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AERZTE Steiermark 05/2022

Palliativmedizin trifft Notfallmedizin

Sind Notfälle in der Palliativmedizin schicksalshaft oder vorhersehbar? Gibt es Notfälle in der Palliativmedizin überhaupt? Und wenn ja: Wie kann man sich darauf vorbereiten? Erstmals versucht ein einzigartiges steiermarkweites Projekt zwei verschiedene Zugänge ärztlichen Handelns zu verbinden.

Günter Polt

„Was soll das?“, dachte sich ein Notarzt, als er beim letzten Einsatz akut zu einem fortgeschritten metastasierten und sterbenden Palliativpatienten gerufen wurde und von den Angehörigen vor Ort erklärt bekam, dass der Patient ja eigentlich gesund sei und niemandem klar wäre, warum es ihm plötzlich so schlecht ginge.

„Kann das sein“, dass niemand mit dem Patienten oder den Angehörigen über seine Krankheit und deren Verlauf gesprochen hat? „Gibt es das“, dass kein Plan gemacht wurde und Abläufe für eine vorhersehbare Verschlechterung besprochen wurden?

Ja, es gibt Notfälle in der Palliativmedizin, Krisen, in denen Angehörige zu Hause überfordert sind. Diese müssen nicht eintreten, sind aber, wenn sie auftreten, zum Teil auch bei bester Vorbereitung von Angehörigen ohne akute professionelle Hilfe nicht bewältigbar. Wobei der Notfall in der Palliativmedizin nicht zwangsläufig als Ziel das Überleben bzw. das Verhindern des Sterbens hat.

Notfälle bedeuten einfach eine so hohe Symptomlast, die für die Patientin bzw. den Patienten und die Angehörigen in diesem Moment für alle das Maß des Erträglichen übersteigt. In dieser Situation braucht es sofort Hilfe. Gleichzeitig fürchten sich viele Patient*innen aber davor, diese Hilfe nicht zu Hause bekommen zu können. Sobald die Rettung und der Notarzt gerufen werden, könnten sie aus der ihnen vertrauten Umgebung herausgenommen und ins Spital gebracht werden. Dies ist aber oft gar nicht notwendig.

Palliativärzt*innen und Notärzt*innen haben vieles gemeinsam: Sie wollen schwerkranken Menschen mit belastenden Symptomen helfen. Trotzdem ist das Miteinander beider Systeme nicht immer abgestimmt.

Um das gleiche Interesse – Menschen in Not noch besser helfen zu können – und untereinander die Kommunikation zu fördern, wird ein bewährtes Pilotprojekt nun ausgeweitet: Steiermarkweit werden die mobilen Palliativteams ihren Patient*innen Notfallkarten (Abb. 1) anbieten. Auf ihnen haben Palliativpatient*innen die Möglichkeit, ihre Präferenz voraus zu verfügen: Soll im Notfall eine Symptomlinderung zu Hause erfolgen oder steht neben der Symptomlinderung der Wunsch nach einer Hospitalisierung im Vordergrund?

Natürlich kann dieser Wunsch von Patient*innenseite jederzeit widerrufen werden. Ebenso kann notärztlich eine andere Empfehlung abgeben werden. Aber mit den begleitenden Gesprächen zur Notfallkarte können Patient*innen und ihre Angehörigen nach Möglichkeit frühzeitig zu Überlegungen angeregt werden, wie sie sich die Behandlung im Notfall vorstellen. Zudem ergeht die Einladung an die Notärztin bzw. den Notarzt, jederzeit mit der hinterlegten Notfallnummer mit den Mitarbeiter*innen des Palliativteams Rücksprache zu halten. So wird versucht, Palliativpatient*innen ein Mehr an Sicherheit und Autonomie und zugleich den Notärzt*innen einen rechtskonformen Handlungsspielraum zu ermöglichen.

In einer Studie – mit insgesamt kleiner Interventionsgruppe (38 Patient*innen) und Begrenzung auf ein einzelnes Palliativteam in Hartberg – konnte bereits gezeigt werden, dass sich dieses Vorgehen und die Implementierung einer Notfallinformation signifikant auf den Sterbeort ausgewirkt haben (Abb. 2). Es ist der vorrangige Wunsch von Palliativpatient*innen, zu Hause versterben zu können.

Durch diese Notfallinformation konnte einerseits die Wahrscheinlichkeit zu Hause zu versterben von ca. 50 % in den Kontrollgruppen auf über 70 % in der Interventionsgruppe erhöht werden, wobei – und das ist wesentlich – der Patient*innenwille hinsichtlich Sterbeort erfüllt werden konnte (p=0,01). Weiters zeigte sich in der Studie, dass diese Notfallinformation ein sinnvolles Steuerungsinstrument in der Auslastung von Spezialeinrichtungen war. Zusätzlich konnte auch die Notärztin bzw. der Notarzt im Einsatzfall in der Entscheidungsfindung unterstützt werden. Mit dem neuen Projekt (auch dieses wird durch eine Studie wissenschaftlich aufbereitet) soll versucht werden, diese positiven Ergebnisse auf die gesamte Steiermark auszurollen.

 

MMag. Dr. Günter Polt, MSc, ist Arzt für Allgemeinmedizin und Sportwissenschafter. Er ist Lehrbeauftragter an der Medizinischen Universität Graz und arbeitet als Arzt mit Spezialisierung Palliativmedizin an der Internen Abteilung des LKH Hartberg seit 2010 im mobilen Bereich. Als Auszeichnungen wurden ihm 2015 der Hildegard-Teuschl-Preis für wissenschaftliche Leistungen und innovative Projekte in Hospiz- und Palliative Care verliehen und 2019 erhielt er den Posterpreis für wissenschaftliche Arbeit am 7. Österreichischen interprofessionellen Palliativkongress.

 

Norbert Bauer: „Unter dem Begriff ‚Advanced Care Planning‘ wird eine Reihe von Maßnahmen zusammengefasst, die den Wünschen von Palliativpatient*innen am Lebensende am besten gerecht werden. Eine Maßnahme der bestmöglichen Begleitung von unheilbar kranken Menschen ist die Erstellung einer ‚Notfallinformation‘. Diese entspricht einer beachtlichen Patientenverfügung und vereint den Wunsch der betroffenen Patient*innen, zu Hause versterben zu können mit einer optimalen Symptomlinderung und der Kommunikation mit dem Notarztsystem. Es ist bestimmt ein Meilenstein, dass diese Maßnahme nun in der gesamten Steiermark Anwendung findet.“

 

Gerold Muhri: „Notärzt*innen und Palliativärzt*innen haben dasselbe Ziel: Menschen in Not rasch und effizient zu helfen.  Diese Notfallkarten werden eine verbesserte Kommunikation in den zwei unterschiedlichen Systemen bringen. Das hilft allen beteiligten Menschen!“

 

Fotos und Illustrationen: Furgler, beigestellt

 




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