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AERZTE Steiermark 11/2022

 

Hai über Kopf verliebt

Haitauchen zählt zu den Lieblingsbeschäftigungen der Kinder- und Jugendpsychiaterin Daliah Schmidt. Bevor sie ihre erste Face-to-Face-Begegnung erlebt hat, investierte sie viel Zeit, um sich über das Verhalten dieser 400 Millionen Jahre alten Wesen schlau zu machen.

Ursula Scholz

Eine Famulatur in Australien war die Keimzelle für Daliah Schmidts Leidenschaft für das Haitauchen. Um Haie ging es damals noch gar nicht. „Ich dachte mir, wenn wir schon einmal hier sind – ich war mit einem Kollegen in Australien –, sollten wir auch tauchen gehen.“ Gesagt, getan. Das Meer war unruhig, die Sicht war schlecht, aber die angehende Ärztin fühlte sich in der Unterwasserwelt sofort wohl.

Erst Jahre später stieß sie auf der Suche nach einer lohnenden Tauchdestination für ihren Urlaub auf den Zürcher Biologen und Haiforscher Erich Ritter – der mit den Haien schwamm und die Sharkschool® gegründet hat.

Schmidt traf Ritter noch vor dessen frühem Tod persönlich und lernte von ihm sein Mensch-Hai-Interaktionskonzept. Also den richtigen Umgang mit Haien, ihre Körpersprache zu deuten und das eigene Verhalten so zu kontrollieren, dass man nicht mit einem Beutetier verwechselt wird. Denn eigentlich sind Menschen den Haien ziemlich egal. „Reagiert man im Wasser allerdings so zappelnd wie ein sterbender Fisch, weckt man das Interesse des Hais und dann kann es schon sein, dass er einmal einen Probebiss macht, ob man ihm schmecken würde“, erklärt Schmidt.


In die Erinnerung eintauchen

In Ruhe beobachten, feine nonverbale Signale deuten und vorsichtig darauf reagieren – was Daliah Schmidt beim Haitauchen praktiziert, sind auch Interaktionsmuster, die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie helfen können. Selbst aufgefallen sind ihr diese Parallelen noch nicht, vielmehr nutzt sie die Erinnerung an ihre Erlebnisse unter Wasser zum Runterkommen nach herausfordernden beruflichen Situationen. Dann kehrt sie in ihre Foto- und Videowelt der Unterwasseraufnahmen zurück und taucht im Geist in die Stille unter Wasser ein.

Nach dem ersten, mehr zufälligen Tauchgang absolvierte sie ihre erste Tauchprüfung auf den Malediven. Auch im Roten Meer war sie von Fauna und Flora angetan – aber „am spektakulärsten war es auf den Bahamas“. Dorthin fuhr sie mit Dr. Ritters Sharkschool® ganz speziell zum Haitauchen, in Begleitung ihres Vaters, denn sonst konnte niemand ihr Interesse für die verrufenen Riesen nachvollziehen. „Auch ich hatte als Kind der 80er-Jahre den Film ,Der weiße Hai´ gesehen und danach eher Angst vor diesen Tieren.“ Die echten Haie sind allerdings sehr scheu und müssen daher erst angelockt werden, damit sie sich den Menschen überhaupt zeigen. Dann sollte man sie allerdings gut im Auge behalten, um auf ihre Signale adäquat reagieren zu können. Auch die Haie ihrerseits beobachten die Menschen: „Selbst wenn der Kopf über Wasser ist, wissen Haie, wo beim Menschen vorne und hinten ist. Keiner weiß warum.“


