow flags sind die Hauptindikatoren für Chronifizierung.“ In jeder Phase heilen die aufklärenden Worte, auch soll mit den Betroffenen über einen möglichen Zusammenhang mit psychischen Faktoren gesprochen werden. Beim unspezifischen Rückenschmerz ist weiterhin die Motivation zur körperlichen Aktivierung angesagt, dazu Physiotherapie und eventuell Psychotherapie. Medikamentös kann man gegebenenfalls Mechanismen-basiert erweitern.


Jedem Schmerz sein Heilmittel

Denn als Grundlage der Medikationsentscheidung soll jeweils der Schmerzmechanismus dienen: Nozizeptive und entzündliche Schmerzen können mit Topika, peripheren Analgetika oder Steroiden behandelt werden. Neuropathischer Schmerz  bei Schädigung oder Fehlfunktion einer schmerzleitenden Nervenfaser ist mit Opioiden, Co-Analgetika (Antidepressiva, Antikonvulsiva), NMDA-Rezeptorblocker oder Cannabinoiden zu therapieren. Beim „Mixed Pain“ (nozizeptiv und neuropathisch), wie er oft bei chronischen Rückenschmerzen und Tumorschmerzen auftritt, werden Medikamente gegen beide Schmerzarten kombiniert.

Viszerale Schmerzen sprechen meist auf Metamizol oder Spasmolytika an und neuropathische Schmerzen mit sympathikusmodulierten Schmerzkomponenten auf verschiedene Formen von Sympathikusblockaden.

Hält der Schmerz nach sechs Wochen noch an, empfiehlt Dieber die Zuweisung zu einem interdisziplinären Assessment, bei Hinweisen auf höhergradige psychische Risikofaktoren kann die Zuweisung schon früher erfolgen.

Dieber hält auch Kontakt zu den Allgemeinmediziner*innen der Region und berät sie zu ihren konkreten Fällen. „Verhinderung von Chronifizierung hat bei der Schmerzbehandlung oberste Priorität“, betont sie. Alle Mitarbeitenden im Gesundheitssystem können zur Prävention von Chronifizierung beitragen, wobei es besonders hilfreich ist, wenn alle über eine gemeinsame Wissensbasis verfügen.

Im Krankenhaus der Elisabethinen in Graz wurde als interdisziplinäres Assessment in der Schmerzambulanz kürzlich ein eigenes Team geschaffen: die Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie (IMST).

Die Zuweisung an die IMST erfolgt ausschließlich durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte via Online-Formular

 

Fotos: Adobe Stock, beigestellt, Adobe Stock




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