So alt wie Krokodile

„Angstination“ nannte Ritter jene angstdurchwobene Faszination, die Haie auf manche Menschen ausüben. Daliah Schmidt zählt eindeutig zu ihnen. In natura hat sie bereits Tigerhaie, Riffhaie, Zitronenhaie, Weiß- und Schwarzspitzenhaie und Hammerhaie beobachtet. „Einen Walhai würde ich noch gerne sehen“, sagt sie. Bemerkenswert findet sie, dass die Haie zu den ältesten noch lebenden Spezies gehören – „von der Evolution her sind sie so alt wie die Krokodile“, also seit rund 400 Millionen Jahren auf diesem Planeten. Wichtig ist Daliah Schmidt auch, die Bedeutung der Haie für das Ökosystem Erde hervorzuheben: „Ohne Haie stirbt das Meer. Ohne Meer stirbt der Mensch.“ Der Mensch, so Schmidt, sei aber nur bereit, das zu schützen, was er liebt. Und die Haie kämpfen da mit einem gröberen Image-Problem. Kommt es zu einem der ohnehin seltenen Hai-Unfälle – „schuld ist immer der Mensch“ –, verfestigen die Medienberichte darüber diese negative Einstellung. Haie werden gejagt, gemordet, zu Tierfutter verarbeitet und das Squalen aus Haifischlebertran sogar Kosmetika beigemengt. „Dabei sterben mehr Menschen durch herabfallende Kokosnüsse oder durch Angriffe von Flusspferden, aber nur das Image der Haie ist so schlecht“, gibt Schmidt zu bedenken. Zum Vergleich: Flusspferde zerfleischen im Schnitt jährlich 500 Menschen, 150 sterben nach Kopfverletzungen durch fallende Kokosnüsse – und laut Global Shark Attack File von 2010 bis 2019 gibt es jährlich weniger als zehn tödliche Haiunfälle – weltweit.


Vom Käfig aus beobachten

Daliah Schmidts nächste Haibegegnungen wünscht sie sich vom Käfig aus, mit weißen Haien, wobei der Käfig den Menschen als Schutz dient. „Der beste Platz dafür ist das französische Übersee-Département Guadeloupe, aber heuer haben die dortigen Unruhen das Reisen in die Region unmöglich gemacht.“ Stattdessen ging es zur Familien-Tauchsafari auf die Malediven. Schmidts elfjährige Tochter war zunächst mehr als skeptisch. „Aber mittlerweile ist klar: Für die Nachfolge in der Familie ist gesorgt“, berichtet die Mutter stolz.  Schmidt selbst hat von ihrem Vater seinerzeit die erste Schnorchel-Ausrüstung geschenkt bekommen, um die heimatlichen Kärntner Seen zu erkunden.

Sie selbst sei noch nie in eine stressige Situation mit einem Hai geraten, betont Schmidt. Stress kenne sie nur aus der Über-Wasser-Welt.  Die ersten Hai-Begegnungen sieht sie allerdings retrospektiv durchaus als „eine Art von Expositionstherapie“. Denn zunächst schwammen ihr noch die Hai-Bilder des Tier-Thrillers durch den Kopf. Doch dann kam die alles verändernde Begegnung „mit den Giga-Hailadys“, wie sie sie nennt, auf den Bahamas.


Hai und Mensch sind individuell

Die Haidamen kennen mittlerweile das Boot der Sharkschool® und wissen, dass es ohne Jagdanstrengung zu genießenden Köderfisch bringt – ebenso wie ein paar schwarzgewandete Gestalten. „Keiner weiß, wo die Männchen zu den Hailadys sind; an diesem unterirdischen Riff treffen sich jedenfalls immer nur junge Weibchen, oft auch Trächtige“, erzählt Schmidt. Eines davon ist Emma, erkennbar an ihrer lädierten Schwanzflosse. „Haie haben sehr spezifische Merkmale, man kann sie wirklich gut auseinanderhalten.“

Individualität im Erscheinungsbild ist auch Daliah Schmidt wichtig – ob es sich dabei um ihr Rückentattoo handelt oder die schwarzen Band-T-Shirts, die sie auch bei der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen lieber trägt als den weißen Arztmantel. Ihr Fach würde sie auf jeden Fall wieder wählen, auch wenn sie zwischendurch scherzt, ob sie nicht doch besser Meeresbiologin geworden wäre. Daliah Schmidt arbeitet mittlerweile sowohl in der kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanz in Hartberg als auch in freier Praxis in Graz. An der Arbeit mit den jungen Menschen schätzt sie deren geradlinige Art, die Neugier und das Gefühl, „dass man in diesem Alter noch viel richten kann. Für ein Kind in einer schwierigen Umgebung reicht oft ein einziger Mensch, dem es vertraut, um das Ruder herumzureißen.“

Grundsätzlich ist Daliah Schmidt nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, aber geht es im Job doch einmal turbulent zu, findet sie anschließend verlässlich Ruhe in ihrer inneren Unterwasserwelt.

 

Fotos: beigestellt




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